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6. Isabell

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»Guten Tag Frau Schwarz«, wird Isabell von Frau Meierbusch begrüßt, als sie an Serenas Haus ankommt. Die alte Frau schaut wie gewöhnlich aus dem Fenster und beobachtet das Geschehen auf der Straße. Damit sie das den ganzen Tag durchhalten kann, liegt ein Sofakissen unter ihren Armen.

»Guten Tag Frau Meierbusch«, antwortet Isabell und stöhnt dabei innerlich. Dieses neugierige Waschweib ist ein weiterer Grund für sie, nicht mit Serena tauschen zu wollen. Seit ihrer ersten Begegnung, als ihre Freundin damals in das Haus gezogen war, ist ihr die Frau unsympathisch. Sie beobachtet die Nachbarschaft und tratscht brühwarm alles weiter.

»Die Wolkes haben sich heute wieder gestritten. Ich war kurz davor, die Polizei zu rufen«, sagt die Meierbusch, noch bevor Isabell die Haustür erreicht hat.

Sie nickt der alten Frau zu und beschleunigt ihr Tempo, dabei zerrt sie den Haustürschlüssel aus der Tasche.

Geschafft!

Sie atmet erleichtert auf, als sie den Hausflur betritt. Nun muss sie nur noch Serenas Wohnung in der zweiten Etage erreichen, ohne einem weiteren Bewohner zu begegnen. Sie hat keine Lust auf irgendwelche Plaudereien.

Isabell fragt sich, wie Serena das aushält. Ihr fällt es schwer, freundlich zu bleiben. Irgendwann würde ihr die Hutschnur platzen. Sie hätte die Meierbusch längst in ihre Schranken gewiesen. Nur ihrer Freundin zuliebe hat sie bis jetzt geschwiegen.

Insgeheim hofft Isabell, nie so eine Nachbarin zu haben. gedanklich notiert sie sich, erst die Nachbarn in Augenschein zu nehmen, bevor sie den Mietvertrag einer potenziellen Traumwohnung unterschreibt.

Isabell öffnet die Wohnungstür. Nachdem sie die Wohnung betreten und die Tür geschlossen hat, lehnt sie sich gegen die Tür und sinkt in die Hocke. Sie atmet tief ein und lässt die Tränen raus, die sie die ganze Zeit krampfhaft zurückgehalten hat. Ihr Blick wird unscharf. Sie schließt die Augen.

Sofort kommt Perry angelaufen und fordert seine Streicheleinheiten. Er reibt seinen kleinen zitternden Körper an ihren Beinen entlang und stupst sie dabei in regelmäßigen Abständen mit dem Kopf an. Doch sie zeigt keine Reaktion.

Normalerweise macht der Kater einen großen Bogen um sie. Obwohl Katzen angeblich gerade zu den Menschen gehen, die sie nicht mögen, ist es bei Perry anders.

Isabell mag keine Stubentiger. Eigentlich kann sie Tiere überhaupt nicht leiden. Ihrer Meinung nach sind sie schmutzig, übertragen Krankheiten und machen Arbeit. Also alles, auf das sie verzichten kann. Sie könnte jedes Mal schreien, wenn Serenas Klamotten mit Katzenhaaren bedeckt sind.

»Ksch, ksch«, versucht sie ihn erfolglos zu verscheuchen.

Gedankenverloren überlegt sie, was sie tun soll. Isabell ist bemüht, vor anderen keine Schwäche zu zeigen, selbst vor Serena spielt sie möglichst die Starke. Natürlich klappt das nicht immer. Vor ihrer besten Freundin hat sie schon ein paar Mal geweint. In dieser Situation will sie besonders tough sein, aber es gelingt ihr kaum. Auf so ein Durcheinander kann man sich auch nicht vorbereiten. So etwas passiert sonst nur in Filmen.

Apropos Filme!

Irgendwann hat Isabell einen Film gesehen, indem etwas Ähnliches geschehen ist. Angestrengt versucht sie, sich zu erinnern, wie das gewesen ist. Sie weiß nur noch, dass dabei ein Mann mit einer Frau die Identität getauscht hat. Aber ihr fällt beim besten Willen nicht ein, wie die beiden das wieder rückgängig gemacht haben.

Isabell schüttelt den Kopf, als würden dadurch die Probleme verschwinden. Sie atmet noch einmal tief ein, bevor sie durch Serenas Wohnung schlendert. Sie beginnt im Badezimmer und schaut sich dort in aller Ruhe um.

Nachdem sie sich sattgesehen hat, geht sie ins Schlafzimmer. Vor dem Kleiderschrank bleibt sie stehen und betrachtet Serenas Körper im Spiegel. Dabei dreht sie sich hin und her, um ihre Figur genau zu begutachten.

Nun kann sie eindeutig sagen, dass man sich mit zu viel Gewicht auf den Rippen unwohl fühlt. Da kann ihr Serena noch so oft erzählen, wie zufrieden sie mit ihrer Figur ist.

Spätestens jetzt müsste sie es selbst gemerkt haben, wie schön und leicht so ein schlanker sportlicher Körperbau ist.

