Читать книгу Alles wird gut ... - Heidi Dahlsen - Страница 31

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„Guten Morgen. Ich habe frische Brötchen für euch mit“, wird Olli an der Eingangstür der Villa begrüßt.

„Hallo, Christine. Wir sind gerade erst munter geworden.“

„Wie geht es Richard?“, fragt sie besorgt.

„Viel besser. Er hat auf der Rückfahrt die meiste Zeit geschlafen. Jetzt hat er schon wieder Hunger. Na, wenn das kein gutes Zeichen ist.“

„Du siehst nicht gerade gut aus. Wenn du einverstanden bist, nehme ich die Jungs nach dem Frühstück mit auf den Reiterhof, und du haust dich noch einmal aufs Ohr. Sonst hältst du nicht mehr lange durch.“

„Das klingt sehr verlockend. Ich habe das Gefühl, als wäre ein Panzer über mich gerollt und meine Knochen sind bleischwer.“

„Christiiiine“, kommen die Jungs laut jubelnd die Treppe heruntergestürmt und springen ihr in die Arme.

„Na, ihr zwei Süßen. Schön, dass ihr endlich wieder da seid. Wir haben euch vermisst. Kommt, wir machen Frühstück. Danach habe ich eine große Überraschung für euch.“

„Was denn?“, fragt Bertram.

„Das wird nicht verraten. Sonst ist es ja keine Überraschung mehr. Ab mit euch in die Küche.“

Als die Jungs außer Hörweite sind, sagt sie zu Olli: „Richard sieht wie ein kleiner Geist aus. Aber das bekommen wir wieder hin. Holst du die Jungs heute Abend ab? Dann kannst du erzählen, wie es in Frankreich war. Wir werden uns jetzt beeilen, damit du wieder ins Bett kommst.“

„Ich rufe nur mal kurz in der Agentur an, damit Markus weiß, dass ich am Nachmittag vorbeikomme. Es lässt mir keine Ruhe, dass ich gerade jetzt nicht da sein konnte und die ganze Verantwortung auf ihn abwälzen musste.“

Er geht ins Wohnzimmer, um ungestört zu telefonieren.

Christine belegt die Brötchen mit Bärchenwurst.

„Man könnte denken, ihr seid hungrige Wölfe. So einen großen Appetit habt ihr“, stellt sie zufrieden fest.

„Sag schon, Christine. Was machen wir nachher?“, bettelt Richard.

„Wir fahren auf den Reiterhof. Tilly und Oma Hedwig warten auf euch.“

„Juhu. Dürfen wir reiten?“, fragt Bertram.

„Natürlich, aber nicht auf dem Hund“, sagt Christine und sieht ihn gespielt streng an.

Bertram grinst und senkt schuldbewusst den Blick.

„Dommt Daniel auch mit?“, will er wissen.

„Er ist zu Hause geblieben und spielt den ganzen Tag nur Fußball“, antwortet Christine.

„Dürfen wir auch mitspielen?“, fragt Richard.

„Ja, aber erst fahren wir zu den Ponys. Seid ihr fertig?“

Beide sehen Christine mit großen Augen glücklich an und nicken.

„Ab mit euch, Hände waschen und dann kann es losgehen.“

Die Jungs sausen ins Bad.

„In der Agentur ist alles in Ordnung“, sagt Olli nach dem Anruf bei Markus erleichtert. „Die beiden sind ja total aufgedreht. Wie leicht es ist, sie zu begeistern. Ich verstehe nicht, dass Sybille dazu nicht fähig ist.“

„Sie hat es eben nie gelernt. Ihr wurde nur beigebracht, eine Familie zu versorgen, und auch nicht, sie zu lieben“, antwortet Christine.

„Du hast wie immer Recht. Jemanden zu lieben kann man wirklich nicht lernen.“

Die Jungs kommen laut lachend wieder nach unten.

„Wir fahren jetzt“, sagt Christine. „Meine Mutti freut sich auch schon, und Tilly passt gut auf sie auf. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Auf dem Hof ist es zurzeit ruhig. Erst am Samstag kommen die Ferienkinder. Jutta hat mir erzählt, dass Jenny bei ihrem Vater bald durchdreht und es bei ihm kaum aushält. Jeden Tag jammert sie, dass sie nach Hause will.“

Olli schmunzelt. „Ich glaube, dass Jutta sehr froh ist, die Wohnung für sich allein zu haben.“

„Ich gönne es ihr. Sie war bisher nicht glücklich und muss bestimmt vieles nachholen. Markus ist doch sehr nett, oder?“

„Ja. Ich denke, dass die Zwei ganz gut zusammenpassen. Du wirst Markus bald kennenlernen“, verspricht er ihr.

