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Das Flugangstseminar

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Fliegen war für mich das Synonym für Harakiri. Ich verreiste furchtbar gern, doch aus irgendeinem Grund hatte ich panische Angst vor dem Fliegen. Obwohl weder ich noch mein Umfeld ein negatives Erlebnis in einem Flugzeug gehabt hatte, das diese Angst hätte erklären können.

Bisher hatte mich dieser Umstand aber nie gestört. Es gab unendlich viele Orte, die man wunderbar mit dem Auto oder dem Zug erreichen konnte, und es machte mir auch nichts aus, wenn ich lange unterwegs war, um an mein Ziel zu kommen.

Doch dann passierte etwas, das in mir den unglaublichen Wunsch auslöste, ganz dringend meine Angst vor dem Fliegen zu besiegen: Der Mann, für den ich schon seit geraumer Zeit sehr ausgiebig schwärmte, zog für zwei Jahre nach Sydney. Wir arbeiteten als Kollegen zusammen, hatten uns immer gut verstanden und waren in einer kleinen Gruppe auch schon öfter gemeinsam um die Häuser gezogen. Er hatte mir von Anfang an sehr gut gefallen, doch fehlte mir der Mut, das auch offen zu zeigen. Leider neigte ich dazu, die eine oder andere Chance, die das Leben mir vor die Füße spielte, eher liegen zu lassen, als sie beherzt in die Hand zu nehmen. Ich stieg leise darüber, versuchte so zu tun, als würde ich sie gar nicht bemerken, und wenn ich mich dann doch noch einmal umdrehte, war in der Regel schon jemand anders da und wendete sie begeistert in seinen Händen hin und her.

Aber jetzt war alles anders. Denn Martin hatte mich tatsächlich gefragt, ob ich ihn in Sydney besuchen kommen wollte! Als ich seine E-Mail las, fiel ich fast vom Stuhl. Seit seiner Abreise waren unsere Mails allmählich privater geworden, doch mit diesem Angebot hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Natürlich sagte ich sofort zu, und erst danach fiel mir auf, dass ich schlecht mit dem Auto nach Sydney fahren konnte und deshalb irgendetwas unternehmen musste.

Nun befand ich mich also auf einem Flugangstseminar. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand sah ich mich um. Der Kaffee war allerdings nicht die beste Idee, da mein Puls sowieso schon raste. Ich wusste leider genau, dass es nicht genügte, dass ich wirklich sehr, sehr dringend diesen Flug nach Sydney unternehmen wollte.

Der Raum wurde langsam voller, und alle drückten sich unsicher an dem Tisch mit Kaffee und Kleingebäck herum.

In regelmäßigen Abständen dröhnten Flugzeuge über das Gebäude hinweg, als wollten sie uns Angsthasen hier unten verhöhnen. Um Punkt neun Uhr trat ein sympathisch aussehender Mann ein, der eine solche Selbstsicherheit ausstrahlte, dass er unmöglich ein Teilnehmer sein konnte.

Ich suchte mir einen Stuhl, 15 davon standen im Kreis, und ließ mich darauf plumpsen. Nach und nach setzten sich alle, und eine nervöse Ruhe legte sich über den Raum wie eine schlecht gelüftete Decke.

»Hallo miteinander, ich heiße Ken und freue mich, dass ihr gekommen seid«, begrüßte uns unser Seminarleiter und erzählte weiter, dass er diese Seminare seit vielen Jahren leitete und Diplom-Psychologe war. Sogleich erfuhren wir, dass wir uns alle duzen sollten, um eine weniger steife Atmosphäre zu haben. Danach folgte das, was wirklich niemand leiden kann, wir sollten uns einzeln kurz vorstellen und berichten, warum wir hier waren.

Da war Gerhard, ein Bauer, für den schon die Fahrt hier zum Flughafen weiter gewesen, als er bisher in seinem Leben je gekommen war. Er wollte seiner Frau einen großen Wunsch erfüllen – eine gemeinsame Reise nach Paris –, und dafür musste er seine Angst vor dem Fliegen überwinden. Neben ihm saß Gisela, die nicht nur unter Platzangst litt, sondern für die auch Zugfahren eine Qual war. Dann kam Bernd, ein Manager, der seit einem Burn-out nicht mehr fliegen konnte. Und als ich an der Reihe war, hatte ich seltsamerweise überhaupt keine Hemmungen mehr, mit der Wahrheit herauszurücken.

