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Hudson und Baffin

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Obgleich Frobishers Fahrten nach Meta incognita, dem südlichen Zipfel des heutigen Baffin-Landes, durch seine vergebliche Goldhamsterei einen tragikomischen Ausgang nahmen, waren sie doch entdeckungsgeschichtlich von großer Bedeutung. Frobisher war der erste Engländer, der den Südzipfel Grönlands betrat, und seine Entdeckungen zeigten einer ganzen Reihe kühner Seefahrer aufs neue den Weg nach dem Nordwesten. Seine ersten beiden Reisen führten in den nach ihm benannten Frobisher-Sund; auf der dritten wurde er zunächst etwas nach Süden hin verschlagen und fuhr eine Strecke den breiten Wasserarm nach Westen hinauf, in den schon Sebastian Cabot — wie weit, ist unbekannt — eingedrungen war, der aber weder nach ihm noch nach Frobisher seinen Namen führt, sondern nach dem englischen Kapitän Henry Hudson. Diesem selben Manne zu Ehren heißt das nordamerikanische Binnenmeer die Hudson-Bai, und noch eine dritte Stelle der Landkarte verewigt seinen Namen: der Hudson-River, der „amerikanische Rheinstrom“, dessen Mündung Hudson im Dienst der Holländisch-Ostindischen Kompagnie im Jahre 1609 erforschte. Gleich darauf kauften die klugen Mijnheers die in der Strommündung liegende Insel Manhattan den Indianern für 90 Goldmark und eine Flasche Branntwein ab und gründeten hier eine Stadt, die heute den Namen New York trägt.

Ein amerikanisches Märchen erzählt von dem gutmütigen Faulpelz Rip van Winkle, dem Nachkommen eines jener unternehmenden Holländer, der im Jahre 1770 auf einer Streife durch die Catskillberge am Hudson in einer ihm ganz fremden Schlucht eine Gesellschaft alter Herren trifft, die nach Ansehen und Tracht wie aus uralten holländischen Bildern herausgeschnitten erscheinen und sich stumm und mit seltsam starren Gesichtern am Kegelspiel ergötzen. Überwältigt vom kräftigen Wacholderschnaps, den er hier zu kosten bekommt, schläft Rip van Winkle ein, und als er wieder erwacht und seine Hütte, sein Weib und seine Kinder aufsucht, findet er die Welt völlig verändert: er hatte 20 Jahre verschlafen, weltgeschichtliche Jahre, in denen die 13 Kolonien Englands in Amerika sich nach zehnjährigem blutigen Krieg vom Mutterland unabhängig machten und George Washington zum ersten Präsidenten ihrer Vereinigten Staaten ernannten. Den aus zwanzigjähriger Verschollenheit wieder auftauchenden Rip halten die jetzigen Bewohner seines Heimatortes für einen Schwindler oder Narren, bis sich schließlich ein alter Kumpan findet, der ihn wiedererkennt und seine Erzählung bestätigen kann; denn sein Großvater habe oft versichert, daß es in den Catskillbergen nicht geheuer sei, und daß der große Hendrik Hudson — durch diese Namensänderung machten ihn die Holländer zu ihrem Landsmann — von Zeit zu Zeit mit seiner holländischen Schiffsmannschaft in einer der Schluchten Kegel schiebe; auch sein Vater habe ihn gesehen, und an stillen Sommertagen könne man das Rollen der schweren Kugeln bis hierher hören.