„Ruh dich aus. Die Jungs brauchen einen starken und ausgeschlafenen Vater. Und Daniel kann es auch kaum erwarten, dass du wiederkommst. Auch, wenn er nur mit dir Fußball spielen will, aber immerhin“, lacht sie.

„Danke, Christine. Tschüss Jungs und viel Spaß“, ruft er ihnen hinterher. Sie sind aber schon an Christines Auto und klettern in ihre Kindersitze und müssen nicht einmal ermahnt werden, sich anzuschnallen.

Olli ist todmüde. Er legt sich in sein Bett und fällt sofort in einen tiefen Schlaf. Um seine Söhne muss er sich vorläufig keine Sorgen machen. Die sind in sehr guten Händen und endlich wieder glücklich.

Am Nachmittag wacht er schweißgebadet auf. Er hat geträumt, Sybille wäre gekommen. Als sie erfahren hat, dass die Kinder bei Christine sind, ist sie wütend zu ihr gefahren und wollte sie sofort abholen. Beide Frauen haben sich gestritten und an den Kleinen herumgezerrt. Er hat es dann gemeinsam mit Christine geschafft, sie von Sybille zu trennen.

Olli ist sich sicher, er wird um seine Söhne kämpfen, als würde es um sein eigenes Leben gehen.

Er geht ausgiebig duschen und fährt danach ins Büro.

Frau Wiehmer freut sich sehr, ihn zu sehen, und kocht gleich einen starken Kaffee für ihn. Auch Markus, Jutta und Grit begrüßen ihn herzlich. Alle wollen wissen, wie es den Kindern geht. Er erzählt die Kurzfassung seiner Reiseerlebnisse.

„Ab Montag habe ich ein Kindermädchen für Sie“, sagt Frau Wiehmer. „Eigentlich ist sie eher eine Kinderfrau. Ich hoffe, Sie sind mit meiner Wahl zufrieden. Frau Müller war mal Kindergärtnerin und ist jetzt in Rente. Da ihre Kinder und Enkel weit weg wohnen, hat sie viel Zeit. Sie wird sicher eine liebe Ersatz-Oma sein.“

„Danke, Frau Wiehmer. Ich wusste doch, dass ich mich auf Sie verlassen kann“, sagt er dankbar zu ihr und geht mit Markus in dessen Büro.

„Wie geht es dir? Hast du überhaupt Zeit zu arbeiten?“, fragt Olli schmunzelnd.

Markus kann sich ein glückliches Grinsen nicht verkneifen.

„Es ist alles bestens. Bin ich vielleicht froh, dass wir uns ausgesprochen haben. Jutta ist einfach wunderbar und so liebevoll“, schwärmt er.

„Schön für euch. Lässt du dich scheiden? Du weißt ja, für Jutta muss Klarheit in einer Beziehung herrschen.“

„So schnell wie möglich. Es hat doch keinen Sinn, noch lange zu warten. Ihr habt doch einen guten Anwalt. Den werde ich auch gleich engagieren.“

„Man könnte fast denken, dass das ansteckend ist“, sagt Olli. „Vielleicht bekommen wir Gruppenrabatt.“

„Wieso? Willst du dich auch scheiden lassen?“

„Natürlich. Darauf muss Sybille nicht lange warten. Was ich in Frankreich erlebt habe, reicht mir. Aber nun erzähle endlich, was ihr hier während meiner Abwesenheit ausgeheckt habt.“

Während die beiden Männer über dienstliche Angelegenheiten reden, ist Christine damit beschäftigt, den ersten Auftrag zum Abschluss zu bringen. Die Igelfamilie war eine große Herausforderung. Sie merkt aber, je länger sie sich damit beschäftigt, umso einfacher lassen sich ihre Ideen in kleine Kunstwerke verwandeln. Mit der Zeit gehen ihr die Arbeiten immer schneller von der Hand.

Tilly hat ihr Versprechen in die Tat umgesetzt und oft geholfen. Sie hat Puppensachen genäht und sogar eigene Vorschläge gemacht. Christine ist sehr stolz auf ihre Tochter und froh über den guten Draht, den sie zu ihr hat.

Olli wird staunen, wenn ich ihm nachher diese Puppen zeige“, denkt sie zufrieden.

Sie ist glücklich wie schon lange nicht mehr und ihm dankbar, dass er ihre Bärenfamilie im Internet präsentiert hat. Endlich hat sie genug zu tun. Falls wirklich noch viele Aufträge kommen sollten, wird sie sich nach einer Mitarbeiterin umsehen. Auch diesen Vorschlag von ihm findet sie gut. Er hat zurzeit genug eigene Probleme und kümmert sich auch noch um sie. Immer öfter ertappt sie sich dabei, dass sie an ihn denken muss. Olli – ihr alter Schulfreund. Das beunruhigt sie.

