Читать книгу Tausche Hüftgold gegen Liebe - Heidi Oehlmann - Страница 3
1. Serena
Оглавление»Huhu Serena«, erklingt eine vertraute Stimme.
Ich zucke zusammen und drehe mich um, dann entdecke ich meine beste Freundin Isabell. Sie eilt über die Straße auf mich zu. Ihr Haar weht im Wind. Die meisten Leute, speziell die Männer, schauen ihr nach. Sie hat eine lange blonde Mähne und blaue Augen. Isi ist bildschön und besitzt eine fantastische Figur. Sie kann essen, was sie will, ohne ein Gramm zuzunehmen. Im Gegensatz zu mir.
Ich brauche Essen nur anzuschauen und schon sind meine Hüften stärker gepolstert. Und umso mehr ich zunehme, desto frustrierter werde ich. Aus Frust stopfe ich immer mehr in mich hinein. Es ist ein Teufelskreis, aus dem ich mich einfach nicht befreien kann. So oft habe ich es mit Diäten versucht und sogar mit Sport angefangen. Leider hielt ich nie lange durch. Sobald die Zahl auf der Waage stillsteht, kehrt die Frustration zurück und ich erhöhe die Kalorienzufuhr.
Wenn es wenigstens nur bei einem Stück Schokolade bleiben würde, aber bei mir muss es immer die ganze Tafel sein. Anschließend fühle ich mich mies, der Heißhunger ist noch da und ich stopfe weiterhin sinnlos Essen in mich hinein. Mit jedem Bissen sinkt meine Hemmschwelle. Erst, wenn ich kurz davor bin, mich zu übergeben, höre ich auf. Bis zu diesem Punkt dauert es bei mir inzwischen viel zu lange. An manchen Tagen nehme ich den Kalorienbedarf von einer Woche zu mir. Am nächsten Tag kommt die Reue. Sie ist so groß, dass ich mich kaum auf die Waage traue. Falls ich es schaffe, mich zu überwinden, fasse ich jedes Mal den Entschluss, nun endlich mit der Fresserei aufzuhören und eine Diät anzufangen. Nach spätestens drei Tagen geht alles wieder von vorne los. Das ist schon seit meinem 16. Lebensjahr so. Vorher war ich auch nie schlank, aber es war mir herzlich egal. Erst, als mein Interesse für Jungs da war, fing ich zwangsläufig an, mich mit meinem Gewicht zu befassen. Obwohl es so oder so hoffnungslos war. Grundsätzlich verliebte ich mich nur in die Typen, die sich für solche Mädchen wie Isi interessierten.
Inzwischen bin ich 33 Jahre alt und hatte noch nie einen Freund. Ich bin tatsächlich noch Jungfrau. Und ja, es ist mir peinlich, aber die Dinge sind, wie sie sind. Ich kann es nicht ändern. Andere Frauen in meinem Alter haben längst eine Familie gegründet. Für mich wird es immer ein Traum bleiben. Dabei wollte ich seit ich denken kann mindestens zwei Kinder bekommen.
Isabell hat auch noch keine Familie, aber sie ist näher dran. Immerhin hat sie schon den passenden Mann. Sie ist seit drei Jahren mit Alex zusammen. Die beiden wollen zusammenziehen und befinden sich zurzeit auf Wohnungssuche. Das scheint sich schwierig zu gestalten. Entweder sind die Wohnungen viel zu teuer oder sie gefallen einem von ihnen nicht.
Isi würde es ja am besten finden, wenn Alex bei ihr einzöge. Das Problem ist nur, ihre Wohnung ist eindeutig zu klein. Für Alex würde der Platz noch reichen, aber er könnte nichts von seinen Sachen mitbringen. Selbst für Isis Kram wird es allmählich eng. Die Wohnung von Alex ist zwar ein bisschen größer, für die beiden dennoch zu klein und sie gefällt meiner Freundin nicht. Das Schlimmste für sie ist, dass es keinen Balkon gibt. Das Bad ist ihr auch viel zu winzig. Isabell kämpft eben immer mit ihren Luxusproblemen. Diese Probleme hätte ich nur allzu gern. Das würde bedeuten, ich hätte jemanden an meiner Seite, der mich liebt.
