Читать книгу Alles wird gut ... - Heidi Dahlsen - Страница 24
1.20
ОглавлениеJutta liegt zu Hause auf ihrem Bett und heult, was ihre Tränendrüsen hergeben. Sie kann sich nicht erinnern, jemals so außer sich gewesen zu sein. Wahrscheinlich hatte sie noch nie genug Grund, dermaßen aus der Haut zu fahren.
„Im Büro kann ich mich nie wieder sehen lassen. Markus ist ab sofort Luft für mich. Hoffentlich hat niemand den wahren Grund für meine Verzweiflung erraten“, hofft sie und putzt sich geräuschvoll die Nase.
Nur gut, dass Jenny sie so nicht sehen muss. Wie sollte sie ihr das erklären?
„Deine Mutter ist verliebt bis über beide Ohren und hat aus lauter Verzweiflung einen filmreifen Abgang in der Agentur hingelegt.“
Sie ignoriert das Läuten ihres Telefons. Da der Anrufer jedoch hartnäckig versucht, sie zu erreichen, hebt sie den Hörer ab und sagt kläglich: „Ja.“
„Jutta, bist du es?“, vernimmt sie Lydias Stimme.
„Ja.“
„Was ist los? Olli hat mich angerufen, ob ich bei dir mal nach dem Rechten sehen kann. Brauchst du Hilfe? Soll ich vorbeikommen?“, fragt Lydia besorgt.
„Nein. Mir geht’s schon wieder besser. Ich weiß doch auch nicht, was los ist“, schwindelt sie ihre Freundin an und hat sofort ein schlechtes Gewissen. „Vielleicht war alles etwas viel, was in den letzten Wochen auf mich eingestürmt ist.“
„Das ist ja auch nicht leicht zu verkraften. Olli hat gerade die Aussprache mit Tom. Danach wird er zu dir kommen und dich informieren, wie es im Büro weitergeht. Das soll ich dir ausrichten. Ich drücke euch allen die Daumen.“
„Danke, dass du Bescheid gesagt hast.“
„Reg dich nicht auf. Du wirst sehen, es dauert nicht mehr lange und es geht dir besser. Wir sind doch auch noch da.“
„Ich weiß. Das ist lieb von euch.“
„Wenn du mich brauchst, rufst du sofort an. Okay?“
„Ja, mache ich. Danke, Lydia.“
„Schon gut. Dafür sind doch Freunde da.“
Jutta geht duschen und zieht sich um.
Es dauert auch gar nicht lange und Olli klingelt. Sie bittet ihn rein, kann ihm aber nicht in die Augen sehen. Am liebsten würde sie vor Scham im Boden versinken.
„Jutta, was ist los?“, fragt er fürsorglich.
„Es geht mir schon wieder besser. Erzähl doch lieber, wie Tom sich entschieden hat“, lenkt sie von sich ab.
„Du hast uns vielleicht einen Schreck eingejagt. Markus wollte mit herkommen. Aber ich habe ihm gesagt, dass es vielleicht besser wäre, wenn ich erst einmal allein mit dir rede. Außerdem habe ich die älteren Rechte.“
„Nun fang du doch nicht auch noch an“, sagt sie gequält.
Olli ist überrascht und sieht sie verblüfft an.
„Du scheinst wirklich ganz schön durcheinander zu sein. Verstehst nicht mal mehr einen kleinen Spaß von deinem ältesten Freund.“
„Was wird denn nun mit der Agentur? Das ist doch für dich am wichtigsten“, fragt sie.
„Mein Anwalt hat mich gut auf das Gespräch mit Tom vorbereitet. Du wirst sehen, der bringt dich auch schnell durch die Scheidung“, will er Jutta trösten.
