Читать книгу Alles wird gut ... - Heidi Dahlsen - Страница 22
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Оглавление„Endlich sind Sommerferien“, sagt Jenny erleichtert und legt ihrer Mutter das Zeugnis vor. „Du musst nicht meckern. Das nächste wird viel besser – versprochen.“
„Ich glaube dir“, antwortet Jutta. „Ich wollte doch überhaupt nicht schimpfen. Weißt du eigentlich wie erleichtert ich bin, dass du in den letzten Wochen freiwillig gelernt und Hausaufgaben gemacht hast? Sogar ohne zu murren bist du früh aufgestanden und in die Schule gegangen. Auf die Idee mit der Realschule hätten wir wirklich schon eher kommen können.“
Seit dem Gartenfest bei Christine hat Jenny fast jeden Nachmittag auf dem Reiterhof verbracht und trotzdem die Schule nicht vernachlässigt. Jutta ist das erste Mal stolz auf ihre Tochter. Nach längeren Diskussionen hat sich Jenny sogar bereit erklärt, eine Woche zu ihrem Vater zu fahren.
Trotzdem fragt sie immer wieder: „Muss ich wirklich so lange zu Papa? Das halte ich nicht aus. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich die Pferde vermissen werde.“
Jutta ahnt, warum Jenny zu Hause bleiben will. Der Name Andy fällt ihr zu oft.
„Wer ist eigentlich dieser Andy, von dem du ständig schwärmst“, fragt sie ihre Tochter.
Jenny senkt den Blick und wird rot.
„Ach der“, winkt sie lässig ab. „Das ist nur der Lehrling vom Reiterhof. Er kann sehr gut reiten und weiß einfach alles über Pferde. Ich habe viel von ihm gelernt. Wir sind auch schon öfter zusammen ausgeritten.“
Je länger sie erzählt, umso mehr kommt sie ins Schwärmen und ihre Augen leuchten.
„So, so, nur ausgeritten. War Tilly auch dabei?“, fragt Jutta interessiert.
„Manchmal. Aber Andy ist wirklich voll nett und sehr anständig. Du musst dir keine Sorgen machen.“
„Da werde ich doch bald mal mitkommen und diesen Andy unter die Lupe nehmen“, sagt Jutta. „Und vor allem, wie du schon reiten kannst, würde ich auch gern sehen. Vielleicht lohnen sich die Ausgaben für Reithose, Helm und Reitstunden überhaupt nicht.“
„Andy sagt, dass ich große Fortschritte mache“, erzählt Jenny ganz begeistert. „Er muss es ja wissen, denn er reitet schon fast zehn Jahre. Und Janek hat letztens auch zugesehen und mich nur etwas korrigieren müssen. Erst haben alle gelacht, weil ich mir den Wallach Lumpi ausgesucht habe. Inzwischen sind wir gute Freunde geworden. Sowie ich in seine Nähe komme, wiehert er schon. Ich weiß gar nicht, warum der zum Schlachter sollte. Er ist so ein ausgeglichenes Pferd und springen kann der, als hätte er Federn in seinen Gelenken.“
„Weißt du was? Morgen werde ich gegen Mittag Schluss machen. Dann komme ich zum Reiterhof und sehe mir Lumpi und deine Reitkünste an“, schlägt Jutta vor.
„Aber, dass du mich nicht vor Andy blamierst, Mama. Ich kenn dich doch“, warnt Jenny ihre Mutter.
„Du wirst es nicht glauben, sogar ich war früher einmal jung. Auch wenn du dir das nicht vorstellen kannst.“
„Schade, dass Stella nicht mit zum Reiterhof darf“, sagt Jenny. „Dann könnten wir viel mehr Zeit miteinander verbringen. Kannst du dir vorstellen, dass sie die ganzen Ferien zu Hause rumsitzen und ihre kleinen Geschwister betreuen muss?“
„Wenn Papas Baby da ist, ist es auch mit deiner Freiheit aus. Du wirst bestimmt zum Babysitten eingeteilt“, sagt Jutta schmunzelnd.
„Das können die aber vergessen. Eigentlich habe ich jetzt schon gar keine Zeit mehr, um lange dort rumzusitzen. Cynthia wird nicht erfreut sein, dass ich komme. Vielleicht muss ich mit ihr shoppen gehen und Babyzeug aussuchen. Darauf habe ich vielleicht Lust.“
„Papa wird schon etwas mit dir unternehmen, und Oma und Opa freuen sich sicher auch auf dich.“
„Meinst du wirklich?“, fragt Jenny etwas verunsichert.
„Ganz bestimmt. Die haben dich doch lieb“, sagt Jutta.