Manchmal bin ich total neidisch auf Isi, aber ich gönne ihr von ganzem Herzen ihr Glück. Sie ist seit der ersten Klasse meine beste Freundin. In all den Jahren hat sie immer zu mir gehalten. Allerdings ist sie sehr direkt. Das kann ziemlich wehtun, besonders wenn es um mein Gewichtsproblem geht. Sie hat mir oft versucht zu helfen, doch ich blocke grundsätzlich alles ab, was mit Essen und Sport zu tun hat. Diese Kämpfe trage ich lieber heimlich aus.
Ihren Verkupplungsaktionen versuche ich genauso, auszuweichen. Isabell verschaffte mir mehrere Dates mit irgendwelchen Typen, auf die ich gerne verzichtet hätte. Keiner von ihnen interessierte sich je für mich. Sie glaubten wohl, ich würde so aussehen wie Isi und waren am Ende umso mehr enttäuscht, als sie mich sahen.
»Wartest du schon lange?«, fragt Isabell. Als sie den Kuchen vor mir sieht, nickt sie und gibt sich dadurch selbst die Antwort.
Ich lächle verlegen und schaufle mir ein weiteres Stück Schokoladenkuchen in den Mund. Schließlich war das Treffen im Straßencafé ihre Idee.
»Ich habe mich so beeilt, aber Alex kam zu spät zur Wohnungsbesichtigung und deshalb hat sich alles nach hinten verschoben. Du weißt ja, wie wichtig es für uns ist, endlich eine Wohnung zu finden.«
»Und? War es dieses Mal eure Traumwohnung?«, frage ich mit vollem Mund.
»Oh nein, ganz sicher nicht. Das Bad hat die Größe einer Abstellkammer. Es ist noch kleiner als das von Alex. Bis zu der Besichtigung hatte ich keine Ahnung, dass dies möglich ist.« Sie zwinkert mir zu.
Ich nicke nur. Was soll ich auch dazu sagen? Ich frage mich, ob die beiden es jemals schaffen werden, zusammenzuziehen. Mir kam schon der Gedanke, Isi könnte vielleicht noch nicht bereit dazu sein. Und ihr Unterbewusstsein teilt ihr das mit, indem ihr keine der Wohnungen gefällt. Ich weiß, das klingt total verrückt. Deshalb habe ich mich bisher nicht getraut, es ihr zu sagen. Mit jeder abgelehnten Wohnung wird die Versuchung größer, meine Vermutung laut auszusprechen. Da ich meine Freundin lange genug kenne, weiß ich, sie würde ausrasten. Das ist die einzige Motivation, meine Klappe zu halten. Im Streit fällt es mir besonders schwer, mich in Zurückhaltung zu üben.
»Einen Kaffee und einen kleinen Erdbeereisbecher ohne Sahne, bitte«, ruft Isi der Kellnerin zu. »Und du isst heute schon wieder Kuchen«, stellt sie überflüssigerweise fest und rümpft die Nase.
»Irgendein Laster braucht der Mensch schließlich«, verteidige ich mich.
»Aber doch keinen Kuchen!« Ihre Mundwinkel zucken. »Warum versuchst du es nicht mal mit Sport oder noch besser mit Sex? Das macht Spaß und ist garantiert kalorienfrei.« Sie prustet los.
Ich verdrehe die Augen. Als ob Isabell nicht wüsste, wie sehr ich Sport hasse. Und auch, dass ich trotz meines fortgeschrittenen Alters noch Jungfrau bin, ist ihr bekannt. Sie ist eine der wenigen, mit der ich dieses Geheimnis teile.
Sie lächelt mich liebevoll an. »Keine Sorge, auch für dich finden wir den passenden Deckel. In unserer Firma hat übrigens ein neuer Typ angefangen und er ist noch Single.« Isi zwinkert mir verschwörerisch zu. »Wollen wir nicht mal etwas zu viert …«
»Nein!«, protestiere ich energisch, bevor Isabell den Gedanken ausgesprochen hat. Ich weiß genau, worauf das hinauslaufen soll. Sie ist dabei einen neuen Verkupplungsversuch zu starten. »Du weißt, wie sehr ich das hasse. Ich muss alleine jemanden finden«, füge ich etwas freundlicher hinzu.