So lebt Hudson in der Sage fort, und wie eine Sagengestalt mutet die ganze Erscheinung dieses Mannes an. Geheimnisvoll ist sein Aufgang, grauenhaft wie ein Spuk und erschütternd sein Untergang. Sein Geburtsjahr ist unbekannt, kein Ort in England kann sich seine Vaterstadt nennen, kein Bild von ihm ist erhalten. Wir wissen nichts über seinen Bildungsgang, wir kennen überhaupt nur die vier letzten Jahre seines Lebens. Er ist plötzlich da und verschwindet nach kurzer Frist wie ein Meteor. Aber diese vier Jahre sind reicher als ein anderes ganzes Menschenleben. Sie bieten gewissermaßen eine Gesamtrechenschaft über die damalige Polarforschung. Alle tastenden Versuche seiner Vorgänger nach Osten und Westen, durch mehr als ein Jahrhundert hindurch, wiederholt — man möchte fast sagen: kontrolliert er in vier kurzen Jahren. Seine Logbücher, die Schiffstagebücher von seinen Reisen, sind erhalten und die einzige Kunde über ihn. Sie zeigen, daß er eine Natur war wie Kolumbus oder Nansen, ein Kopf, der das gesamte geographische Wissen seiner Zeit über die Polarwelt vollkommen beherrschte und sich aus dem Studium fremder Reiseberichte, so widerspruchsvoll, dilettantisch und märchenhaft sie auch auftraten, ein festes Weltbild geschaffen hatte. Über die Richtigkeit dieses seines Weltbildes wollte er Gewißheit haben und geben.

Im Frühjahr 1607 tritt er plötzlich in der Entdeckungsgeschichte auf als „Master“ oder Kapitän im Dienst der englischen Moskowitischen Handelsgesellschaft. In einer Nußschale von 80 Tonnen mit 12 Mann Besatzung verläßt er am 27 April London. Sein Ziel ist: geradeaus nach Norden über den Pol nach Japan und Indien. Am 13. Juni erreicht er die Ostküste Grönlands und segelt 9 Tage an ihr hinauf bis zum 73. Breitengrad. Dann biegt er, der Eisgrenze folgend, nach Nordosten ab, betritt als erster die Nordwestküste Spitzbergens und dringt weiter nordwärts bis zum 82. Grad vor, den kein Polarfahrer vor ihm je erreicht hat. Hier verrammelt ihm das Eis den Weg, eine Durchfahrt nach Norden findet sich nicht, und auch den Plan, um die Nordküste Grönlands herumzufahren und längs seiner Westküste wieder südlich zu gehen, muß er aufgeben. Nach fünf Monaten ist er wieder in London. Er bringt die erste genauere Kunde von Ostgrönland und Spitzbergen und entdeckt auf der Rückfahrt eine Insel, die später Jan Mayen genannt wurde.

Im nächsten Jahr versucht er im Nordosten durchzustoßen. Wieder mit einem kleinen Schiff und 14 Mann Besatzung — darunter sein Sohn John — bricht er am 22. April von London auf, umfährt am 3. Juni das Nordkap und kreuzt unter heftigem Kampf mit Treibeis und Sturm hinauf bis über den 73. Grad. Weiter kommt er nicht und geht etwas südlicher beim Gänse-Land in Nowaja Semlja vor Anker. Er findet hier die Berge schneebedeckt, aber die Abhänge sind grün, von Renntierherden bevölkert; Wale, Walrosse und Robben beleben die Küste. Ein großer Fluß kommt von Nordosten. Ein Teil der Mannschaft fährt auf einem Boot stromaufwärts, um festzustellen, ob diese Wasserstraße weiter nach Osten führt. Eine Durchfahrt ins Karische Meer aber findet sich nicht, auch weiter südlich durch die Waigatsch-Straße läßt die Eismauer keine Straße ins Karische Meer und nach der Obmündung frei. Hudson macht auf dieser Fahrt die ersten Beobachtungen über die Inklination der Magnetnadel. Geschäftlich aber ist seine Reise ein noch schlimmerer Mißerfolg als die erste, und die Londoner Kaufleute verzichten auf weitere Experimente.

Hudson geht nach Holland, und am 25. März 1609 ist er schon wieder auf Fahrt, diesmal im Dienst der Holländischen Kompagnie. Noch einmal steuert er nach Osten, um irgendwo bei Nowaja Semlja durchzubrechen. Aber seine Mannschaft besteht aus lauter Neulingen, die nur in der Südsee kreuzten, Kälte und Eis nicht gewohnt sind. Sie meutern, und am 19. Mai muß Hudson umkehren. Er nimmt nun den Kurs nach Westen. Läßt sich die nordöstliche Durchfahrt nicht ertrotzen — vielleicht gelingt die nordwestliche. Aber die Mannschaft zwingt ihn, südlich zu halten; er muß bis zum 44. Breitengrad hinab, kreuzt an der Küste Amerikas und befährt hier zum erstenmal den Strom, dem er seinen Namen gibt und an dessen Mündung 1613 Neu-Amsterdam, das heutige New York gegründet wird. Von den Eingeborenen handelt er Felle ein, aber der Proviant geht zu Ende; die Mannschaft will nach Hause. „Der Halbmond“, so heißt das Schiff, kommt noch hinauf bis Meta incognita, dann zwingen die Leute ihren Anführer zur Heimkehr. Am 7. Dezember landet er im Hafen von Dartmouth.