Sie seufzt und denkt: „Wenn mein Leben ein Roman wäre, könnte Lydia mir es einfach glücklich schreiben.“

Aber so einfach ist das bekanntlich nicht.

Sie ist sehr erfreut, als sie sein Auto vorfahren sieht und geht in die Küche, um Kaffee zu kochen.

„Christine, sieh mal, was ich noch für dich habe“, winkt er durch das offene Küchenfenster mit mehreren Zetteln und legt diese auf den Tisch. „Die Igel sehen ja toll aus“, hört sie ihn sagen. „Du bist wirklich eine Künstlerin.“

„Wenn das so weitergeht, brauche ich wirklich Hilfe“, sagt sie. „Konntest du ein bisschen schlafen?“

„Ja. Jetzt fühle ich mich besser.“

„Die Jungs waren total aus dem Häuschen als wir auf dem Hof angekommen sind. Meine Mutter meint, dass sie ruhig bis morgen bleiben können. Richard wird es gut tun. Du weißt ja, dass er bei ihr weder Hunger haben, noch Liebe vermissen wird.“

„Das ist so lieb von euch. Ich würde nachher trotzdem mal hinfahren und nach den Jungs sehen. Vielleicht wollen sie doch lieber nach Hause. Es ist schon schlimm genug, dass Sybille sie die ganze Zeit einfach an ein Kindermädchen abgeschoben hat, obwohl – bei Elisa ging es ihnen wenigstens gut. Kannst du dir vorstellen, dass die Koffer schon gepackt waren, als ich ankam? Sybille ist kurz darauf verschwunden und hat sich nicht einmal von uns verabschiedet.“

„Nein. Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Christine und schüttelt den Kopf.

„Karl-Otto soll Richard wohl keine Ruhe gelassen haben. Das hat mir Bertram auf der Rückfahrt erzählt. Er musste stundenlang Klavier üben und sollte noch englisch und französisch lernen. Es ist ja kein Wunder, dass das kleine Gehirn damit überlastet war. Wahrscheinlich will Karl-Otto etwas Besonderes aus dem Kleinen machen, weil er es selbst nicht weit gebracht hat. Es ist total übertrieben, was er jetzt schon von Richard fordert. Er hatte sich mit seiner Margarethe zu einer Bootstour verkrümelt. Der wusste sicher, dass ich ihm die Leviten lese. Und Sybille amüsiert sich Tag und Nacht mit so einem Lackaffen namens Robert von was-weiß-ich. Ist ja klar, dass kleine Kinder da stören.“

„Ist das der Robert, mit dem sie im Internat war?“, fragt Christine.

„Das weiß ich nicht. Wieso? Kennst du den?“

„Persönlich nicht, aber Sybille hat manchmal von einem Robert gesprochen und das ziemlich, wie soll ich sagen, mit etwas Glanz in den Augen. Vielleicht war er ihre heimliche Liebe.“

„Du meinst, der war so ein Max Schöne, bloß vom Internat?“, fragt Olli und kommt ins Grübeln.

„Vielleicht“, antwortet Christine. „Ich hole mal den Kaffee. Dass du Kuchen möchtest, brauche ich sicherlich nicht extra zu fragen.“

„Ach, Christine. Hier ist es sehr schön. Vorhin hatte ich so ein Gefühl, als würde ich nach Hause kommen“, sagt Olli wehmütig.

„Lydia fühlt sich hier ebenfalls wohl und Jenny neuerdings auch“, antwortet sie.

Olli sieht sie irritiert an, wird aber von dem Berg Kuchen auf seinem Teller abgelenkt.

„Mhmm, der sieht wieder lecker aus. Willst du mich mästen?“

„Das hat mich Lydia letztens auch gefragt. Hoffentlich ist sie mit dem neuen Buch bald fertig. Sie fehlt mir.“

„Frau Schumann“, hören sie Annika rufen.

„Wir sind im Garten. Tilly ist nicht da. Komm ruhig zu uns. Möchtest du ein Stück Kuchen? Dem Herrn Wagner wird es etwas viel.“

Christine schaut das junge Mädchen erstaunt an. Als sie ihre Sprache wiedergefunden hat, fragt sie: „Annika, bist du das? Was ist denn mit dir passiert? Äh, ich meine, du siehst gut aus.“

Annika hat kurzgeschnittene Haare und trägt eine enge Jeans sowie ein knallbuntes T-Shirt.