Isabell öffnet den Kleiderschrank und wühlt sich mit rümpfender Nase durch die Klamotten. Sie mochte den Kleidungsstil ihrer Freundin noch nie. Umso schrecklicher ist die Vorstellung, nun selbst diese Sachen zu tragen.

Isabell macht sich gedanklich die Notiz, in den nächsten Tagen shoppen zu gehen. Und wenn sie schon die Möglichkeit hat, will sie auch einen Termin bei ihrer Friseurin Edda machen.

»Jetzt kann ich dich verändern, wie ich es möchte. Das ist der einzige Vorteil an dem Tausch«, flüstert sie, nachdem sie den Schrank wieder geschlossen und einen weiteren Blick in den Spiegel geworfen hat.

Ihr nächster Weg führt sie ins Wohnzimmer. Vor der hässlichen dunklen Eichenschrankwand bleibt sie stehen und starrt das Ungetüm an.

Seit Serena in ihre Wohnung eingezogen ist, besitzt sie dieses Monstrum. Die Schrankwand hat Serena von ihrer Oma bekommen. Damals hatte Isabell noch Verständnis dafür. Immerhin hat man als junger Mensch nicht viel Geld und ist froh über jedes Möbelstück, das man in seiner ersten eigenen Wohnung hat. Aber nach all den Jahren hätte sie sich längst neue Möbel anschaffen können.

Isabell hatte Glück. Ihre Eltern sind gut betucht. Sie waren mit ihr damals im Möbelhaus, damit sie sich ihre erste Wohnungseinrichtung aussuchen konnte. Sie entschied sich für helle moderne Möbelstücke. Inzwischen hat sie etliche Teile ausgetauscht, weil sie sich an manchen Stücken einfach sattgesehen hat.

Unschlüssig starrt Isabell auf die Schranktüren. Sie wollte schon immer in Serenas Schrank schauen. Bisher hatte sie sich nicht getraut und auch jetzt ist sie unsicher. Sie wägt ab, ob es in Ordnung ist, in der Privatsphäre ihrer Freundin zu schnüffeln.

Nach einer Weile kommt sie zu dem Entschluss, dass sie nun in Serenas Haut geschlüpft ist und alles nutzen kann, was ihr gehört.

Sie öffnet eine Schranktür nach der anderen und wühlt darin herum.

Eine halbe Stunde später kennt sie den Schrankinhalt. Es gibt etliche Bücher, Fotoalben, Ordner mit Papieren, einiges an kitschigem Kram und natürlich eine ordentliche Menge Fresszeug.

Isabell ist drauf und dran die Süßigkeiten zu entsorgen, bis ihr eine Tafel ihrer Lieblingsschokolade ins Auge sticht. Seit Jahren hat sie auf die Schokolade mit Nugatfüllung verzichtet. Sie schaut an sich herunter und murmelt: »Nun ist es auch egal.« Mit den Worten holt sie die Schokoladentafel aus dem Schrank und plumpst damit auf die Couch. Sie reißt das Papier auf, bricht ein Stück ab, stopft es sich gierig in den Mund und lässt es auf der Zunge schmelzen. »Mmmmh, ist das gut«, flüstert sie und schließt die Augen.

Als das Schokostück verschwunden ist, schiebt sie ein weiteres nach. Das macht sie so lange, bis sich die Tafel eine halbe Stunde später aufgelöst hat.

Isabell erhebt sich und setzt ihren Rundgang fort. Der nächste Weg führt sie in die Küche, die gleichzeitig das letzte Zimmer ist. Schwungvoll öffnet sie den Kühlschrank.

Als sie den Inhalt sieht, bleibt ihr der Mund offen stehen. In den Fächern liegen nur ungesunde Lebensmittel.

Kein Wunder, dass Serena nicht abnimmt!, sagt sie gedanklich.

Sie sucht in der Küche nach einem Müllbeutel. Als sie endlich eine Tüte gefunden hat, schmeißt sie den gesamten Kühlschrankinhalt und alle ungesunden Lebensmittel, die sie sonst noch findet, hinein. Anschließend geht sie ins Wohnzimmer zurück und schreibt eine Einkaufsliste.

Auf einmal spürt sie etwas Weiches an ihrer Hand und schreit vor Schreck auf. Panisch erhebt sie sich und reißt die Augen auf. Auf der Couch steht Perry und miaut lautstark. Er springt vom Sofa und schmust schnurrend mit ihren Beinen.

»Geh weg!«, kreischt Isabell und flüchtet vor dem Kater. Doch dieser lässt sich nicht abhängen, er folgt ihr kreuz und quer durch die Wohnung. Zum Schluss rennt sie ins Schlafzimmer und schmeißt sich auf das Bett.

Perry springt ebenfalls hinauf und stupst sie unermüdlich an.

Isabell stöhnt auf, sie gibt nach und berührt seinen Kopf mit dem Zeigefinger. »Ganz ruhig! Es ist Serenas Körper, den er benutzt!«, flüstert sie sich mit gerümpfter Nase leise Mut zu.

Für den Kater scheinen ihre Worte die Aufforderung zu sein, noch näher zu kommen.

Perry scheint nicht zu merken, dass sein Frauchen nur körperlich anwesend ist.

Tausche Hüftgold gegen Liebe

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