Sie zieht jedoch die Stirn in Falten. Olli hat Angst, dass sie gleich wieder in Tränen ausbricht und spricht sofort weiter: „Das war jetzt wohl nicht so günstig. Entschuldige bitte. Ich bin nicht sehr geübt darin, Frauen zu trösten. Also, ich habe die Kontoauszüge mit seinen privaten Abbuchungen, den Pfändungen sowie das ganze Material seiner eigenen Firmengründung wortlos vor ihm ausgebreitet. Er war erstaunt und fragte dann, woher ich das habe und wollte wissen, wer in seinen Dateien spioniert hätte. Ich habe ihm aber nochmals gesagt, dass das der Computer der Agentur ist – ich also jederzeit das Recht hatte, auch damit zu arbeiten. Wenn ich dabei zufällig seine agenturschädigenden Heimlichkeiten gefunden habe, ist das nicht mein Problem. Ich habe ihm einfach mitgeteilt, dass wir pleite sind, und sollte er der Trennung nicht zustimmen, ich meine Aktivitäten ebenfalls einstellen werde. Einen finanziellen Ausgleich hat er nicht zu erwarten, da er seit Monaten seine Anteile ohne schlechtes Gewissen eingestrichen hat. Außerdem würde ich die von ihm verursachten Kosten, die mit unserem ursprünglichen Vorhaben nichts zu tun haben, die Pfändungen und alles andere mit verrechnen. Entweder er gibt sofort sein Einverständnis für die Vertragsauflösung, oder wir gehen in Konkurs.
Er lachte mich an und meinte höhnisch, wenn ich es auf die Spitze treibe, wird es eine Zwangsversteigerung auch meines Privatbesitzes geben. Er kann sich nicht vorstellen, dass ich es darauf ankommen lassen würde. Die Blöße würde ich mir nicht vor Sybille und ihrem Vater geben wollen. Ich habe ihn aber ganz schnell von seinem hohen Ross runtergeholt und das Grinsen verging ihm, als er hörte, dass mein Schwiegervater diese Pleite schon vor Jahren mit eingerechnet und die Villa nur Sybille geschenkt hat. Ich habe also nichts zu verlieren, wogegen er wohl mit seiner Frau gemeinsam noch über ein Haus verfügt, auf das sich der Pleitegeier freuen wird.
Er hat dann nicht mehr lange überlegt und die vorbereitete Vereinbarung unterschrieben. Ab heute kann er sehen, wie er allein klarkommt. Jedenfalls nicht mehr auf meine Kosten. Er hatte es dann ziemlich eilig und hat sich verabschiedet – aber nicht, ohne mir noch zu sagen, dass ich schon sehen würde, wie weit ich ohne ihn komme.“
Olli sieht Jutta hocherfreut an und wartet auf ihren Jubel. Sie sagt nur: „Ist ja prima für dich.“
„Weißt du denn nicht, was das bedeutet?“, fragt er sie und bemerkt, dass sie nicht bei der Sache ist.
„Du hast ab heute einen Job und guckst, als hätte ich gesagt, dass du nicht mitarbeiten darfst. Wo ich dir doch so viel zu verdanken habe.“
Jutta nickt. Die Tränen laufen ihr wieder über die Wangen. Olli ist ratlos und nimmt ein Taschentuch aus der Großpackung, die auf dem Tisch liegt.
„Nun sag doch endlich was los ist. Willst du den Job nicht mehr?“
„Ich glaube, ich kann ihn nicht annehmen. Ich schaffe das einfach nicht“, sagt sie betrübt. Sie sieht in Gedanken Markus vor sich und heult weiter.
„Wir helfen dir doch alle. Grit kann mit dir so lange zusammenarbeiten, bis du dir sicher bist. Gib doch nicht einfach auf. So kenne ich dich gar nicht“, rätselt er am wahren Grund vorbei.
„Das ist es doch nicht“, sagt Jutta.
„Was dann? Sag es doch endlich.“
„Das kann ich nicht“, sagt Jutta und schüttelt energisch den Kopf.
„Soll ich dich zum Arzt fahren?“, bietet Olli ihr an.
