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3.2 Geschichte
ОглавлениеDeutschland ist ein SynchronisationslandSynchronisationsland, d.h. Filme und TV-Serien werden, wie in den anderen deutschsprachigen Ländern, in der Regel synchronisiert. Noch in den 1990ern war es in Deutschland schwierig, an untertitelte Filme heranzukommen; fremdsprachige Videokassetten „bestellte“ man bei Freunden im Ausland. Nur Programmkinos oder Filmfestivals boten den Zuschauern OmUs, also den Film im „Original mit Untertiteln“. „Nur die hartgesottensten Enthusiasten genießen Filme in Sprachen, von denen sie kein Wort verstehen.“, wie Metz und Seeßlen zu Recht bemerken (Metz / Seeßlen 2009). Und Pruys merkt an: „Schlecht gemachte lippensynchrone Fassungen dürfen nicht als Argument für Untertitel gelten.“ Und:
Eine nachlässige Synchronisation, bei der nicht lippensynchron gesprochen wird, die Dialoge unverständlich bleiben, hölzern klingen oder die Untertitel unangemessen erscheinen, kann zwar von jedem Zuschauer direkt wahrgenommen werden. Ohne genaue Kenntnis der Ursprungsfassung bzw. der Ausgangssprache bleibt aber die Unsicherheit, ob die Originaldialoge nicht noch unverständlicher oder hölzerner sind. (Pruys 2009 [1997]: 20 und 11)
Das heißt nicht, dass Kritik am Synchronisationsverfahren eine völlig neue Erscheinung ist. Auch als die ersten synchronisierten Filme auf die Leinwand kamen, waren viele Zuschauer alles andere als begeistert:
Die Schauspieler mit fremden, ,eingeschmuggelten‘ StimmenStimme sprechen zu lassen, kollidierte mit den tradierten Seh- und Hörgewohnheiten. Die zeitgenössische Kritik beschrieb die Synchronisation als ‚Hexerei‘, ‚Homunculus‘, als ‚Amputation‘, bei der auf den ‚blutigen Stumpf‘ eine ,künstliche Stimm-Prothese‘ aufgeschraubt würde. (Bräutigam 2017)
Näheres dazu, warum ein Land zu einem Synchronisationsland wird, steht in Kapitel 1.4.
Auf dem Weg zum Synchronisationsland wurden ab der Entstehung des Tonfilms verschiedene Wege gegangen. Zunächst waren weder Synchronisation noch Untertitelung dem stummfilmgewohnten Publikum zu vermitteln:
Man hat auch eine Synchronisation versucht, die war aber technisch so unzulänglich und das wurde auch überhaupt nicht akzeptiert. Man muss sich ja vorstellen: Es war schon ein Schock, seinen StummfilmstarStummfilmstar plötzlich mit Stimme zu hören. Das lag, wie immer kolportiert wird, nicht zuletzt wegen Singinʼ in the RainSinging in the Rain, weniger daran, dass die Stummfilmstars keine vernünftigen Stimmen hatten. Die hatten zum Teil halt andere Stimmen als man erwartete. Die Stummfilmstars waren irgendwie von der Realität entrückt, und jetzt wurden sie plötzlich ganz konkret mit ihrer Stimme. Ich glaube, das war es, was die Leute gewaltig irritiert hat. (Drößler in Metz/Seeßlen 2009).
Neben Synchronisation und Untertitelung gibt es die Möglichkeit, einen Film gleich in mehreren Sprachfassungen zu drehen (die so genannte VersionVersion, Bräutigam 2009: 12, Wahl 2003, Berry 2018). Das Verfahren wird heute zwar nicht mehr eingesetzt, macht als Laienprojekt aber Spaß. Bei der Version wird nicht die gleiche Bildspur mit unterschiedlichen Tonspuren kombiniert, sondern es gibt für jede Sprachversion auch eine neue Bildspur. Das heißt, der Film wird mehrmals gedreht.
Mal kurz nachdenken … Ist es dann noch derselbe Film?
Selbst der beste Schauspieler kann eine Rolle nicht ganz exakt noch einmal spielen, so dass sich die Versionen unterscheiden, eben wirklich Versionen eines Ausgangsfilms sind. Zusätzlich gab es Versionen, bei denen andere Schauspieler eingesetzt wurden, nämlich Muttersprachler der betreffenden Versionssprache (ausführliche Analysen zu einer Reihe von Filmen in Berry 2018).
