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Kapitel 13

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Schon von Weitem konnte Akio die Stadtmauern von Gomorra erkennen. Mächtig und erhaben wuchsen schwarze Mauern entlang eines gewaltigen Felsengebirges empor und ließen in ihrer bedrohlichen Dunkelheit schon erahnen, wie viel Elend, Blutgier und Herzlosigkeit sich dahinter verbergen würde. Irgendwo hinter den dunklen Wolken über diesem finsteren, grauen Tal war die Sonne gerade dabei aufzugehen. Es wurde allmählich heller. Aber von Sonnenstrahlen war weit und breit nichts zu spüren. Kälte war es, die hier regierte und mit eisigen Händen um sich griff. Drei Reiter näherten sich der Stadt. Perfidus saß zusammen mit Akio auf dessen braunem Pferd. Perfidus vorne. Silva war bisher mit ihrem Araber vorne geritten, aber jetzt schien keines der Pferde als Erstes durch das Tor dieser dunklen, grauen, in Felsen gewachsenen Stadt reiten zu wollen. Je näher sie kamen, umso mehr spürte Akio, wie sich eine grausame Eisschicht um sein Herz legte. Jeder Schritt seines Pferdes schien ihn einer Höhle voller Erbarmungslosigkeit näher zu bringen. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.

Silva, deren Pferd langsam neben ihm trabte, bemerkte das. »Na, Goldmännchen? Angst?«

Akio hasste es, so angesprochen zu werden. Er nickte. »Du nicht?«

»Willste lieber draußen bleiben?«, fragte Silva, ohne auf seine Frage zu antworten.

Akio schaute sie entsetzt an. »Nein, natürlich nicht!« Er fasste mit der rechten Hand nach seinem Schwert, um zu prüfen, ob er im Zweifelsfall schnell genug drankam. Falls es hier zu einem Kampf kommen sollte, hatte er keine Ahnung, ob er stark genug wäre. Er hatte keine Übung. Er hatte einzig den Wunsch, seine Schwester zu befreien. Ob ihm dieser Wunsch genug Kraft geben würde?

»Na gut. Ihr reitet vor!«, befahl Silva. »Der Alte zeigt uns den Weg zum Versteck seiner Räuberbande.« Sie schaute Perfidus streng an. »Und zum Henker: Wehe, du legst uns rein oder führst uns in eine Falle. Ich sag dir, ich kann kämpfen. Und es macht mir nichts aus, dir dein dreckiges Herz aus der Brust zu stechen. Klar?«

»Spar dir dein Theater!«, keifte Perfidus zurück. »Folgt mir lieber. Und wenn wir am Tor sind, wirst du, Goldblut, so tun, als seist du mein Gefangener. Schaffst du das?«

»Ich denk schon«, nickte Akio, auch wenn ihm nicht wohl dabei war.

Urplötzlich trieb Perfidus den Berber an und die beiden Pferde ritten im Galopp bis zum Stadttor. Akio gefiel es nicht, die Führung über sein Pferd abzugeben, noch dazu, ohne um Erlaubnis gefragt zu werden. Er war sich auch nicht mehr sicher, ob er Perfidus wirklich vertrauen konnte. Aber im Moment blieb ihm nichts anderes übrig. Pollum versteckte sich ganz unten in Akios Hemd und krallte sich an der Lederhaut fest.

Zwei Wächter mit Rüstung, Helm, Schwert und Lanzen musterten die Reiter misstrauisch, die sich dem Stadttor näherten.

»Was wollt ihr?«, fragte der eine barsch.

»Zu Demon und Lucio«, antwortete Perfidus.

»Wer sind die beiden anderen?«

»Der hier«, er zeigte mit seinem Kopf auf Akio hinter sich, »ist ein Goldblüter, den ich gefangen hab, das siehst du doch. Und die da hinten passt auf, dass er nicht abhaut.«

»Ein lebendiger Goldblüter!« Der Wächter grinste breit und zeigte dabei seinen zahnlosen Kiefer. Speichel lief aus seinem Mundwinkel. Er ging auf das Pferd zu und stupste Akio unsanft in die Seite. »So was hatten wir ja schon lange nicht mehr!«

Akio griff reflexartig mit der rechten Hand zum Schwert. Nur für alle Fälle.

»Hey!«, beschwerte sich der Wächter. »Der ist ja gar nicht gefesselt! Das soll ein Gefangener sein?«

»Was?«, rief Perfidus laut. »Hat sich dieser Hundskerl losgemacht? Wie konnte mir das entgehen? Na los, worauf wartet ihr? Fesselt ihn von Neuem!«

Akio erschrak. Wie bitte? Er sollte sich von den Wächtern fesseln lassen? Gehörte das zum Plan von Perfidus? Sollte er ihm wirklich vertrauen? Aber das Gespräch von heute Nacht – das hatte so ehrlich geklungen …!

Die beiden Wächter lehnten ihre Lanzen an die Mauern des Stadttores und packten Akio fest von beiden Seiten. »So, dann wollen wir mal!« Sie lachten mit ihren zahnlosen Mündern und beachteten nicht, dass der Speichel ihnen dabei unkontrolliert über das Gesicht lief und in langen Fäden vom Kinn tropfte.