„Der kann mir auch nicht helfen.“
„Möchtest du lieber allein sein? Damit du in aller Ruhe nachdenken kannst. Wenn du eine Entscheidung getroffen hast, gibst du mir Bescheid. Einverstanden?“
„Ich muss erst mal mit mir selbst ins Reine kommen.“
„Wenn du Hilfe brauchst, rufst du sofort an“, sagt Olli zum Abschied.
„Das mache ich.“
Jutta ist das ganze Wochenende allein zu Hause und quält sich mit ihren Gedanken. Sie weiß einfach nicht, was sie machen soll. Markus kann sie nie wieder unter die Augen treten, so sehr schämt sie sich für ihr Verhalten.
„Der muss doch denken, dass ich total durchgeknallt bin“, denkt sie verzweifelt.
Sowie sie ihre Augen schließt, sieht sie Markus vor sich, wie er sie anschaut und dann wieder, wie entsetzt er über ihren Ausbruch gewirkt hat.
Nur am Rande kann sie sich Gedanken über die Situation in der Agentur machen. Sie hat gehört, was Olli ihr berichtet hat, aber nur so viel verstanden, dass es wohl gut für ihn ausgegangen ist. Alles andere ist ihr im Moment ziemlich egal.
„Wenigstens hat einer von uns Glück. Und falls er die Probleme in seiner Ehe lösen kann, dann freue ich mich gleich noch einmal für ihn“, denkt sie.
Jenny hat das Wochenende auf dem Reiterhof verbracht. Sie ruft Jutta am Sonntagnachmittag an.
„Janek hat den ersten Platz gemacht. Andy zwar nur den dritten, aber er ist trotzdem super gut geritten“, sagt sie aufgeregt. „Vor achtzehn Uhr musst du nicht hier sein, um mich abzuholen“, fällt ihr der Grund des Anrufes ein.
„Du weißt aber, dass du noch packen musst. Morgen neun Uhr geht dein Zug“, erinnert Jutta sie.
„Das schaffe ich schon. Ich brauche ja nicht viel.“
„Na gut, wie du meinst. Bis nachher.“
Auf der Fahrt zum Reiterhof fällt Jutta ein, dass ja ganz zufällig auch Markus seinen Sohn abholen könnte.
Sie schickt ein Stoßgebet gen Himmel: „Oh Gott, erspare mir die Konfrontation mit ihm.“
Langsam fährt sie auf den Parkplatz und hält Ausschau nach seinem Auto, kann es jedoch nicht entdecken. Sie steigt aus und geht zur Reiterklause. Herr Schumann kommt ihr entgegen und begrüßt sie freundlich.
„Da ist ja die Mutti von unserem fleißigen Lieschen. Lob, für so ein grundanständiges Kind. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Jenny für eine Ferienwoche zu uns einlade? Nicht, dass Sie denken zum Arbeiten“, ergänzt er schnell. „Nein, so richtig zur Erholung.“
„Darüber können wir nächste Woche sprechen. Morgen fährt sie erst einmal zu ihrem Vater“, sagt Jutta etwas abwesend und sieht sich um.
„Sie sehen aus, als wäre der Teufel hinter Ihnen her“, sagt Herr Schumann. „Geht es ihnen nicht gut? Sie brauchen sicher mal Urlaub.“
„Nein“, sagt Jutta. „Es wird schon besser.“
„So eine Trennung ist nicht einfach. Wenn sie mal auf andere Gedanken kommen wollen, dann können sie gern hier etwas Zeit verbringen und auch reiten“, bietet er Jutta an.
„Danke. Das ist nett von Ihnen. Bei Bedarf komme ich darauf zurück. Jetzt muss ich aber meine Tochter suchen. Sie hat noch einiges zu tun, bis ihr Zug fährt. Vielen Dank, dass sie so nett zu ihr sind. Das tut ihr gut.“
Jenny kommt mit Janek die Treppe runter.