In Deutschland wurden Filme für den Export als Versionen gedreht, bis sich etwa 1932 die Synchronisation durchsetzte (Pahlke 2009: 28, Wahl 2003: 31). Versionen wurden aber auch für den deutschen Markt produziert (siehe unten). Für uns klingt das Verfahren heute wie ein höchst absurdes Unternehmen. 1930/31 wurden aber mehr als ein Drittel von 137 deutschen Tonfilmen in Versionen in mehreren Sprachen produziert (Kreimeier 1992: 231, zitiert nach Bräutigam 2009: 12; eine Statistik findet sich in Wahl 2003: 20-22, wo auch Filme in unterschiedlichen Versionen diskutiert werden). Versionen konnten in allen Sprachen durchgehend mit denselben Schauspielern besetzt werden; oft setzte man jedoch für die unterschiedlichen Sprachversionen beliebte Schauspieler aus dem jeweiligen Zielland ein:
Allerdings markierte dies gleichzeitig den größten Schwachpunkt der Filme, denn für 5 verschiedene Sprachversionen von einem Film mussten auch 5 komplette Schauspielerensembles bezahlt werden, ganz zu schweigen von dem benötigten Filmmaterial, den Mieten usw. Dieses extrem hohe Maß an Aufwand wird allgemein als der Hauptgrund für die Aufgabe der Versionenproduktion angesehen. (Wahl 2003: 19)
Der Hauptgrund für das Drehen von Versionen, nämlich durch eine Verteilung des Films in unterschiedlichen Sprachräumen finanziellen Gewinn zu machen, wurde also nicht erreicht. Als Variante der Version kann man das noch heute übliche Hollywood RemakeRemake definieren, bei dem in anderen Ländern erfolgreiche Filme mit beliebten US-Schauspielern neu gedreht werden.
Auch NamensänderungenNamensänderung bei den Rollen, KürzungenKürzung und inhaltliche Veränderungeninhaltliche Veränderung waren bei Versionen üblich. Die Filme konnten sich also deutlich unterscheiden, während bei untertitelten und synchronisierten Filmen die Bildspur zumindest theoretisch identisch mit dem Original ist (vgl. Wahl 2003: 16 und Berry 2018 passim).
Bekannt bei Fans sind die Laurel and HardyLaurel and Hardy (Dick und DoofDick und Doof)-Filme in deutscher Sprache, bei denen die beiden Stars auch in der deutschen Version auftreten und sprechen. Ein schönes Beispiel dafür ist die DVD Dick und Doof sprechen deutsch – Spuk um MitternachtDick und Doof sprechen deutsch – Spuk um Mitternacht. Beide konnten allerdings gar kein Deutsch. Gerade das macht die Filme heute so beliebt bei Fans; bei der Produktion sah man das anders:
Ein Problem konnte nun bei Filmen entstehen, deren Hauptdarsteller nicht zu ersetzen waren, aber keine einzige Fremdsprache beherrschten. Dies trifft beispielsweise auf die international beliebten Komiker Laurel und Hardy zu. Mit ihnen wurden ‚phonetische Versionen‘ erstellt, in denen sie die Sätze nur ihrem Dialoglehrer nachsprachen, ohne etwas zu verstehen. (Wahl 2003: 20)
Nehmen Sie sich einen kurzen Sketch vor und übersetzen Sie ihn in Ihre Arbeitssprachen. Es genügt einer der typischen Schultheater-Sketche von drei Minuten Dauer. Spielen Sie ihn mit demselben Team in allen Sprachvarianten durch und filmen Sie das Ergebnis. Was passiert? Wo hat es überall Veränderungen gegeben? Haben Sie Anpassungen vorgenommen? Schreiben Sie nun eine phonetische Fassung in einer Sprache, die Sie beherrschen, aber andere Teammitglieder nicht. Und drehen Sie gleich noch eine Version.
