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Ein schlechtes Gewissen ist wie ein Nadelkissen Montag

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Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, als ich mich am Morgen aus meinem Bett wälzte. Aufstehen, Frühstück, Arbeit mit Kaffeebesprechung und süßen Stückchen, deftiges Abendessen und dann das Highlight: Chillen mit Feierabendbier und Fernseher. Keine schlechten Aussichten also.

Nach einer schnellen Dusche saß ich ruckzuck am Frühstückstisch – eine große Tasse Kaffee genießen und dabei die Nachrichten auf dem Tablet checken. Dazu zwei Schoko-Croissants. Aus der Küche, wo sich meine Frau Kerstin gerade ihrer Arbeit widmete, drang das Klappern von Geschirr. Die Kinder waren bereits auf dem Weg zur Schule. Kurz – der perfekte Morgenmoment. Bis ich die misstrauisch klingende Stimme meiner Gattin vernahm.


»Sag mal, Schatz, du denkst noch an den Check-up?«

»Sag mal, Schatz, du denkst noch an den Check-up?«

»Klar«, antwortete ich schnell und blätterte weiter zu den Boulevardnachrichten. »Check-up. Reine Formsache.« Während ich Kerstin meine »ungeteilte Aufmerksamkeit« schenkte, sogen meine Augen die aktuellen Sportergebnisse auf. Erst beim was-weiß-ich-wievielten Ausruf meines Namens wurde ich wieder aufmerksam. »Volker!« Meine Frau stand plötzlich mit funkelnden Augen vor mir, ganz so, als hätte ich zwei Wochen am Stück vergessen, ihre Geranien zu gießen.

»Natürlich, der Check-up«, nahm ich den Faden lässig wieder auf. »Leg mir einfach den Schlüssel hin.«

»Schlüssel? Welchen Schlüssel?«

»Na, den für deinen Wagen«, erwiderte ich verwirrt. Ich fand regelmäßige Reifenprofiltests, Lichtprüfungen und Bremsenuntersuchungen durchaus wichtig. Sonst konnte ja wer weiß was passieren!

Meine Liebste atmete tief ein. So wie sie es immer tat, wenn ihr etwas furchtbar auf die Nerven ging. »Du sollst einen Termin bei Leo ausmachen, Volker. Für deinen Zwei-Jahres-Check-up. So wie ich vor zwei Wochen.«

»Klar«, gab ich mit simulierter Erinnerung zurück. Verflixt. Bei Leo Rüb? Meinem alten Freund – und Hausarzt. Leo war wirklich okay, wenn er nicht gerade Arzt spielte.

»Ich rufe vom Büro aus an«, versprach ich und machte mich eilig auf den Weg.

Dort angekommen, brauchte ich erst mal einen Kaffee. Mit viel Milch und noch mehr Zucker. Dass ein Kollege gerade an diesem Tag Donuts spendierte, war die perfekte Ergänzung. Entspannt setzte ich mich an meinen Platz, während sich Szenen aus dem letzten Check-up-Gespräch unausweichlich in mein Bewusstsein schoben. Spontan entwich mir ein tiefer Seufzer. Eigentlich war ich ja topfit. Abgesehen von den Treppen, die mich immer ein bisschen außer Puste geraten ließen. Dr. Leo Rüb hingegen teilte diese Meinung nicht hundertprozentig mit mir. Vor meinem inneren Auge erschien sein bekümmertes Gesicht und ich hörte ihn etwas von Ausdauertraining sagen. So ein Blödsinn. Ich war doch kein Leistungssportler.

Um mich zu beruhigen, schnappte ich mir ein Stückchen Schokolade aus meiner geheimen Schublade und las meine restlichen E-Mails. Es schien ein ruhiger Tag zu werden. Wenn man mal davon absah, dass sich in meine erste Büro-Entspannungsphase sofort das wissende Lächeln meines Leibdoktors drängte. Instinktiv schloss ich die Schublade mit meinem Nervenfutter und kam ins Grübeln. Im Grunde war so ein Check-up beim Hausarzt ein bisschen so wie der TÜV, halt nur für Menschen. Außerdem dauerte es sicher noch ewig, bis ich einen Termin bekam. Kurzentschlossen griff ich zum Telefon.