„Mama, darf Janek noch ein Weilchen mit zu uns kommen? Seine Eltern haben keine Zeit ihn abzuholen.“
Jutta rutscht das Herz fast in die Hose. Ihre Hände zittern.
„Mama, was hast du denn? So schlimm ist das doch nicht. Janek ist ganz in Ordnung und macht keinen Ärger.“
„Na gut“, stimmt Jutta zu.
In ihrem Kopf dreht sich alles. Wie soll sie nachher nur Markus gegenübertreten, falls er seinen Sohn bei ihr abholen wird?
Jenny plappert die ganze Fahrt ununterbrochen über ihr tolles Wochenende.
„Und was hast du gemacht, Mama?“, fragt sie.
„Nichts weiter. Es war ziemlich langweilig ohne dich.“
„So, so, das höre ich gern. Du musst ab morgen leider noch viel länger auf mich verzichten. Und ich werde Oma Hedwig und den Hof sehr vermissen“, sagt Jenny traurig.
„Herr Schumann hat mich gefragt, ob du eine Woche Reitferien bei ihm machen darfst“, sagt Jutta, um ihre Tochter auf andere Gedanken zu bringen.
„Wirklich? Oh, das erlaubst du doch? Bitte.“
„Natürlich. Ich freue mich sehr, dass es dir hier gefällt.“
„Janek, bist du dann auch auf dem Hof?“, fragt Jenny.
„Nein, wir fahren drei Wochen in Urlaub. Aber für mich sind Reitferien nichts Besonderes mehr. Da lasse ich gern Platz für solche Anfänger wie dich“, antwortet er.
Zu Hause angekommen, nimmt Jenny Janek mit in ihr Zimmer.
Jutta bleibt mit ihren Gedanken allein.
„Wenn Markus drei Wochen nicht in der Agentur ist, könnte ich in dieser Zeit ins Büro gehen“, überdenkt sie ihre Lage. „Vielleicht hilft mir der Abstand, um ruhiger zu werden und etwas über meine Gefühle für ihn hinwegzukommen. Irgendwann muss sich dieses Affentheater in meinem Kopf ja geben. Schließlich bin ich schon lange erwachsen.“
Als es klingelt, zuckt sie zusammen. Sie ist sich sicher, dass das nur Markus sein kann, der seinen Sohn abholt.
„Wenn ich Glück habe, ist es nur Janeks Mutter. Die kennt mich ja nicht“, macht sie sich selbst Mut.
Sie öffnet die Tür und sieht sich einem großen bunten Blumenstrauß gegenüber.
„Nein“, sagt sie vorwurfsvoll und fängt wieder an zu zittern.
Hinter dem Strauß kommt das Gesicht des verunsicherten Herrn Winkler zum Vorschein.
„Ach, Sie sind das“, sagt Jutta erleichtert. „Ich dachte schon ..... Kommen Sie doch rein. Die sind ja wunderschön. Das wäre doch nicht nötig gewesen .....“
Herr Winkler steht etwas ratlos im Flur.
„Sie haben Glück. Wir sind auch eben erst nach Hause gekommen. Bitte, setzen Sie sich doch.“
„Ich wollte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie so freundlich zu mir waren, als ich Sie letztens überfallen habe“, sagt er.
„Wie geht es denn mit meiner Mutter voran?“, fragt Jutta und ergänzt, „Wenn ich das fragen darf?“
„Es ist schwierig. Aber mit Geduld und Zeit, die ich ja reichlich habe, wird sie hoffentlich zugänglicher. Zumindest durfte ich schon einmal zu ihr zum Kaffee kommen. Nächsten Samstag wollen wir einen Tagesausflug machen.“
Jenny kommt ins Wohnzimmer und fragt: „Mama, darf Janek mal telefonieren?“
Sie schaut Herrn Winkler an, überlegt kurz und sagt: „Guten Abend. Sie habe ich doch schon mal gesehen. Wo war das bloß?“
„Das ist Herr Winkler. Er pflegt das Grab neben Opas“, erinnert Jutta ihre Tochter.