Nachdem die Runde beendet war, lernten wir einiges über die Angst. Wie sie entstand, welche Ursachen es dafür geben konnte und vieles mehr. Schon allein die Beschäftigung damit führte irgendwie dazu, dass ich das Gefühl hatte, tief in mir ginge eine Tür auf.

Als Ken wissen wollte, wovor genau wir denn Angst hatten, merkte ich, dass ich diese Frage nur schwer beantworten konnte. Mir lief einfach schon bei dem Gedanken, ein Flugzeug zu betreten, ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Wenn ich mir dann noch vorstellte, wie sich die Türen automatisch schlossen und wir abheben würden, konnte ich kaum atmen.

»Angst hat auch viel mit Unwissenheit zu tun, und das werden wir heute ändern!«, sagte Ken und schickte uns mit diesem Satz in die Pause.

Beim Mittagessen war die Stimmung schon viel entspannter, und wir scherzten ein wenig über die Gründe, die uns hierher geführt hatten. Nur bei Bernd und einer blassen jungen Frau, deren Namen ich mir nicht merken konnte, spielte jemand anderes eine Rolle bei der Entscheidung, dieses Seminar zu besuchen. Anscheinend war gerade die Tatsache, dass man mit oder zu jemandem fliegen möchte, die beste Motivation, um sich aufzuraffen und seinen Ängsten zu stellen.


Menschen, Koffer, Arbeiter, ständige Durchsagen, das Klappern der Anzeigentafel, Essensgerüche, und über alldem hing eine wabernde Schicht Reisefieber.

»Wenn man Angst hat, hört man auf zu atmen, der ganze Körper ist angespannt, und alles ist in Alarmbereitschaft, obwohl es dafür in der Regel keinen wirklichen Grund gibt beziehungsweise obwohl keine akute Gefahr besteht«, erklärte Ken. Dann zeigte er uns verschiedene Atem- und Entspannungsübungen. Nach einer kurzen Kaffeepause ging die Tür auf, und es erschien Kapitän Friedrich Paulsen. Er flog seit dreißig Jahren und wollte uns nun ein Flugzeug erklären. Also marschierten wir gemeinsam durch das Flughafengebäude und sahen uns um. Ein unglaubliches Gewusel herrschte hier. Menschen, Koffer, Arbeiter, ständige Durchsagen, das Klappern der Anzeigentafel, Essensgerüche, und über alldem hing eine wabernde Schicht Reisefieber.

In dem kleinen Bus, der uns zum Flugzeug fuhr, wurde ich plötzlich wieder nervös. Meine Hände waren nass, ich schwitzte, und mir war übel. Doch als ich mich umsah, musste ich grinsen, denn den anderen ging es augenscheinlich auch nicht sehr viel besser. Wir stiegen aus und standen ehrfürchtig vor der riesigen Maschine, dann marschierten wir die schmale Treppe nach oben. Drinnen war es plötzlich völlig still. Langsam gingen einige von uns weiter, ließen die Hände über die Sitze gleiten und sahen sich um. Ich stand noch nah an der Tür und kämpfte mit mir.

Friedrich war in der Zwischenzeit ins Cockpit gegangen und ließ uns per Sprechanlage wissen, was er gerade machte. Verschiedene Geräusche ertönten, die Klimaanlage, eine Hydraulikpumpe, und ich traute mich endlich ins Innere, wo ich mich auf einen Fensterplatz setzte.

Natürlich durften wir auch ins Cockpit, und als ich an der Reihe war, staunte ich über die Masse an Knöpfen, Hebeln und Anzeigen. Friedrich erklärte alles mit großer Ruhe. Wir erfuhren, dass Piloten viermal im Jahr in einen Simulator mussten, um zu trainieren. Dann durften wir die winzige Küche und auch sonst jeden Winkel dieses Kolosses begutachten.