»Praxis Dr. Rüb, mein Name ist Nonka.«

»Guten Tag, Frau Nonka«, begann ich zögerlich. »Bätz am Apparat, ich möchte einen Termin ausmachen wegen dem …«

»… Zwei-Jahres-Check«, ergänzte sie eine Spur zu fröhlich. »Ihre Frau hat uns schon informiert.«

Das war ja mal wieder typisch für Kerstin! Abgesehen davon: Das konnte ja heiter werden, wenn sich die Sprechstundenhilfe schon jetzt auf mich freute. Meine Laune sank und über meinem Kopf formte sich eine unsichtbare Gewitterwolke. Ohne dass ich mich dagegen wehren konnte, verpasste mir die Nonka einen Termin.

»Diesen Freitag?«, wiederholte ich ungläubig.

»Passt Ihnen 9.30 Uhr nicht?«, hakte sie irritiert nach.

Hastig versicherte ich, dass 9.30 Uhr prima war, während die Gewitterwolke die Züge meiner Gattin annahm.

»Wunderbar«, entgegnete sie. »Und kommen Sie bitte nüchtern.«

»Unter der Woche trinke ich nie vor dem Mittagessen«, scherzte ich.

Frau Nonka lachte – ganz im Gegensatz zu mir. Kaum dass ich aufgelegt hatte, meinte ich die ersten Tropfen aus meinem persönlichen Gewitter abzubekommen. Wie gelähmt dachte ich an all die Erniedrigungen, die ich schon bald über mich ergehen lassen musste. Blutabnahme, Gewichtskontrolle, Lungenfunktionstest. Und das alles unter Leos hochkritischen Blicken.


Irgendwie schlapp machte ich mich auf den Weg zur Kaffeemaschine, um dort die wichtigste Entscheidung des Tages zu treffen. Cappuccino, Latte macchiato oder Schokoccino.

Irgendwie schlapp machte ich mich auf den Weg zur Kaffeemaschine, um dort die wichtigste Entscheidung des Tages zu treffen. Cappuccino, Latte macchiato oder Schokoccino. Die Vorfreude kribbelte in meinen Fingern. Bis ich die Schachtel mit den Teebeuteln sah.

Ich schluckte. Nun gut. Es konnte ja wohl nicht so schwer sein, mal für ein paar Tage ein gesundes Leben zu führen. Nur bis zum Check-up! Mit einer Tasse Entspannungstee in den Händen und einem wild entschlossenen Blick machte ich mich auf den Rückweg an meinen Schreibtisch.

Das Gedränge in der Kantine sprach für sich. Schnitzel mit Pommes stand mit geschwungener Schrift auf der Tafel am Eingang. Kraftlos balancierte ich das leere Tablett vor meinem pensionierten Waschbrettbauch und studierte die Menükarte. Beim bloßen Gedanken an das Schnitzel lief mir das Wasser im Munde zusammen. Bis mir Leos Stimme in meinem Kopf den Appetit verdarb: »Wie steht es bei uns denn mit Gemüse und Salat?« Dieser Rüb konnte einem aber auch alles vermiesen! Peinlich berührt verzog sich mein knurrender Magen in eine Ecke zwischen Darm und Milz. Ich studierte erneut die Menükarte. Und entdeckte das, was ich sonst immer gewissenhaft ignorierte: das vegetarische Gericht des Tages. Und schon war ich an der Reihe. Ich überraschte mich selbst, als ich mich »Einmal Gemüselasagne, bitte« sagen hörte. Dazu bestellte ich statt der üblichen Cola ein Glas Wasser. Eine Minute später saß ich am Platz und stocherte lustlos mit der Gabel in der grün-gelben Pampe herum. Was tat man nicht alles für einen gesunden Körper? Leo würde sich wundern.

Als ich an diesem Tag das Büro verließ, fühlte ich mich irgendwie schwach. Aber ich war auch stolz auf mich. Schließlich hatte ich allen Versuchungen widerstanden und sowohl Süßigkeiten als auch Kaffee und sogar Schnitzel verschmäht.

Als ich gedankenversunken die Haustür öffnete, schlug mir der Duft von frisch gebackener Pizza entgegen. Auf der Stelle war meine Welt wieder in Ordnung. Jedenfalls für einen kurzen Moment.

»Die ist für die Kinder«, erklärte Kerstin eine Spur zu streng, »wir beide essen Salat.«

Kennen Sie dieses Gefühl, wenn man beim Schach den Gegner bedrängen will und einem zu spät klar wird, dass man die feindliche Dame übersehen hat? Mit hängenden Schultern fügte ich mich meinem Schicksal. In dieser Nacht konnte ich vor Hunger kaum schlafen, weil ich in meinen Albträumen von fliegenden Pizzas und pampigen Salattellern verfolgt wurde.

Wahnsinn Wartezimmer

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