Auch dieser Fehlschlag entmutigt Hudson nicht. Er findet drei englische Kaufleute, die ihm zur Erkundung einer nordwestlichen Durchfahrt ein Schiff anvertrauen, aber nur unter einer Bedingung: ein anderer erfahrener Seemann namens Coleburne soll ihn begleiten. Einen Aufpasser aber kann Hudson nicht brauchen. Am 17. April geht er unter Segel; noch in der Themse schickt er Coleburne mit einem Brief an seine Auftraggeber nach London zurück und fährt davon. Die Mannschaft murrt, läßt sich aber beruhigen. Von Island geht’s zur Südspitze Grönlands und dann auf den Spuren Frobishers nach Meta incognita, in dessen Süden eine breite Wasserstraße nach Westen sich eröffnet. Hudson hält sich an ihrem Südgestade und folgt ihm nach Nordwesten. Am 28. Juli erreicht er die Charles-Insel; am 3. August sieht er eine offene Wasserfläche vor sich, die sich unbegrenzt nach Süden und Südwesten erstreckt. Sein Ziel scheint erreicht, seine Ausdauer belohnt: er hat Amerika umfahren, das Meer vor ihm ist die Südsee, die westliche Durchfahrt nach Asien ist gefunden!

Mit diesem 3. August, der Entdeckung der Hudson-Bai, endet das Tagebuch des Kapitäns. Was sich weiter begab, wissen wir nur aus den gerichtlichen Aussagen der Matrosen. Hudson war ein Mann von eisernem Willen und rücksichtsloser Strenge. Die Leidenschaft des Entdeckers beseelte ihn ganz, er achtete sein eigenes Leben nicht, auch nicht das seiner Leute. Kehrte er jetzt nicht um, dann war von Heimkehr in diesem Jahr nicht mehr die Rede; die Hudson-Straße ist nur kurze Zeit eisfrei und passierbar. Zu einer Überwinterung reichten die Lebensmittel nicht. Hudson steuerte längs der Ostküste der Bai südwärts, erreichte im September die James-Bai und wurde Anfang November in einem Inselhafen vom Eise eingeschlossen. Das Schiff ließ er auf den Strand ziehen und das Winterlager herrüsten. Schon im September hatte er einen widerspenstigen Offizier absetzen müssen; die Mannschaft gehorchte nur noch widerwillig seinem Befehl. Der Zimmermann weigerte sich, die Winterhütte zu bauen, er sei Schiffszimmermann, nicht Landzimmermann. Noch ließ sich der Aufruhr bändigen, und der Winter wurde trotz der knappen Lebensmittel ohne sonderliche Entbehrung überstanden; die Jagd auf Zugvögel erwies sich als einfach und sehr ergiebig. Im Frühjahr aber wurde diese Beute rar, die Rationen mußten auf ein Minimum herabgesetzt werden, und der Kapitän überwachte mit unnachgiebiger Strenge die Verteilung der Lebensmittel. Der Groll wuchs und kam schließlich zu einem furchtbaren Ausbruch. Anführer der Meuterer war ein Maat namens Green, den Hudson als verlassene Waise aus dem Elend gezogen, in sein Haus aufgenommen und als seinen Liebling verhätschelt hatte. Als Ende Juni die Bai eisfrei wurde und das Schiff zur Abfahrt unter Segel ging, traten die Meuterer, Green an der Spitze, ihrem Kapitän mit der Waffe in der Hand entgegen. Nur wenige Getreue scharten sich um ihn, sechs Matrosen und der Schiffsmathematiker Woodhouse, Hudson nebst seinem Sohn, der noch Kind war, wurde mit jenen sieben in einem Boot, fast ohne Nahrungsmittel, nur mit einer Flinte als Waffe, ausgesetzt und seinem Schicksal überlassen, während das Schiff nach Norden davonfuhr. Nie hat sich eine Spur von ihm mehr gefunden, völliges Dunkel schwebt über dem gräßlichen Ende Hudsons, seines Sohnes und seiner sieben Gefährten. Das Schiff fand den Rückweg nach England, aber ein Teil der Leute kam auf der fürchterlichen Fahrt ums Leben; die einen, darunter der Rädelsführer Green, fielen im Kampf mit räuberischen Eskimos oder Indianern, die andern verhungerten; der Rest fristete sein Leben durch Fische, Seevögel und Seetang, schließlich durch Knochen, die sie in Weinessig aufweichten. Sie wurden vor Gericht gestellt und schwer bestraft. Eine Rettungsexpedition unter Sir Thomas Button kehrte ergebnislos zurück; sie fand weder die neun Verschollenen noch einen westlichen Ausgang aus der Hudson-Bai, die sich als ein Binnenmeer erwies, allerdings mit einer kanalartigen Verzweigung nach Norden, den Fox-Kanal, wie er nach seinem späteren Erforscher Kapitän Luke Fox (1631) genannt wurde. Alle Versuche aber, sich durch das Inselgewirr, in das sich der Norden Amerikas auflöst, durchzukämpfen, erwiesen sich als vergeblich, und die Hoffnung, hier eine Durchfahrt nach Nordwesten zu finden, mußte aufgegeben werden.