„Vielleicht können sie es nur nicht so zeigen“, sagt Jenny zweifelnd. „Ich mache mich dann mal auf die Socken. Tschüss, Mama. Langweile dich nicht ohne mich.“
„Ganz bestimmt nicht. Viel Spaß.“
Jutta kocht sich eine Tasse Kaffee und setzt sich ins Wohnzimmer. Endlich hat sie etwas Zeit für sich. Im Büro ist eine angespannte Situation. Alle warten dringend darauf, dass Tom aus Ägypten zurückkommt. Sie freut sich auf die Abwechslung am nächsten Tag. Endlich wird sie sehen, wo Jenny sich so begeistert aufhält. Den Andy wird sie sich genau anschauen und notfalls vornehmen. Sie hatte gehofft, dass es noch etwas dauert, bis Jenny sich für Jungs interessiert. Aber da kann man nichts machen. Wenn sie an Max Schöne zurückdenkt, der hatte auch allen Mädchen den Kopf verdreht. Sie möchte nicht wissen, in wie vielen Tagebüchern von ihm geschwärmt wurde.
Die Türklingel reißt sie aus ihren Gedanken.
Vor der Tür steht ein älterer Herr, der sie freundlich anspricht: „Guten Tag, Frau Seidel. Mein Name ist Winkler. Ich würde sie gern einmal sprechen.“
„Worum geht es?“, fragt Jutta etwas barsch, denn sie hat keine Lust, sich einen Staubsauger oder Versicherungen andrehen zu lassen.
„Um ihre Mutter“, sagt Herr Winkler.
„Oh, ist ihr etwas passiert?“, fragt sie erschrocken.
„Nein, nein. Es geht um etwas anderes.“
„Kommen Sie bitte herein. Möchten sie einen Kaffee?“
„Das wäre nett, aber nicht nötig.“
„Der Kaffee ist schon fertig. Da muss ich den nicht allein trinken. Das soll ja nicht gut fürs Herz sein“, sagt Jutta.
„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll“, sagt Herr Winkler, nachdem er sich gesetzt hat.
„Vielleicht am Anfang“, sagt Jutta. „Worum geht es denn? Hat meine Mutter sie verärgert?“
„Nein. Im Gegenteil.“
Neugierig geworden, hebt Jutta den Kopf. Herr Winkler atmet tief ein.
„Seit einem halben Jahr treffe ich ihre Mutter oft auf dem Friedhof. Das Grab meiner Frau ist gleich neben dem ihres Vaters. Wir unterhalten uns oft. Ich konnte feststellen, dass wir einige Gemeinsamkeiten haben. Wissen Sie, das Leben ist für uns noch nicht vorbei.“
Jutta nickt ihm zu und hofft gespannt, dass er bald zum Ausdruck bringt, was er eigentlich sagen will. Aber er macht erst einmal eine längere Pause.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragt sie.
„Eigentlich gar nicht“, antwortet er.
„Dann weiß ich nicht, was sie von mir wollen.“
„Wissen Sie, ich möchte nichts falsch machen. Vielleicht erzähle ich Ihnen einfach, was mir auf der Seele liegt.“
Jutta nickt ihm aufmunternd zu.
„Meine Frau ist schon seit zwei Jahren nicht mehr da. Sie ist an Krebs gestorben.“
Wieder macht er eine Pause und schluckt die aufsteigenden Tränen runter.
„Das tut mir leid“, sagt Jutta. „Sicher war das eine schwere Zeit für Sie.“
„Das können sie glauben. Für mich war das Schlimmste, dass ich ihr nicht helfen konnte.“
Er atmet tief durch und spricht nicht weiter.
„Und was hat das mit meiner Mutter zu tun?“, fragt Jutta, um ihn auf den Punkt zu bringen.
„Nichts. Es geht eher um meine Tochter.“
Jutta schüttelt den Kopf, denn sie versteht nun gar nichts mehr. Herr Winkler grübelt und sucht nach den passenden Worten.
„Wissen Sie, ich will nichts falsch machen“, sagt er noch einmal und sieht Jutta direkt in die Augen.
„Herr Winkler, nun sagen Sie einfach hintereinander weg, was sie bedrückt und ich sage Ihnen dann, ob ich es für falsch oder richtig halte.“
„Sie haben ja Recht. Ich will Sie gar nicht lange aufhalten.
Seit Tagen überlege ich schon, ob ich überhaupt zu Ihnen kommen soll.“
„Nun sind sie einmal da – also raus mit der Sprache“, muntert Jutta ihn auf.