„Ja, ich bin es und ja, ich würde gern ein Stück Kuchen essen und danach zu Tilly fahren“, sagt sie und lächelt Christine an, die immer noch fassungslos ist.

„Wenn du möchtest, nehmen wir dich gleich mit“, bietet Olli ihr an.

„Das wäre nett.“

„Wie geht es dir?“, fragt Christine.

„Jetzt gut“, antwortet Annika. „Wenn Sie es erlauben, würde ich gern bei Tilly übernachten.“

„Das durftest du doch noch nie“, antwortet Christine erstaunt. „Sind deine Eltern im Urlaub?“

„So ungefähr, aber nur mein Vater. Tilly kann jetzt auch zu mir kommen, das ist kein Problem mehr.“

Christine wird neugierig, will Annika aber nicht ausfragen. Den Grund wird sie schon bald von ihrer Tochter erfahren, denn sie hat mit ihr keine Geheimnisse.

Noch nicht. Man weiß ja nicht, was noch kommt“, denkt sie. Dass sie mit ihren Kindern von Anfang an immer über alles offen gesprochen hat, zahlt sich aus.

Nach dem Kaffee geht Christine zur Wiese, um Daniel Bescheid zu sagen, dass sie bald wieder da ist. Olli hat er noch nicht gesehen, denn dann hätten sie wieder keine ruhige Minute gehabt.

Schon von weitem hat Annika Tilly entdeckt.

Kaum kommt das Auto zum Stehen, springt sie raus, läuft Tilly entgegen und ruft: „Ich muss dir unbedingt etwas erzählen.“

Tilly kommt auf sie zugeritten. Vor ihr sitzt Bertram, mit einem glücklichen Lachen im Gesicht. Sie stoppt das Pferd kurz vor Olli und lässt den Kleinen in die starken Arme seines Vaters rutschen. Er fängt seinen Sohn auf, wirft ihn in die Luft und begrüßt ihn herzlich.

„Hallo, mein Süßer.“

Tilly umarmt Annika und fragt sie leise etwas. Christine kann leider nichts verstehen. Am Gesichtsausdruck ihrer Tochter erkennt sie jedoch, dass diese nicht überrascht, eher erfreut ist.

Sie wird schon ihren Grund gehabt haben, dass sie mir nichts von Annikas Problemen erzählt hat“, denkt Christine.

„Und du, kleiner Mann, durftest auf so einem großen Pferd reiten. Das ist doch bestimmt ganz schön anstrengend“, sagt Olli zu Bertram.

Er nickt heftig, sieht Christine schelmisch an und sagt: „Auf dem droßen Hund durfte ich doch nicht. Tilly hat mich danz doll festdehalten.“

„Wo ist dein Bruder?“, fragt Olli und sieht sich um.

„Ridschi ist bei Oma Hedi und schläft.“

„Dann wollen wir mal zu ihm gehen. Christine, kommst du mit?“

„Ja, natürlich“, antwortet sie.

In der Reiterklause ist nicht viel los. Sie hören Christines Mutter in der Küche mit Töpfen und Schüsseln hantieren.

„Hallo, Mutti. Wir wollen nach den Kindern sehen.“

„Guten Tag, Frau Schumann. Wo ist Richard? Ich nehme ihn vielleicht doch lieber mit nach Hause“, sagt Olli besorgt.

„Das musst du nicht“, wehrt sie ab. „Er war die ganze Zeit draußen. Das hat ihn etwas erschöpft.“

„Ich möchte aber nicht, dass meine Jungs Ihnen Arbeit machen. Sie haben auch ohne sie genug zu tun.“

„Hier auf dem Hof werden Kinder nebenbei groß. Sie laufen nicht weit weg, weil es ständig etwas zu entdecken gibt, und mittags haben sie so großen Hunger, dass sie von allein in die Küche kommen“, beruhigt sie Olli. „Ich habe ihn im Büro auf die Couch gelegt, da habe ich ihn von hier aus etwas im Blick. Geht ruhig und seht euch den kleinen Engel an, wie ruhig er schläft.“

Christine und Olli gehen zum Büro und öffnen leise die Tür.

Richard blinzelt sie an und sagt ganz verträumt: „Papi, ich bin eingeschlafen.“

Er ist immer noch blass, aber das Leuchten in seinen Augen zeigt, dass er zufrieden ist.

„Das ist doch gut, dann hast du wieder Kraft zum Reiten. Geht es dir etwas besser?“, fragt Olli.

Der Kleine nickt und streckt Christine seine Arme entgegen. Sie nimmt ihn hoch und drückt ihn liebevoll an sich. Er schmiegt sich an sie.

„Fein, dann kannst du mit uns wieder zu den Tieren gehen“, sagt sie.