„Ach ja“, sagt Jenny.
Janek steht im Flur und schaut neugierig ins Wohnzimmer.
„Opa? Was machst du denn hier?“, fragt er überrascht.
„Mein Junge, dass ich dich mal wiedersehe“, sagt Herr Winkler und breitet seine Arme aus.
Janek lässt sich nicht lange bitten und stürmt seinem Opa entgegen.
Jutta gibt ihrer Tochter ein Zeichen und beide verschwinden in Jennys Zimmer, um dem unverhofften Wiedersehen nicht im Weg zu stehen.
„Wie weit bist du denn mit Einpacken?“, fragt Jutta und beginnt, in Jennys bereitgelegten Sachen zu wühlen.
„Mama, das kann ich alleine.“
„Ich möchte doch nur, dass du nichts vergisst. Dann bekomme ich wieder Ärger.“
„Werde ich schon nicht. Und ich darf wirklich eine ganze Woche in die Reitferien?“, fragt Jenny nach, denn sie kann ihr Glück kaum fassen. „Nachher rufe ich Stella noch an und verabschiede mich. Vielleicht erlaubt ihre Mutti, dass sie mitkommt. Es kann doch nicht sein, dass sie die ganzen Ferien auf ihre kleinen Geschwister aufpassen muss. Das ist ja Folter. Wie soll sie sich denn da erholen?“
„Warte nur ab, wenn dein kleiner Bruder auf der Welt ist, dann sind deine Ferien bei Papa auch wenig unterhaltsam“, sagt Jutta und geht zurück ins Wohnzimmer.
Herr Winkler unterhält sich angeregt mit Janek.
„Von meinem Enkel habe ich Ihnen doch schon erzählt“, sagt er zu Jutta.
„Ich habe ihn schon kennengelernt. Er reitet ja auch bei Schumanns.“
Herr Winkler nickt.
„Das ist für mich eine tolle Überraschung, ihn hier zu treffen. Nur gut, dass ich noch einmal zu Ihnen gekommen bin. Ich glaube fast, Sie werden zu meinem Glücksengel“, sagt er zu Jutta.
„Dagegen hätte ich überhaupt nichts einzuwenden“, sagt sie.
Janek sieht Jutta ernst an und fragt: „Sie stört das nicht, wenn Jennys Oma und mein Opa zusammen sind?“
„Warum sollte mich das stören? Es ist doch schön, wenn alle glücklich sind. Wenn ich mir vorstelle, dass mir jemand verbieten will, mich mit einem netten Menschen zu treffen, dann müsste ich über mein Verhältnis zu diesem Jemand einmal gründlich nachdenken“, sagt Jutta.
Janek sieht sie mit großen Augen ungläubig an.
„Was hältst du davon, wenn du noch ein Weilchen mit zu mir kommst, und später fahre ich dich nach Hause?“, fragt Herr Winkler seinen Enkel.
„Das wäre prima, aber ..... du weißt doch .....“
„Ach, komm schon. Wer sollte uns das verbieten?“, unterbricht er ihn.
„Ich hoffe, dass wir uns alle bald wiedersehen“, sagt Jutta zum Abschied.
„Das wäre sehr schön“, antwortet Herr Winkler.
„Das war ein etwas seltsames Treffen“, denkt sie.
Die nächsten Stunden will sie sich nur auf Jenny konzentrieren und erst später über sich und andere nachdenken.
Jenny telefoniert mit Stella und schwärmt ihr in den höchsten Tönen vom Wochenende vor.
Jutta hört: „Und Andy, der ist voll süß .....“
Jenny bemerkt, dass ihre Mutter mithören kann und schließt die Tür.
„Sollte Jenny wirklich verliebt sein? Hoffentlich nicht. In diesem Alter ist eine Schwärmerei für einen Jungen unberechenbar“, erinnert sie sich wieder an Max Schöne.