Die Kellnerin stellt wortlos den Kaffee und den Eisbecher ab und will gerade wieder verschwinden. »Ich hätte gern noch ein Stück«, sage ich hastig und deute auf meinen Teller.
Die Kellnerin lächelt mich an, aber es ist nur aufgesetzt. Schließlich muss sie zu allen Gästen freundlich sein. Ich weiß genau, was sie denkt. Es ist immer das Gleiche. Wenn sie könnte, würde sie mir sagen, dass ich fette Trulla nicht noch mehr fressen soll, weil ich meine Situation damit nur verschlimmere. Als ob ich das nicht selber wüsste.
Statt diese Worte laut auszusprechen, nickt sie nur und verschwindet.
Isi schaut mich streng an, sagt aber keinen Ton. Stattdessen löffelt sie ihre winzige Portion Eis.
Wir schweigen uns an.
Dann kommt die Kellnerin mit meinem Kuchen und stellt ihn wortlos vor mir ab. Dabei mustert sie mich mit einem frechen Grinsen.
»Wie willst du jemanden kennenlernen?«, fragt Isi, als wir wieder alleine sind.
»Keine Ahnung. Durch einen Zufall halt.«
»Aha. Und wie genau soll das gehen? Du verlässt das Haus doch nur, wenn ich dich dazu zwinge.«
»Jetzt übertreibst du aber!«, widerspreche ich.
»Stimmt, ich vergaß. Wenn es etwas zu essen gibt, kommst du freiwillig mit.«
Treffer versenkt.
Isabell hat keine Ahnung, was sie mit ihren Worten bei mir anrichtet. Sie bringt mich erst recht dazu, Trost im Essen zu suchen. Diese Seite finde ich an meiner Freundin abscheulich.
Es fällt mir schwer, meine Gefühle zu verbergen. Mir schießen die Tränen in die Augen, mein Blick wird immer verschwommener. Tröstend schaufele ich den Kuchen im Eiltempo in mich hinein. Wenig später ist mein Teller leer.
Am liebsten würde ich mir ein weiteres Stück ordern, aber ich sehe schon die Blicke der Kellnerin und höre Isabell einen ihrer dummen Sprüche aufsagen. Das kann ich jetzt nicht ertragen. Also verkneife ich es mir. Sobald ich zu Hause bin, werde ich mich am Kühlschrank zu schaffen machen und es nachholen.
»Mensch Serena, ich meine es doch nicht böse. Ich will nur, dass du endlich glücklich bist. Diese ganze Fresserei macht dich nur unglücklich. Lass uns zusammen ins Fitnesscenter gehen und einen Anfang für dein neues Leben machen. Nebenbei erstellen wir dir gleich einen Ernährungsplan. Weißt du was? Der Cousin von Alex ist Ernährungsberater. Du solltest dich mit ihm zusammensetzen.« Während Isabell ihren kleinen Vortrag hält, tätschelt sie meine Hand.
Ich schlucke und verdrehe gedanklich die Augen. In der Vergangenheit hat sie mir unzählige solcher Vorschläge unterbreitet. Bisher konnte ich alles abblocken, aber irgendwas sagt mir, dass sie sich dieses Mal nicht abwimmeln lässt. Sie scheint es todernst zu meinen. Einen Experten hinzuzuziehen, hat sie noch nie vorgeschlagen. Mich würde es kaum wundern, wenn sie mit ihm schon etwas ausgemacht hätte. »Das ist nicht nötig!«, versuche ich mich aus der Affäre zu ziehen.
»Natürlich ist es das! Morgen mache ich einen Termin bei ihm. Wir gehen zusammen da hin! Es wäre doch gelacht, wenn wir dich nicht an den Mann bringen könnten. Mit einem bisschen Tuning laufen dir die Kerle bald scharrenweise hinterher.
»Isi, bitte lass es gut sein! Es bringt sowieso nichts!«
Statt zu antworten, grinst Isabell mich an. Ich kenne dieses Grinsen genau. Es bedeutet, sie hat sich längst entschieden. Egal, was ich jetzt noch sage, ich habe keine Chance. Ich kann mir die Mühe sparen, ihr zu widersprechen.
Ich nehme einen Schluck von meinem Kaffee und hoffe insgeheim auf eine Gelegenheit, um aus der Nummer rauszukommen.