Bertram sitzt auf dem Küchentisch und ist gerade dabei, eine Schüssel mit Kuchenteigresten auszukratzen. Er grinst seinen Vater an und lässt die Füße baumeln. Olli ist sehr erfreut, den Kleinen so glücklich zu sehen.

Das haben wir als Kinder bei Frau Schumann auch immer gedurft“, erinnert er sich und sieht Oma Hedwig dankbar an.

„Lasst die Kinder ruhig hier und genießt mal eure Ruhe. Die können alle zusammen auf dem Heuboden schlafen. Wer ist eigentlich das junge Mädchen, das ihr mitgebracht habt?“, fragt sie.

„Das ist Annika“, sagt Christine und lacht über das erstaunte Gesicht ihrer Mutter. „Ich war genauso überrascht, wie du jetzt und bin gespannt, wann Tilly mir endlich erzählt, was passiert ist.“

„Sie ist ja dünn wie ein Besenstiel. Das hatte man unter diesen Riesenpullis gar nicht gesehen. Am besten sie bleibt den Rest der Ferien auch gleich mit hier, damit ich sie etwas aufpäppeln kann.“

Sie sieht zu Bertram und sagt: „Von dem Teig, den du dir ins Gesicht geschmiert hast, kann ich ja noch einen ganzen Kuchen backen.“

Mit einem feuchten Tuch putzt sie ihm die verklebte Schnute ab.

Er strahlt sie an und sagt: „Das war sooo lecker.“

„Kommt, Jungs. Wir gehen zu den Ponys“, sagt Olli und streckt ihnen seine Hände entgegen.

„Was meinst du? Kann ich die Kleinen wirklich mit hier lassen? Wird das Tilly und deiner Mutter nicht zu viel?“, fragt er Christine.

„Wenn sie es uns anbieten, sollten wir nicht ablehnen. Es ist doch schön, dann können wir endlich mal in Ruhe reden“, antwortet sie.

Die Jungs sind natürlich begeistert.

Olli sagt Tilly, dass sie auf jeden Fall anrufen soll, falls die Kleinen es sich anders überlegen.

„Wenn es dich beruhigt. Ja, ich werde anrufen“, sagt sie mit Nachdruck und fragt schelmisch: „Auch wenn es drei Uhr früh ist?“

„Natürlich“, antwortet Olli ernst.

Christine und Olli fahren zum Waldhaus zurück. Sie fühlen sich beide zwar so, als hätten sie etwas Wichtiges vergessen, sind aber darüber erfreut, dass mal kein Kind dazwischenplappert, wenn sie sich unterhalten wollen.

Daniel kommt begeistert angerannt, als er Olli sieht.

„Jetzt spielst du aber mit mir Fußball“, legt er fest, stutzt und fragt dann: „Wo sind die anderen?“

„Die schlafen alle auf dem Heuboden“, sagt Christine.

„Und ich?“

„Du spielst doch lieber Fußball“, sagt Olli.

„Oh nö, dann will ich auch zu Oma. Fußball spielen wir morgen. Ja, Olli?“

„Na gut. Hol deine Sachen. Ich fahre dich hin“, bietet Olli ihm an.

„Bin schon weg und gleich wieder da. Aber morgen spielen wir alle Fußball“, ruft er und ist schnell im Haus verschwunden.

„Und ich mache uns eine Kleinigkeit zu essen“, sagt Christine. „Die Ruhe nachher werde ich genießen.“

Später sitzen sie auf der Terrasse und sehen nachdenklich vor sich hin. Jeder ist mit seinen Gedanken beschäftigt. Nach einer Weile sagt Christine ungeduldig: „Nun erzähl doch endlich, wie es in Frankreich war.“

„Eigentlich weißt du doch schon alles. Elisa musste sich die ganze Zeit um die Kinder kümmern. Sie hat mir erzählt, dass Sybille ständig unterwegs war, auch nachts. Beim Abschied sagte sie, ich soll die Jungs vor dem alten Mann schützen. Das kam mir etwas merkwürdig vor. Aber so mies, wie es Richard ging, muss der Alte ihn ganz schön unter Druck gesetzt haben. Sybille konnte sich das alles natürlich nicht erklären. Paps kann ja tun was er will. Sie hatte es nur eilig, zu ihrem Lover zu kommen. Elisa hat mir ihre Telefonnummer gegeben und gesagt, dass sie mir helfen wird. Wenn ich in Ruhe darüber nachdenke, meinte sie wahrscheinlich bei der Scheidung. Sie war richtig erleichtert, als sie sah, wie sehr die Jungs mich lieben und dass es ihnen wenigstens bei mir gut geht. Als ich dort war, ist alles wie im Film an mir vorbeigelaufen. Die Wut auf Sybille, die Angst um die Kinder und die lange Fahrt haben mich wahrscheinlich betäubt“, erinnert er sich.