Durch Jennys Anwesenheit ist sie für ein Weilchen abgelenkt von der Achterbahnfahrt ihrer Gefühle. Ein bisschen graut ihr vor dem nächsten Tag. Sie wird Jenny früh zum Bahnhof bringen und dann .....
Die Vorstellung, dass sie allein sein wird, lässt sie etwas traurig werden.
In der Nacht schläft Jutta unruhig und träumt.
Sie sitzt im Büro. Alle Kollegen stehen um sie herum, zeigen mit den Fingern auf sie und lachen aus voller Kehle. Markus scheint über ihre Dummheit regelrecht zu triumphieren, denn es stehen ihm vor lauter Erheiterung Tränen in den Augen. Sie ist so verzweifelt darüber, dass sie schweißgebadet erwacht.
„Ob ich mal mit Christine oder Lydia über alles spreche? Hauptsache, Olli erfährt nichts von meinen Gefühlen. Er ist ein Mann und versteht so etwas sicher nicht. Der verquatscht sich vielleicht noch bei Markus und dann stehe ich total dumm da.“
Ihre Gedanken kreisen auch um Herrn Winkler und Janek. Ihr fällt ein, dass er bei seinem ersten Besuch von seinem Enkel erzählt hatte.
Wie war das?
Ach ja, er darf seinen Enkel nicht sehen.
Warum eigentlich nicht?
„Weil seine Tochter etwas dagegen hat, dass er mit meiner Mutter zusammen sein möchte“, ruft sie sich in Erinnerung. Und deshalb verbietet sie Janek den Kontakt zu ihm. Dann fällt ihr ein, dass Janek ja auch der Sohn von Markus ist.
Sofort zieht sich ihr Bauch zusammen. Sie rollt sich zusammen und beginnt wieder zu weinen.
„Sentimentale Kuh“, sagt sie zu sich, nachdem sie sich etwas beruhigt hat. „Herr Winkler hat viel größere Probleme als du.“
Also, noch einmal. Janek ist der Enkel von Herrn Winkler und der Sohn von Markus.
„Hatte Herr Winkler nicht erzählt, dass seine Tochter sich von ihrem Mann getrennt hat oder er sich von ihr?“
Jutta läuft es kalt über den Rücken.
Das würde auch den Besuch von Markus auf dem Reitplatz und die stürmische Begrüßung erklären.
„Die beiden haben sich heimlich getroffen“, erinnert sie sich, dass ihr irgendetwas seltsam vorkam. Aber mit ihrem verklemmten Denken war sie ja zu keiner optimalen Wahrnehmung mehr fähig.
Ihre Gedanken kreisen und sie kommt zu dem Entschluss, dass es wirklich so sein muss. Markus lebt nicht mehr mit seiner Frau zusammen. Selbst, dass sie sich ab und zu treffen, kann ja ganz andere als erfreuliche Gründe haben.
Als ihr das alles bewusst wird, fängt ihr Herz an zu rasen, als würde sie gerade eine Eintausend-Meter-Strecke in Bestzeit laufen.
Gleichzeitig ist sie sehr erleichtert.
Dann hat Markus ihr die ganze Zeit vielleicht nur signalisieren wollen, dass er sie näher kennenlernen möchte, oder so. „Und ich dumme Pute habe nur Rot gesehen. Wie soll ich das nur wieder geraderücken? Ich kann doch Markus nicht mehr unter die Augen treten.“
Sie erinnert sich an seinen entsetzten Gesichtsausdruck, als er ihr etwas sagen wollte, sie ihn aber nicht zu Wort hat kommen lassen. Peinlich, peinlich.
„Typisch Frau“, muss er gedacht haben. „Morgen früh bringe ich Jenny zum Bahnhof, dann tanke ich viel Mut und entschuldige mich bei allen im Büro“, nimmt sie sich vor und schon während der Überlegung, graut ihr vor der Konfrontation mit Markus.