„Meine Tochter verlangt von mir, dass ich allein bleibe. Nur so kann ich das Andenken an meine Frau bewahren, sagt sie. Sie hat mich aber schon mehrmals erwischt, wie ich mit ihrer Mutter auf dem Friedhof gesprochen habe und sie auch in meiner Wohnung angetroffen. Daraufhin hat sie mir eine unschöne Szene gemacht und seit diesem Tag kein Wort mehr mit mir gesprochen. Ich bekam nur einen Brief von ihrem Anwalt, in dem sie ihren Erbteil fordert. Sollte ich zur Vernunft kommen, dann würde sie darauf verzichten und sich um mich kümmern.“
In seinen Augen schimmern Tränen.
„Das ist ja Erpressung“, rutscht es Jutta raus. Sie kann das Gehörte kaum begreifen. „Wie kann ich Ihnen dabei helfen? Wollen Sie etwa, dass ich mit Ihrer Tochter spreche? Da bin ich nicht gut drin. Wissen Sie, ich habe gerade die Trennung von meinem Mann zu verkraften und genug eigene Probleme.“
„Nein, nein“, wehrt er ab und schüttelt den Kopf. „Das sollen Sie nicht.“
Darüber ist Jutta sehr erleichtert. Nach längerer Überlegung sagt sie: „Das finde ich ziemlich egoistisch von ihrer Tochter. Sie sollte doch froh sein, wenn es Ihnen gut geht. Hat sie keine eigene Familie, um die sie sich kümmern kann?“
„Doch. Aber ihr Mann hat sich nach dieser Aktion von ihr getrennt. Er findet das auch nicht schön. Traurig macht mich ganz besonders, dass mein Enkel darunter leidet. Meine Tochter hat ihm den Kontakt zu mir und seinem Vater verboten.“
„Das ist ja furchtbar. Da merke ich erst mal, wie gut es mir eigentlich geht“, stellt Jutta fest.
„Mein Schwiegersohn kommt mich ab und zu besuchen. Aber das tut uns beiden nur weh“, sagt Herr Winkler.
„Das kann ich mir vorstellen. Ich weiß aber immer noch nicht, was ich damit zu tun habe.“
„Ja, also. Weswegen ich zu Ihnen gekommen bin .....“
Es fällt ihm sichtlich schwer, sein Anliegen vorzubringen.
Jutta sieht ihn mit einem auffordernden Augenaufschlag an.
„Ich würde mich gern weiter mit Ihrer Mutter treffen, habe aber Angst, dass sie dann Ärger mit Ihnen bekommt.“
„Mit mir?“, fragt Jutta erstaunt. „Warum das denn? Hat sie so etwas angedeutet?“
„Nein. Wir haben darüber noch gar nicht gesprochen. Eigentlich wollte ich erst einmal Ihre Meinung hören und Sie um Erlaubnis fragen. Nicht, dass Sie Ihre Mutter auch verklagen.“
„Ich verstehe. Darüber müssen Sie sich keine Gedanken machen. Ich leide eher darunter, dass meine Mutter so traurig und unzufrieden ist und weiß gar nicht, wie ich ihr entgegentreten soll. Also, wenn Sie meine Erlaubnis wollen, die haben Sie“, grinst Jutta jetzt übers ganze Gesicht. „Für mich wäre das die Lösung eines großen Problems. Ich wünsche Ihnen viel Glück und starke Nerven, denn die werden Sie brauchen, um meine Mutter für sich zu gewinnen. Es wird viel Geduld nötig sein.“
„Ich weiß. Die Geduld werde ich aufbringen. Ihre Mutter ist eine nette Frau. Und wer sollte sie mehr verstehen, als ein alter Witwer?“
Jutta nickt ihm zustimmend zu.
Herr Winkler steht auf und geht in den Flur.
„Ich bin sehr erleichtert und danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben. Aber jetzt möchte ich Sie nicht länger belästigen.“
„Das war eine eher angenehme Belästigung“, lächelt Jutta. Sie ist so froh, dass sich mit etwas Glück die Unzufriedenheit ihrer Mutter in nächster Zeit eventuell in Luft auflösen wird. Sie begleitet ihren Gast zur Tür.
„Herr Winkler“, sagt sie zu ihm, „es ist vielleicht besser, wenn Ihr Besuch unter uns bleibt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Mutter glücklich wäre, wenn sie davon erfährt. Wir können uns ja einmal rein zufällig auf dem Friedhof begegnen und uns dann erst kennenlernen. Warum unnötig neue Probleme heraufbeschwören.“
Er nimmt Juttas Hand und drückt sie fest. „Vielen Dank. Es hat mir sehr gut getan, mit Ihnen zu reden.“
Jutta nimmt die Tassen vom Tisch und stellt sie in den Geschirrspüler. Danach legt sie sich auf die Couch.