„Das ist für mich einfach unbegreiflich, dass man sich als Mutter so verhalten kann. Ich würde nicht tatenlos dabei zusehen, wenn jemand meinen Kindern weh tut“, sagt Christine.

„Du bist ja auch eine besondere Mutter. Frag mal Jutta nach ihrer, da hörst du eine ganz andere Meinung. Und warum Lydia sich weigert, ihre Eltern zu besuchen, weiß auch niemand, oder?“, fragt Olli.

Christine nickt. „Stimmt. Ich kann da nicht mitreden.“

Auf das „oder“ geht sie lieber nicht ein.

„Markus hat mir heute erzählt, dass er schnellstens die Scheidung einreichen wird. Jutta und ihn hat es voll erwischt. Amor hat ganze Arbeit geleistet. Und ich erledige das auch gleich am Montag.“

„Willst du wirklich die Scheidung, auch wenn du die Jungs an Sybille verlierst? Sie wird auf ihrem Vorrecht als Mutter bestehen, und Geld hat Paps genug für gute Anwälte.“

„Erst einmal schocke ich sie im Urlaub mit der Scheidungsklage. Sie amüsiert sich dort, das kann ich nicht zulassen. Schon dafür, was sie Richard mit ihrem Zusehen und Nichtstun angetan hat, hat sie eine Strafe verdient.“

„Du wirst sie sehr verärgern. Aber reinen Tisch solltest du schon machen. Wenn man nur immer vorher wüsste, wie alles richtig ist“, sagt sie nachdenklich und seufzt.

„Na, du hast doch alles so gemacht, wie du es wolltest und bist glücklich geworden“, sagt Olli etwas verwundert.

Christine guckt ihn erstaunt an und fragt: „Wie meinst du das?“

„Du hast zwei tolle Kinder. Hast dich zwar von ihrem Vater getrennt, bist aber trotzdem ziemlich glücklich, oder etwa nicht?“, fragt er, denn Christine sieht eher unglücklich aus.

„Ach, Olli“, sagt sie und seufzt wieder.

„Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass du nicht glücklich bist. Das hätte ich doch gemerkt, oder?“

Verwirrt sieht er Christine an.

„Ich bin zufrieden“, sagt sie nur. „Es war bisher aber nicht leicht.“

Olli ist ratlos. Sollte er so blind gewesen sein und nicht bemerkt haben, wie es Christine wirklich geht?

„Der Vater von Tilly und Daniel interessiert sich scheinbar nicht für seine Kinder, sonst hätte ich den ja mal getroffen“, stellt er fest und überlegt, ob sie vielleicht deswegen bekümmert ist.

„Ach, Olli“, sagt Christine noch einmal.

Sie sieht ihn traurig an.

„Was ist los, Christine? Ich weiß nichts von ihrem Vater. Es wurde auch nie über ihn gesprochen“, fällt ihm ein.

„Warum hast du Sybille geheiratet?“, fragt Christine und sieht Olli fest in die Augen.

Er ist über diese Frage erstaunt und denkt lange nach. Er ist sich nicht sicher, ob er ihr das wirklich sagen soll. Ihm ist jedoch bewusst, dass es keinen Sinn hat, an der Wahrheit vorbeizureden.

„Weil sie das absolute Gegenteil von dir ist“, antwortet er ehrlich.

Dann fügt er leise hinzu: „Sonst wäre ich verrückt geworden.“

Christine sieht Olli mitleidig an. Tränen sammeln sich in ihren Augen.

„Ach, Olli. Es tut mir so leid. Aber ich konnte einfach nichts dagegen tun“, sagt sie unglücklich.

„Wie meinst du das?“

Christine überlegt, ob sie ihm wirklich alles erzählen soll, denn das ist sehr schwer. Sie ärgert sich selbst genug, dass sie ihr bisheriges Leben nicht besser hinbekommen hat. Sie weiß, dass Olli für sie schon immer sehr viel empfand. Ihr hat aber irgendetwas gefehlt. Außerdem hatten die starken Gefühle für den einen Jungen sie voll im Griff und ständig überwältigt.

Olli sieht sie erwartungsvoll an.

Sie holt tief Luft und sagt: „Du weißt doch sicher noch, dass fast alle Mädchen damals für einen bestimmten Jungen geschwärmt haben.“

Seinen Namen will sie nicht nennen, denn sie hat Angst, sonst vor Scham im Boden zu versinken.