„Danach wird eventuell alles gut, aber erst .....“, sagt sie sich, „steht mir ein schwerer Gang bevor.“
Ein bisschen kann sie sich auch wieder auf die Arbeit in der Agentur freuen. Sie wird etwas ruhiger und schläft mit einem ihr unbekannten, aber sehr schönen Gefühl im Bauch, ein.
„Mama, aufstehen! Sonst verpasse ich meinen Zug“, hört sie Jenny rufen.
Jutta setzt sich auf und sieht zur Uhr.
„Ich muss noch einmal eingeschlafen sein. Komm schnell. Ein kleines Frühstück schaffen wir noch.“
Etwas in Eile fährt sie Jenny zum Bahnhof.
„Mach´s gut, Jenny“, sagt Jutta nur zum Abschied.
„Ich rufe dich heute Abend an und sage dir, ob ich gut angekommen bin. Und wenn du dich langweilst, komme ich sofort zurück. Du musst nur etwas sagen“, sagt Jenny mit flehenden Augen.
„Das könnte dir so passen. Dann bin ich wieder schuld“, antwortet Jutta.
Beide drücken sich noch einmal fest, dann wird es Zeit, dass Jenny einsteigt. Traurig winkt sie ihrer Mutter zu, als der Zug sich in Bewegung setzt.
„Diese Besuche kann ich ihr leider nicht abnehmen“, denkt Jutta, „und würde ich auch nicht. Nie wieder dorthin zurück!“
Sehr zufrieden ist sie mit ihrer Wohnsituation und dem neuen Job, auf den sie sich immer mehr freut, das Zusammensein mit Christine, Lydia und Olli – wie sehr hatte sie doch alle vermisst. Und wenn Herr Winkler ihre Mutter mit der Zeit umgänglicher stimmt, sollte auch da Freude vorprogrammiert sein. Jenny wird sich mit ihrem Vater und den Großeltern auseinandersetzen müssen. Es ist ihre freie Entscheidung, zu Besuch zu fahren. Zwingen wird sie sie nie dazu.
Auf dem Weg zum Parkplatz überlegt sie, dass sie nur über die Straße gehen muss und schon in der Agentur ist. Sie bleibt stehen und versucht, sich zu beruhigen.
„Heute früh musste alles viel zu schnell gehen, sodass ich gar nicht überlegen konnte, was ich zu den anderen sagen soll.“
Ihr kommen Zweifel.
„Es ist vielleicht doch besser, wenn ich erst einmal nach Hause fahre und meine Gedanken sammle .....“
„Feigling“, meldet sich ihr Unterbewusstsein.
„Ja, ich weiß. Sich selbst zu belügen bringt nichts. Jutta, du gehst jetzt dort rüber und bringst in Ordnung, was du verpatzt hast!“, gibt sie sich einen Befehl.
Es fällt ihr sehr schwer, die paar Stufen zum Büro hochzugehen. Sie atmet tief ein, drückt auf die Klinke und steht schon am Empfang.
„Das ist aber schön, dass Sie kommen“, wird sie von Frau Wiehmer herzlich begrüßt. „Haben Sie es schon gehört? Herr Wagner muss die Agentur nicht schließen.“
„Ja, ich weiß. Eigentlich wollte ich mich nur kurz entschuldigen, wegen Freitag .....“, stammelt sie.
„Das müssen Sie nicht. Es ist durchaus verständlich, dass Ihnen alles über den Kopf gewachsen ist. Schließlich haben Sie eine große Verantwortung, so allein mit Ihrer Tochter. Ich sage Herrn Wagner gleich, dass Sie da sind. Er macht sich auch große Sorgen um Sie und Herr Siebert ist ratlos, weil er nicht weiß, was mit Ihnen los ist.“
Jutta packt das schlechte Gewissen, gleichzeitig ist sie aber erleichtert, dass sie den Mut aufgebracht hat, gleich reinen Tisch zu machen.
Olli hat durch die offene Tür gehört, dass Jutta da ist und kommt ihr entgegen.