»Lasst ihn los!«, schrie Silva plötzlich auf. Sie zog ihr Pferd am Zügel, sodass es sich laut wiehernd auf die Hinterbeine stellte und gleich darauf mit seinen Vorderhufen die Wächter angriff. Der erste Soldat stolperte laut schreiend zur Seite. Im nächsten Augenblick stand Silva mit ihrem Araber neben Akio und zog mit einem gekonnten Griff sein Schwert aus dem Gürtel. Dabei traf sie den zweiten Wächter am Helm, sodass auch der erschrocken zur Seite torkelte.

»Zu Hilfe!«, schrien die Wächter und griffen zu den Lanzen an der Wand. »Sie greifen uns an!«

»Weg hier!«, befahl Perfidus und forderte Akios Pferd mit einem Tritt auf, im schnellen Galopp mitten durch die Gassen davonzureiten. Silva dicht gefolgt hinterher. Dunkle Gestalten mit schwarzen Hüten, Mänteln und Umhängen bevölkerten die Stadt. Sie mussten laut schreiend und fluchend ausweichen, um nicht von den galoppierenden Pferden überrannt zu werden. Hunde bellten laut, wichen zurück oder liefen mit gefährlich fletschenden Zähnen neben den Pferden her.

»Ihr Narren!«, schimpfte Perfidus während der Flucht. »Jetzt sind sie hinter uns her! Hätten wir den Goldblüter gefesselt auf dem Pferd gehabt, hätten wir in Ruhe durchreiten können!«

Sie bogen in eine enge Gasse ab, ohne ihr Tempo zu verlangsamen. Immer wieder wichen schreiende Menschen aus. Männer, Frauen, Kinder. Auch alte Menschen. Die meisten mit Kapuzen, Hüten oder anderen Kopfbedeckungen, die den Blick auf ihre Augen gar nicht erst freigaben. Und die wenigen, die ihre Augen nicht bedeckt hatten, zeigten darin nichts als Hass und Verachtung. Von allen Seiten sprangen ihnen wild fauchende Leppids an die Beine, um ihnen das Blut auszusaugen, aber die Reiter schleuderten sie mit zappelnden Beinbewegungen von sich. Pollum schaute hin und wieder wütend aus Akios Umhang heraus und beschimpfte die Angreifer mit lautem Gequieke. Akio wurde immer mulmiger zumute. Wie war es wohl Adelia und Agnus ergangen, als sie in diese Stadt gebracht worden waren?

Von hinten waren Schreie zu hören: »Da sind sie! Haltet sie auf!«

Silva kannte keine Gnade. Wenn irgendjemand versuchte, eines der Pferde aufzuhalten, schwang sie wild und ohne Kontrolle Akios Schwert durch die Menge, immer abwechselnd zur rechten und zur linken Seite, sodass immer noch mehr Menschen schrien und fluchten. Perfidus trieb die Pferde zielsicher durch die Gassen, die mal enger und mal breiter waren, manchmal mit getöpferten Waren auf Tischen oder ausgebreiteten Decken, über die er achtlos die Pferde hinwegspringen ließ. Töpfe flogen, Scherben klirrten, Menschen schrien. Perfidus verlangsamte sein Tempo nicht. Silva ebenso wenig. Ihr schien die Jagd durch die Stadt zu gefallen, denn sie grinste, als hätte sie jemand zu einem Abenteuerspiel herausgefordert.

Dann endlich ließ Perfidus die Pferde in einer menschenleeren Gasse vor einem großen Holztor stehen und pochte mit seinen Fäusten laut dagegen.

»Wer ist da?«, kam eine raue Stimme aus dem Inneren hinter dem Tor.

»Perfidus!«

Während sich das Tor öffnete, spürte Akio einen Stich in seinem Herzen. Vergangene Nacht hatte Perfidus ihm gesagt, zum ersten Mal seit Langem hätte ihn wieder jemand nach seinem Namen gefragt. Und hier nannte er sich ganz selbstverständlich beim Namen. Er hatte ihn also angelogen. Was war noch alles gelogen?

Perfidus schritt langsam und aufrecht mit Akio im Gepäck durch das Tor ins Innere eines großen und stinkenden Hofes. Silva schritt hinterher, aber ihr Blick flog misstrauisch von einer Ecke zur anderen in diesem dreckigen Versteck. Hinter ihnen wurde das Tor verschlossen und verriegelt. Eine Horde von etwa zehn bis fünfzehn Männern, bewaffnet mit Säbeln, Schwertern und anderen Waffen, schien die drei zu erwarten. Bluthunde kläfften laut und schienen nur auf den Befehl zum Angriff zu warten.

»Hier bringe ich euch den dritten Goldblüter«, sagte Perfidus kühl und stieg vom Pferd herab. »Ich hab doch gesagt, ihr könnt euch auf mich verlassen.« Er zeigte auf Silva. »Bei der da müsst ihr aufpassen. Sie hat ein Schwert und sie schreit und tritt wie eine ungezähmte Stute.«

Akio konnte gar nicht so schnell reagieren wie seine Gedanken durch seinen Kopf purzelten. Er drehte sich erschrocken um und sah nur, wie drei Männer gleichzeitig Silva von ihrem Pferd zogen. Noch bevor er sein Pferd zur Flucht antreiben konnte, spürte er einen festen Schlag auf den Hinterkopf. Dann verlor er das Bewusstsein.

Gefangen in Abadonien

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