Olli überlegt kurz. Sein Gesichtsausdruck wechselt von Unverständnis über Erstaunen zu Traurigkeit. Er bemerkt, dass Christine mit sich kämpft und sich kaum überwinden kann weiterzusprechen. Die Tränen laufen über ihre Wangen. Olli zerreißt es fast das Herz, sie so sehen zu müssen.

„Es hat mich selbst fast wahnsinnig gemacht“, sagt sie hilflos. „Ich konnte aber nichts dagegen tun. Die erste große Liebe soll so besonders sein. Heute weiß ich es besser, sie tut nur weh.“

„Ich verstehe, was du meinst“, nickt er. „Mir ging es ja genauso.“

Sie schauen sich in die Augen und wissen, dass dieses Gespräch schon längst überfällig ist. Christine senkt ihren Blick und beginnt zu erzählen.

„Nach der Schule war ich froh, ihn nicht mehr sehen zu müssen und mein Gefühlschaos, wenn ich an ihn denken musste, ließ etwas nach. Voller Zuversicht begann ich mein Studium und brachte die ersten beiden Semester gut hinter mich. Während der Ferien fuhr ich mit ein paar Studienfreundinnen zelten. Ich dachte, mich trifft der Schlag, als ich sah, dass er zufällig auch da war, und versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen. Er bemerkte mich natürlich, kam auf mich zu und sprach mit mir, als wären wir schon immer die besten Freunde gewesen. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Er war – wie soll ich sagen – besonders liebenswürdig, aufmerksam und immerzu in meiner Nähe. Ich glaubte mit der Zeit wirklich, dass er es ernst meint und sich endlich auch in mich verliebt hat.“

Sie macht eine Pause, nimmt sich ein Taschentuch und wischt sich das Gesicht trocken.

„Ich erlebte das alles wie im Traum. Am letzten Tag verabschiedete er sich von mir, als gäbe es nur noch ihn und mich. Ich war wirklich davon überzeugt, dass wir uns zu Hause wiedersehen. Bald darauf kam aber schnell mein Erwachen. Ich hörte natürlich nichts mehr von ihm, merkte aber bald, dass ich schwanger war.“

Christine macht eine Pause. Olli sieht sie voller Mitleid an.

„Guck mich nicht so an“, sagt sie zu ihm. „Jetzt weiß ich auch, dass das dumm von mir war.“

Er schüttelt den Kopf und fragt erstaunt: „Und warum hast du dann nach acht Jahren noch Daniel von ihm bekommen?“

Sie ignoriert seine Frage und erzählt weiter: „Meine Mutti hat mich unterstützt. Nicht einen Vorwurf habe ich gehört. Sie war verständnisvoll und tat so, als wäre das ganz normal. Ihr ging es damals, als sie mich bekommen hat, ja auch nicht anders. Sie sagte nur: `Da wiederholt sich wohl die Geschichte´. Ich glaube, irgendwie hat sie sich sogar gefreut, dass sie Oma wird. Sie hat alles für das Baby gekauft, ein Zimmer eingerichtet und mir immer wieder Mut gemacht, denn ich war wie gelähmt. Nach Tillys Geburt hatte ich die Hoffnung, dass er kommt, um seine Tochter zu sehen. Aber nichts geschah, kein Anruf, kein Brief, kein Besuch. Sie existiert für ihn einfach nicht. Ich hatte kein Vertrauen mehr zu Männern.

Auf das Studium konnte ich mich nicht konzentrieren und habe alles hingeschmissen. Ich habe dann im Café am Markt gejobbt. Nach ein paar Jahren lernte ich dort einen Mann kennen, der verwickelte mich immerzu in Gespräche und ließ mir einfach keine Ruhe. Den konnte ich nicht abwimmeln. Ich habe es ihm schwer gemacht, das kannst du mir glauben. Er war ständig da und schwärmte von unserer gemeinsamen Zukunft.

Irgendwann waren wir dann ein Paar. So verliebt wie in Tillys Vater war ich nicht, aber es hat sich gut angefühlt.

Nach einem halben Jahr kam im Café eine Frau wütend auf mich zugestürmt. Sie warf mir vor, ich würde ihre Ehe zerstören. Das war der nächste Schock, und ich bin bald wahnsinnig geworden.

Er hatte nur noch einen Satz für mich übrig: `Jetzt, wo meine Frau weiß, dass wir ein Verhältnis haben, müssen wir das leider beenden´. Und schon wieder war ich allein, verzweifelt und schwanger. Hätte ich meine Mutti nicht gehabt, ich weiß nicht, ob ich durchgehalten hätte.