„Na du? Sieht die Welt heute besser aus?“
„Ja“, sagt sie. „Olli, es tut mir schrecklich leid. Ich war so dumm. Gestern Abend hat sich alles aufgeklärt. Wenn du meinen Job noch niemandem gegeben hast, was ich jedoch durchaus nachvollziehen könnte, dann würde ich wirklich gern hier mitarbeiten.“
„Du Dummchen“, sagt Olli begeistert. „Eine engagiertere Mitarbeiterin kann ich mir nicht vorstellen. Ich mache nachher gleich deinen Vertrag fertig. Hast du am Freitag eigentlich alles verstanden, was ich dir erzählt habe?“
„Viel habe ich leider nicht mitbekommen, das Wesentliche schon“, antwortet sie und sieht sich suchend um. „Jetzt würde ich noch gern Herrn Siebert sprechen“, sagt sie zu Olli und denkt: „Auch wenn ich mich zum Trottel mache und dabei in Ohnmacht falle oder mich auf eine andere Art blamiere. Schlimmer kann es nicht mehr werden. Vielleicht sollte jemand vorsorglich den Notarzt rufen.“
„Hast du mich verstanden?“, fragt Olli.
„Äh, was? Nein, ich war in Gedanken“, stammelt sie.
Olli sieht sie besorgt an.
„Ist wirklich schon alles in Ordnung mit dir?“
„Alles noch nicht ganz. Ich müsste erst dringend mit Markus, äh, Herrn Siebert reden“, stammelt sie weiter und wird tief rot. „Auch das noch.“
Ollis Mienenspiel lässt erkennen, dass ihm langsam ein Licht aufgeht. Er schmunzelt.
„Lache nicht“, sagt Jutta. „Die ganze Sache ist schon peinlich genug.“
„Das kann man wohl sagen. Jutta, wie lange kennen wir uns? Warum hast du kein Vertrauen zu mir? Du hättest mich doch nur einmal fragen müssen. Weißt du eigentlich wie Markus drauf ist? Seit er dich zum ersten Mal gesehen hat, liegt er mir mit Lobliedern in den Ohren. Da hätte ich doch wirklich mal eher drauf kommen können, dass ihr verliebt seid. Ihr wollt erwachsen sein und stellt euch so dumm an“, schüttelt er lachend den Kopf.
„Olli, nun sag schon. Wo ist er?“, fragt Jutta ungeduldig. Sie will endlich aus dieser peinlichen Situation raus.
„Da muss ich dich enttäuschen. Er hat heute früh angerufen und gesagt, dass er heute nicht kommt, weil es ihm nicht gut geht. Jetzt weiß ich auch warum. Da müssen wir alle leider noch ein bisschen auf ein Happyend warten. Hättest du doch nur einmal den Mund aufgemacht.“
„Denkst du, das war so leicht. Ich wusste selbst nicht, was mit mir los ist. Hätten sich Herr Winkler und Janek gestern Abend nicht zufällig bei mir getroffen, wäre ich immer noch verzweifelt.“
„Was haben die denn damit zu tun?“, fragt Olli verständnislos.
„Das ist eine lange Geschichte, die ich dir vielleicht ein anderes Mal erzähle. Jetzt fahre ich erst mal nach Hause und werde mich auf den peinlichsten und dann hoffentlich schönsten Moment in meinem bisherigen Leben vorbereiten“, sagt Jutta und verlässt die Agentur.
Olli schüttelt immerzu seinen Kopf und lächelt vor sich hin. Er reibt sich vergnügt die Hände, denn er ist auch darüber froh, Tom im Endeffekt ziemlich schnell losgeworden zu sein. Wahrscheinlich hat er ihn mit dem Wunsch nach Trennung einfach überrumpelt. Soll er doch zusehen, wo er bleibt. Schaden kann er in der Agentur nun nicht mehr anrichten.
Olli nimmt das Telefon in die Hand und wählt eine Nummer.