Turbulenzen gehörten nun mal dazu, wenn man sich durch Luftmassen bewegte. Auf dem Meer wunderte sich schließlich auch niemand über die Wellen.

Theoretisch wussten wir nun genau, wie sicher das Flugzeug und das Fliegen an sich wirklich war, doch würde das reichen, um unsere Ängste zu besiegen? Friedrich erläuterte uns nun die verschiedenen Phasen eines Fluges. Turbulenzen gehörten nun mal dazu, wenn man sich durch Luftmassen bewegte. Auf dem Meer wunderte sich schließlich auch niemand über die Wellen. Da war was dran.

Mit dieser Erkenntnis endete der Tag, und wir gingen gemeinsam zum Abendessen. Danach war ich so erschöpft, dass ich mich gleich in mein Hotelzimmer zurückzog.

Morgen früh würden wir fliegen. Als ich auf dem Bett lag, fand ich den Gedanken gar nicht mehr so schrecklich. Die Beschäftigung mit der Angst hatte diesem normalerweise so machtvollen Gefühl ziemlich viel Wind aus den Segeln genommen. Ich hoffte, das würde so bleiben.

Beim Frühstück am nächsten Morgen waren alle ein wenig aufgekratzt. Mir war schlecht, und ich nahm nur einen Bissen vom trockenen Brötchen. Dann ging es los. Wir bekamen unsere Tickets in die Hand gedrückt und nun gab es kein Zurück mehr. Wieder wurden wir mit einem kleinen Bus zum Flugzeug gebracht, und während ich die Treppe hochstieg, merkte ich, dass irgendwo in meinem Kopf ein kleines Männchen schrie: Was machst du denn hier?

Als ich der Stewardess mein Ticket gab, klebte es an meinen feuchten Händen. Ich hatte einen Fensterplatz und blickte nach draußen auf den trockenen Asphalt. Ken erinnerte uns daran, tief durchzuatmen, und in dem Moment merkte ich tatsächlich, dass ich vor Nervosität kaum atmete.

Neben mir saß Bernd, der Manager, und kommentierte leise jedes Geräusch. Einerseits nervte mich sein unruhiges Gefasel etwas, auf der anderen Seite ging ich so in Gedanken mit ihm jeden Schritt des Startvorgangs durch, den wir gestern theoretisch kennengelernt hatten. Und es stimmte: Was man kannte, machte einem wesentlich weniger Angst.

Als wir starteten, umklammerten meine und auch Bernds Hände die Armlehnen. Es rüttelte und schüttelte, Turbinen heulten, und dann rollten wir los. Ken erinnerte uns daran, eine Entspannungsübung zu machen, und noch während ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren, war ich gleichzeitig völlig fasziniert von dem Anblick, den ich aus dem Fenster hatte. Plötzlich wurde es vor dem Fenster weiß, und es sah aus, als würden wir durch einen dicken Bausch Zuckerwatte fliegen. Das Flugzeug wackelte ein bisschen, und vor mir machte Gerhard ein zaghaftes Witzchen. Ich horchte in mich. Es funktionierte! Mir war klar, dass es einen großen Unterschied machte, ob ich eine Stunde flog oder den weiten Weg nach Australien antreten wollte. Aber irgendwie wuchs in mir das Gefühl, dass ich es vielleicht wirklich schaffen könnte.

Als wir zur Landung ansetzten, war ich enttäuscht, dass es schon vorbei war, denn ich hätte gern gewusst, wie es mir in zwei, drei oder noch mehr Stunden hier drin ergehen würde. Ich wollte nach Sydney, ich wollte zu Martin, und jetzt wollte ich, dass wir ganz schnell noch einmal abhoben!

Nach der Landung klatschten wir, vor allem für uns selbst. Es gehörte vielleicht nicht besonders viel Mut dazu, in ein Flugzeug zu steigen, aber umso mehr, sich seiner Angst zu stellen. Wir hatten es alle geschafft, lachten und beglückwünschten uns. Auf dem Rückflug war mein Ticket gar nicht mehr feucht.

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