Als Daniel mir in den Arm gelegt wurde, das entschädigte mich für vieles, aber die Traurigkeit blieb. Und dann kamst du zurück – mit Sybille.“

Langes Schweigen breitet sich aus. Christine ist überwältigt von ihren Erinnerungen, und Olli muss das Gehörte erst einmal ankommen lassen.

„Meinst du immer noch, dass ich glücklich sein kann?“, fragt sie. „Tilly und Daniel zu haben, das ist mein Glück, trotz allem. Aber etwas fehlt. Manchmal denke ich, dass kann doch nicht alles sein. Dann habe ich heute schon Angst davor, allein zu sein, wenn Daniel erwachsen ist.“

„Das habe ich alles nicht gewusst“, sagt Olli. „Ich wollte meiner ersten großen Liebe nicht hinterherträumen. Mein Leben musste ja auch irgendwie weitergehen. Und Sybille – die war eben da. Du hast heute gesagt, dass sie im Internat in diesen Robert verliebt war. Dann frage ich mich jetzt natürlich, warum sie sich überhaupt mit mir eingelassen hat.“

Olli ist entsetzt und völlig durcheinander und kann gar nicht aufhören, seinen Kopf zu schütteln.

„Es tut mir alles so leid“, kann er nur immer wiederholen. „Du kannst doch nichts dafür“, versucht Christine ihn zu trösten. „Genauso wenig konnte ich etwas dafür, in diesen Angeber verliebt gewesen zu sein und auf einen verheirateten Mann hereinzufallen. Wenn es einen packt, kann man nichts dagegen tun.

Sieh dir doch Jutta an. Die hätte sich auch nicht träumen lassen, dass sie wegen eines Mannes beinahe einen Nervenzusammenbruch bekommt. Und ihren Rüdiger hat sie sicher auch nur genommen, weil er eben da war.“

„Da könntest du Recht haben“, sagt Olli.

„Und jetzt haben wir die Bescherung. Alle müssen sich scheiden lassen. Die Kinder sind unglücklich und verstehen die Welt nicht mehr“, stellt Christine traurig fest.

„Wir hätten früher darüber reden sollen.“

„Ich glaube nicht, dass das Sinn gehabt hätte. Vielleicht muss man erst erwachsen werden und dabei solche dummen Fehler machen, damit man an einem Menschen andere Werte schätzen lernt.“

Sie sieht Olli wehmütig an und hat Angst, dass für ihn die Wahrheit zu viel ist und sie ihn vielleicht verloren hat.

Olli ist geschockt über Christines Geschichte. Wenn er das doch eher gewusst hätte, dann ..... vielleicht ..... oder auch nicht. Seine Gedanken wirbeln alle durcheinander.

Er hat plötzlich das Empfinden, nur noch weg zu wollen. Er weiß auch, dass das keine Lösung ist, aber er fühlt sich mit dieser Geschichte im Augenblick überfordert. Christine hat die ganzen Jahre so schlimme Dinge durchgemacht, und er war nicht für sie da. Dieser Vorwurf gegen sich selbst haut ihn fast um. Er springt auf.

„Christine, ich werde jetzt fahren. In meinem Kopf ist gerade eine wilde Party, und meine Gefühle fahren Achterbahn. Ich muss das alles erst verarbeiten.“

Ihm fällt ein, dass seine Jungs ja noch auf dem Reiterhof sind, und er fragt: „Wollen wir morgen gemeinsam unsere Kinder abholen?“

„Wenn es dir nichts ausmacht“, sagt sie. „Du weißt doch, dass Daniel noch mit dir Fußball spielen will. Da wird dir nichts anderes übrigbleiben, als noch einmal herzukommen.“

Sie versucht zu lächeln, verzieht aber nur gequält ihr Gesicht.

„Ja, ich weiß. Ruf mich einfach an, wann ich kommen soll“, sagt er und geht, ohne sich noch einmal umzusehen, zu seinem Auto.

„Gute Nacht, Olli“, sagt Christine leise und lässt ihren Tränen freien Lauf.

Sie kann in dieser Nacht nicht schlafen. Sie weiß, dass ihr bisheriges Leben viel einfacher gewesen wäre, wenn sie Olli früher eine Chance gegeben hätte.

Aber das konnte sie nicht.

Als Olli nach Hause kommt, legt er sich in sein Bett und überdenkt das Gespräch. Er ist unendlich traurig. Am liebsten hätte er Christine in den Arm genommen und sie getröstet. Dazu fehlte ihm aber der Mut. Er weiß, dass noch einiges zwischen ihnen steht. Er fängt an zu weinen.

Einmal um seine hoffnungslose Ehe, um seine Kinder, weil er Angst hat, sie zu verlieren und ganz besonders, um seine erste große Liebe – Christine.

Alles wird gut ...

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