Die Synchronisation kommt den meisten Quellen zufolge ursprünglich aus den USA, breitete sich ab 1932 in Europa aus und verdrängte die Version vollständig (vgl. Bräutigam 2009: 12). Allerdings wurde All Quiet on the Western FrontAll Quiet on the Western Front (Im Westen nichts NeuesIm Westen nichts Neues, USA 1930) bereits 1930 in einer deutschen Synchronfassung in Berlin aufgeführt (Bräutigam 2009: 11) und für 1929 existieren Belege für eine deutsche Synchronfassung des amerikanischen Filmes BroadwayBroadway (Pahlke 2009: 27). Die Argumente gegen die Synchronisation, die in den Feuilletons der damaligen Zeit vorgebracht wurden, sind genau die, die man auch heute hört (Beispiele in Bräutigam 2009: 13-14). Allerdings wird heute niemand mehr sagen, wer die deutsche Sprache im Kino hören will, solle sich eben deutsche Filme ansehen.
Die Synchronisation setzte sich dann, wie oben erwähnt, in den 1940er Jahren unter dem totalitären Nazi-Regime durch. Noch bis 1940 waren Hollywood-Filme in synchronisierter Form in Deutschland ausgesprochen erfolgreich (Bräutigam 2009: 15). Ab 1940 gab es dann jedoch ein Einfuhrverbot für amerikanische Filme (Pahlke 2009: 28, Bräutigam 2009: 15). Die Synchronisationsindustrie blieb nicht unbeschäftigt: „Die Synchron-Branche stellte stattdessen fremdsprachige Fassungen deutscher PropagandafilmePropagandafilme für die besetzten Länder her.“ (Bräutigam 2009: 16)
Der Aufholbedarf nach dem Zweiten Weltkrieg war enorm. Eine gewaltige SynchronisationsindustrieSynchronisationsindustrie entwickelte sich (vgl. Nagel 2009: 29 und Pahlke 2009: 28). Teilweise lag dies auch daran, dass die USA ein großes Interesse daran hatten, dass sich in Deutschland keine Konkurrenzindustrie zur amerikanischen Filmproduktion entwickelte. So öffneten zwar die ersten Kinos 1945 wieder ihre Pforten, die ersten Genehmigungen für deutsche Filmproduktionen wurden in den westlichen Besatzungszonen jedoch erst 1947 vergeben (Kolloquium 2004). Teilweise war die Motivation der Alliierten, Filme zu zeigen und zwar so, dass das Publikum sie verstand und auch anschaute, pädagogisch orientiert – die Deutschen sollten schließlich umerzogen werden (vgl. Bräutigam 2017).
Und auch zu jener Zeit stand nicht jeder der Synchronisation uneingeschränkt wohlwollend gegenüber. „‚Synchronisation ist die Rache der Deutschen an den Alliierten‛ lautete ein brancheninterner Spruch.“ (Bräutigam 2009: 16). Man muss aber auch die gesellschaftlichen Bedingungen in Betracht ziehen, wenn man sich kritisch über die Geschichte der Synchronisation äußert: In den Anfängen des Tonfilms waren nicht nur Fremdsprachenkenntnisse weniger verbreitet als heute, sondern auch die Zahl der AnalphabetenAnalphabet war höher. Untertitel zu lesen kam also nicht für alle in Frage. Für diese Zielgruppe war die Synchronisation eine wunderbare Erfindung. Wer die Diskussion zum Bildungsnutzen von Untertiteln verfolgt, wird sehr schnell feststellen, dass es dort immer nur um die Verbesserung von Englischkenntnissen geht (siehe dazu das Kapitel zur Interlingualen Untertitelung). Andere Sprachen interessieren in dieser Diskussion nicht. Und wir als Sprachkundige und Fremdsprachenliebhaber sollten Verständnis dafür haben, dass nicht jeder einen Film im Original mit Untertiteln wirklich genießt, sondern darunter leidet, dass seine Aufmerksamkeit hin und her gerissen wird. Wie Bräutigam sagt:
Der intellektuelle Cineast, der wohl Dostojewskij oder García Marquez in der Übersetzung liest, ohne damit Probleme zu haben, ignoriert die ‚Übersetzung‘ von Filmen, weil er diese als Verfälschung und Verrat am Original missachtet. (Bräutigam 2009: 8)
17. Hat er damit völlig Recht? Oder gibt es nicht doch einen Unterschied bei der Rezeption von fremdsprachigen Filmen und fremdsprachigen Büchern?
Mit der Geschichte der Synchronisation, an ein breiteres Publium gerichtet, befassen sich Bräutigam (2017) und Metz / Seeßlen (2009).