„Töchter gibt’s. Da sollte sich meine Mutter doch mal darüber Gedanken machen. Der Enkel von Herrn Winkler tut mir leid. Wie kann eine Mutter sich nur so egoistisch verhalten?“, denkt sie.
Die Ereignisse und die Erschöpfung der letzten Wochen haben sie so geschafft, dass sie nach dieser guten Nachricht einfach einschläft.
Im Traum findet sie sich auf einer großen Wiese wieder. Sie sieht ein älteres Paar, das Hand in Hand spazieren geht. Die beiden drehen sich zu ihr um und winken. Sie erkennt Herrn Winkler und ihre Mutter. Glücklich winkt sie zurück. „Mama, sieh mal wie ich reiten kann“, hört sie ihre Tochter rufen. Jenny sitzt auf einem Pferd und galoppiert an ihr vorbei. Sie winkt auch ihr zu. Plötzlich spürt sie, dass Arme sie von hinten umschlingen. Sie dreht sich um. Markus sieht sie liebevoll an und gibt ihr einen Kuss auf die Wange. So zufrieden hat sie sich noch nie gefühlt und wünscht sich, dass dieser Moment ewig hält.
„Mama, ich bin wieder da. Mama! Wieso schläfst du um diese Uhrzeit?“, ruft Jenny und rüttelt sie unsanft an der Schulter.
Langsam kommt Jutta zu sich. Sie kann sich nur schwer von diesem Traum lösen.
„Ich muss wohl eingeschlafen sein“, sagt sie verträumt und seufzt. „Wie war es auf dem Reiterhof? Hast du fleißig geübt, damit ich dich morgen bewundern kann?“
„Ich trainiere jeden Tag. Oma Hedwig freut sich schon, dass sie dich mal wiedersieht. Sie hat gesagt, dass ich dir sehr ähnlich wäre. Ich weiß aber nicht, ob ich darüber glücklich sein soll.“
„Du kannst doch nicht einfach Oma zu Frau Schumann sagen“, sagt Jutta und ignoriert Jennys Bemerkung einfach, denn sie will sich nicht schon wieder ärgern.
„Doch“, erwidert Jenny. „Sie hat es mir gleich angeboten. Alle sagen Oma Hedwig zu ihr. Und bevor du weiter rummeckerst, wir sagen auch Onkel Heinrich zu ..... Onkel Heinrich“, sagt sie und bemerkt, dass sie gar nicht weiß, wie Onkel Heinrich mit Nachnamen heißt. „Nur Andy sagt Chef zu ihm.“
„Das gefällt deiner Oma sicher nicht“, sagt Jutta. „Sie war früher schon nicht gut auf Frau Schumann zu sprechen, weil wir uns bei ihr so wohl gefühlt haben. Ich habe nichts dagegen, wenn du deine Freizeit auf dem Reiterhof verbringst, solange du die Schule und mich nicht vernachlässigst“, sagt Jutta.
„Ja, ja und Papa und Oma und Opa und Cynthia und dann vielleicht noch das Baby“, sagt Jenny genervt und verdreht die Augen. „Muss ich wirklich eine ganze Woche zu denen? Bitte, bitte, Mama, tue etwas dagegen. Ich kann Cynthia nicht ausstehen und ihr geht es mit mir genauso. Das wird der reinste Zickenkrieg. Sie lässt sich bestimmt anmerken, dass ich ihr auf die Nerven gehe. Oma und Opa schlagen sich sicher auf der ihre Seite, weil die ja bald den langersehnten Erben anschleppt, und ich stehe wieder alleine da. Und hier werde ich sooo viel verpassen. Ich bin jetzt schon traurig.“
„Ich kann dir dabei nicht helfen. Ruf doch Nicole mal an. Ihr habt euch länger nicht gesehen und versteht euch vielleicht wieder besser. Oder du unternimmst mit Oma etwas, dann vergeht die Zeit schneller“, schlägt Jutta diplomatisch vor. „Außerdem bist du noch ein paar Tage hier. Vielleicht hängt dir das Rumgereite bis zur Abfahrt zum Hals raus und du bist froh, dass du so lange bei Papa sein darfst.“
„Niemals werde ich genug von Lumpi bekommen!“, sagt Jenny entschieden. „Das hättest du wohl gerne? Aber da mache ich dir einen Strich durch die Rechnung. Du wirst morgen staunen, was der für ein Prachtkerl ist.“