Einer der Männer, die zunächst den Spuren Hudsons folgten, war William Baffin. Seine Expedition zur Hudson-Bai im Jahre 1615 ließ ihn die Unmöglichkeit weiteren Vordringens erkennen. Wenn es überhaupt eine nordwestliche Durchfahrt gebe, erklärte er, könne sie nur an der Westküste Grönlands hinauf gefunden werden. Hier hatte unterdes John Davis auf drei Fahrten (1685—1687) die 340 Kilometer breite Meeresstraße zwischen Grönland und den amerikanischen Polarinseln bis zum 73. Grad hinauf gründlich durchforscht und damit die Kenntnis der Polarwelt um ein gewaltiges Stück erweitert. Diese Aufklärungsarbeit setzte keiner erfolgreicher fort als Baffin, der im Jahre 1616 durch die Davis-Straße hinauf die gewaltige Bai durchquerte, die den Namen ihres Entdeckers erhielt, ebenso wie das Land im Westen. Baffin erreichte als erster die Melville-Bai, den Smith-Sund und den Lancaster-Sund, Namen, die in der spätern Polarforschung große Berühmtheit gewannen, und war auf dem richtigen Wege. Dennoch verzweifelte er, eine Durchfahrt nach Nordwesten zu finden, da die Fluthöhe, je weiter er kam, immer mehr abnahm, also durch den Atlantischen Ozean bestimmt wurde. Außerdem litten seine Leute an Skorbut, und die Küsten waren durch die vorgelagerten Eisbänke unzugänglich. Er kehrte daher zurück und machte aus seiner Überzeugung kein Hehl, daß der Glaube an einen nordwestlichen Seeweg endgültig aufzugeben sei. Damit scheidet dies Problem auf zwei Jahrhunderte aus der Entdeckungsgeschichte aus. Baffin hat durch diese Erklärung seinen eigenen Ruhm aufs empfindlichste geschädigt, und die Gegner seiner Theorie gingen schließlich so weit, alle seine Berichte als unglaubwürdig zu verdächtigen. Das geschah am nachdrücklichsten durch einen Engländer namens Barrow, den Sekretär der englischen Admiralität, — aber unglücklicherweise im selben Jahr 1818, als die englische Expedition von James Ross alle Entdeckungen Baffins aufs glänzendste bestätigte und den Ruhm des großen Forschers wiederherstellte.

Der Ruf des Nordens. Abenteuer und Heldentum der Nordpolfahrer

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