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Vorwort
Оглавлениеvon Kai Twilfer
Wussten Sie eigentlich, dass mein Arzt ein Pflegefall ist, ohne krank zu sein? Ein menschlicher Pflegefall, der in seiner Praxis emotional und fachlich nicht dazu in der Lage ist, mir mal drei Minuten am Stück zuzuhören. Ein Einzelfall? Mitnichten, sonst müsste es dieses Buch wohl nicht geben. Trilliarden Menschen bundesweit gehen auch ohne Choleriker-Diagnose gern mal an die Decke, wenn es um die Themen Ärzte, Krankenhäuser und Gesundung geht.
Als man mich bat, ein Vorwort zu diesem Komplex zu schreiben, war er sofort wieder da. Mitten in meinem Kopf. Mein Arzt! Vom ersten Besuch in seiner Praxis an war mir klar, dass ich nun keine weiteren Feinde mehr im Leben bräuchte. Es handelt sich bei seiner Praxis um die klassische Einrichtung, in der nur halskranke Sprechstundenhilfen arbeiten. Frauen also, die einem beim Betreten nicht ins Gesicht schauen können, sondern stattdessen einen langgestreckten Arm mit manikürten French Nails über den Counter reichen. Und wenn man ihnen dann zehn Euro Schmiergeld in die Hand drückt, um schneller aufgerufen zu werden, folgt meist: »Mann, Praxisgebühr is’ nich’ mehr. Krankenkassenkarte, sonst läuft hier gar nix!«
Nach gut acht Stunden Intensivstudiums der Frau im Spiegel von 1994 weiß man nun alles über den Wahlerfolg von Helmut Kohl, aber noch nichts über einen möglichen Befund des Arztes.
Anschließend wechselt man von der Guantanamo-Begrüßungs-Lounge in den Hauptbahnhof. Dieser heißt in Arztpraxen Wartezimmer und beherbergt im Schnitt 146 Personen auf vier alten Stahlrohrstühlen aus dem Möbelprospekt von 1987. Die Reise nach Jerusalem macht hier also keinen Sinn mehr. Die Wartemarke suggeriert einem, dass es sogar vierstellige Nummern in diesem kleinen Plastikkasten gibt, und gerade wird die Dame mit der 32 aufgerufen. Zwei Minuten später folgt die 33 und weitere zwei Minuten später die 34. Nach gut acht Stunden Intensivstudiums der Frau im Spiegel von 1994 weiß man nun alles über den Wahlerfolg von Helmut Kohl, aber noch nichts über einen möglichen Befund des Arztes. Dieses Ziehen in meinem Rücken kann doch nicht normal sein. Schließlich bittet er mich endlich herein.
»Gudntachsetzensesichwozwickts?«
Ich hole etwas zu weit aus und beginne mit meinen Blähungen auf dem Wickeltisch 1976. Das passt allerdings nicht in das zeitliche Konzept des Arztes, sodass ich gezwungen bin, meinen Bericht zu straffen.
»Nun, ich hab mich gestern beim Tapezieren auf die Klappe gelegt. Seitdem tut’s weh, wenn ich mir auf den Rücken drücke.«
Die ärztliche Diagnose: Fingerbruch!
Und wenn man dann glaubt, dass es mit einem Verband, einer Schiene oder gar einem Gips getan wäre, dann liegt man schwer daneben. Kein Arzt der Welt kann so was Heikles selbst verantworten. Er gibt die Verantwortung lieber ab und überweist einen ins Krankenhaus. Einen Ort, den keiner so wirklich gut findet. Kettenrauchende Bademantel-Opas vor dem Eingang. Der latente Duft von halb gefüllten Bettpfannen auf jeder Etage und die Gewissheit, dass die dort noch viel Schlimmeres mit einem anstellen können als in einer schlecht organisierten Arztpraxis.
»Herr Twilfer, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass wir Sie heute wieder gehen lassen. Akute Prellung! Da machen wir mal das ganze Programm.«
Ich werde stutzig und frage, wie man das denn so zügig und vor allem ohne Röntgen oder Ultraschall herausfinden kann.
»So was sieht ein guter Arzt an Ihrem geprellten Finger. Klassisches Symptom.«
Keine zwei Minuten später schlägt dann auch schon die krankenhausinterne Shopping Queen zu und ich mutiere modebewusst zum Leibchenträger. Das froschdödelgrüne Langhemdchen, das komischerweise auch noch hinten offen ist, macht mich nun endgültig zum charakterlosen Pflegefall. Oder einem Fall für die Genfer Menschenrechtskonvention, da die Würde eines jeden Patienten nun auf dem Niveau der kaputten Betten liegt, die man früher sogar höher als zwanzig Zentimeter fahren konnte.
Ich begebe mich also erneut in die Hände von Halbgöttern in Weiß. In Krankenhäusern gibt es jedoch, anders als in Arztpraxen, zunächst eine Vorhut. Den General bekommt man erst einmal nicht zu Gesicht. Der macht derweil im OP die Lagebesprechung, wie man das Opfertier Patient am besten ausweiden und zerlegen kann, während die Krankenschwestern einen auf dieses Schlachtfest vorbereiten. Eine junge Frau nähert sich mit einem Einmalrasierer bedrohlich meinem Bett.
»So, Herr Twilfer, und nun wollen wir Sie mal für die Rücken-OP rasieren.«
Ich öffne mein Leibchen und frage mich, was denn bei einer Rücken-OP rasiert werden muss. Mein stahlharter, braun gebrannter, frisch geölter Muskelberg kann es doch wohl nicht sein.
»Herr Twilfer, Sie sind mir aber ein Teddybärchen! Sie haben ja mehr Haare auf dem Rücken als Charlie, der lustige Affe aus dem ZDF.«
Ich schalte auf mute und lasse die Prozedur des Rückenrasierens über mich ergehen. Eine Darmspiegelung auf einem kaukasischen Straßenfest wäre mir zu diesem Zeitpunkt fast lieber gewesen. Der Rasierer macht seine Arbeit und die Krankenschwester verwickelt mich während der Rasur in ein Gespräch. Voll von panischer Angst weiß man, dass man genau das vor einer OP nun wirklich gar nicht brauchen kann.
»Sie haben doch diese Schantall-Bücher geschrieben, oder?«
Die Klinge der jungen Dame kratzt ganz langsam über meinen Rücken. Hoffentlich weiß sie, was sie da tut.
»Äh, ja. Sagen Sie, jetzt müsste aber doch da hinten alles ab sein, oder?«
Die Krankenschwester ist mit dem Rasierer am Nacken angekommen.
»Ich heiße übrigens Tamaya-Scheraldien, nicht Schantall. Ich finde Ihre Schantall-Bücher toll. Es gibt aber auch dämliche Vornamen.«
Ich entscheide mich, mit der Rasierklinge am Hals dem nicht zu widersprechen.
Ich entscheide mich, mit der Rasierklinge am Hals dem nicht zu widersprechen, und freue mich stattdessen über das Lob sowie auf die Narkose, um dem realen Albtraum mit deutschen Ärzten und Krankenhäusern endlich zu entfliehen. Ich empfehle der Krankenschwester, dieses Buch hier zu lesen, und schreibe mir seitdem meine Diagnosen einfach selbst. Das Internet weiß da schon ’ne ganze Menge.