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Am Nordpol vorbei nach Indien

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Das Zeitalter der Kreuzzüge (1096—1291) setzte nicht nur die Christenheere des Abendlandes, sondern mit ihnen endlose Scharen unruhiger Geister und Abenteurer nach Osten in Bewegung. Märchenländer des Orients, Indien, China, Japan stiegen als eine wunderbare Fata Morgana am Horizont auf, und die drei Könige des Morgenlands, die dem Christuskinde in Bethlehem Gold und kostbare Gewürze dargebracht hatten, wiesen der Phantasie und der Habsucht des Abendlandes den Weg immer weiter nach Osten. Wenn aber die Erde eine Kugel war — von ihrer Größe ahnte man damals noch nichts —, mußte man das ersehnte Paradies, wo das Gold nur so auf der Straße lag, nicht auch von Europas Westküste aus jenseits des großen Wassers erreichen? Und gewiß viel leichter als auf dem unsäglich beschwerlichen Landwege, wo nur ein Heer wie das Alexanders des Großen sich hätte durchschlagen können. Erzählte die Sage nicht von Wikingerzügen, die der Sturm weit im Westen Grönlands an unbekannte Küsten verschlagen hatte? Das waren gewiß nur Inseln, die der andern Seite Asiens vorgelagert waren. Gelang es, in ihrem Schutz sich weiter durchzufinden, dann war das Rätsel des zaubervollen Ostens gelöst. Den Weg nach China durch die nördlichen Breiten suchte schon Giovanni Caboto, ein Italiener in englischen Diensten; 1497 betrat er, ein Jahr vor Kolumbus, das Festland Amerika, wahrscheinlich in Labrador. Sein Sohn Sebastian Cabot, der Begründer der englischen Flottenmacht, begleitete ihn auf dieser Fahrt. Um Indien zu finden, wagte es Kolumbus (1492), mit seinen drei Schiffen geradeaus über den Atlantischen Ozean zu segeln; erst 1504, zwei Jahre vor dem Tode des großen Entdeckers, kam ein Geograph Amerigo Vespucci in Florenz auf den Gedanken: das Festland, das Kolumbus auf seiner dritten Reise (1498) betreten habe, sei ein bisher unbekannter vierter Weltteil. Als dann Vasco de Gama 1497 den Seeweg nach Indien um die Südspitze Afrikas herum entdeckte und 1523 Magelhaes sogar einen Weg südlich um den amerikanischen Kontinent fand, im Süden also nach Osten und Westen hin die Fahrstraße frei lag, befestigte sich immer mehr die Überzeugung, daß solch eine Durchfahrt auch im Norden zu finden und dieser Weg nach Indien, am Nordpol vorbei, weit kürzer sein müsse. „Wenn die Natur eine gewisse Symmetrie beim Aufbau der Welt beobachtet habe,“ meinten die Gelehrten, „muß im Norden so gut eine Straße ins Stille Meer (den Großen Ozean) gehen wie im Süden, besonders wenn Gott in seinem Schöpfungsplan ein bißchen Rücksicht auf die Bedürfnisse des europäischen Handels genommen hat!“

Giovanni Cabot und sein Sohn Sebastian waren 1498 nicht weiter als bis zum 58. Breitengrad gekommen; hier zwang das Eis sie zur Umkehr, und die ersten Ansiedler, die sie in Neufundland, der „Kabeljauinsel“, aussetzten, fielen alle dem harten Klima zum Opfer. Auch auf seinen späteren Fahrten, 1517 an der Spitze eines großen Geschwaders, kam Sebastian Cabot zwar bis an die später so benannte Hudson-Bai, fand aber den nordwestlichen Durchweg nach Indien nicht, dafür eine andere Goldquelle, indem er die englischen Seeleute mit dem Walfischfang vertraut machte. Der unerhörte Fischreichtum dieser Gewässer lockte auch die andern Nationen an, und dieser Wettstreit klärte alsbald die Karte Nordamerikas nach allen Richtungen hin auf. In der Hoffnung, die nordwestliche Durchfahrt zu gewinnen, entdeckte der Franzose Jacques Cartier 1535 den Lorenzstrom und drang bis zum heutigen Montreal vor.

Da Sebastian Cabot im Nordwesten nicht durchgekommen war, richtete er sein Auge auf den Nordosten. Eine „Gesellschaft der Abenteuerfahrer“ wurde gegründet, und 1553 machten sich drei kleine Schiffe auf, um über Norwegen nach Osten China zu erreichen und dort und in Rußland neue Märkte für den englischen Handel zu gewinnen. Gelang es, vom Eismeer aus in die Mündung des Ob einzulaufen, dann konnte man, das lehrten die damals vorhandenen Karten, ganz Rußland durchsegeln und weiter auf dem Nebenfluß Irtysch bis an die Westgrenze Chinas kommen. Schon an der Küste Norwegens wurde das kleine Geschwader durch Sturm zerstreut, und von den drei Schiffen kehrte nur eines in die Heimat zurück. Die beiden andern froren in der Mündung des Warsinaflusses ein, und die gesamte Mannschaft kam in dem harten sibirischen Winter um. Nach Jahren fand man ihr Schiffstagebuch und ersah daraus, daß ihr Befehlshaber zum erstenmal die Küste Nowaja Semljas gesichtet hatte. Der erste, der diese Insel 1555 betrat, war der englische Generalpilot Bourrough; er entdeckte auch die Waigatsch-Insel; ins Karische Meer drang er aber nicht, „wegen der großen und furchtbaren Menge Eis, die wir vor unsern Augen sahen“; doch war für die Erschließung des Polargebiets die Feststellung einer so gewaltigen Insel wie Nowaja Semlja von größter Bedeutung. Spätere englische Versuche, die Nordostdurchfahrt zu erzwingen, waren ebenso erfolglos.

Ende des 16. Jahrhunderts nahmen die Holländer mit hartnäckiger Energie diese Versuche auf. Die ungeheure Hitze am Äquator, die furchtbaren Stürme im Indischen Meer und die lange Dauer der Reise von neun bis zehn Monaten schreckten sie, ebenso wie die Engländer, ab. Über den Norden hinweg hoffte man, das Ziel Indien schon in zwei Monaten erreichen zu können. Obendrein stieß der Handel der erst kürzlich vereinigten „Generalstaaten“ auf rücksichtslose Gegnerschaft bei andern Nationen; Spanier und Portugiesen, damals auf der Höhe ihrer Macht, behandelten den neuen Konkurrenten wie einen Seeräuber, kaperten die holländischen Schiffe und überlieferten die Mannschaft dem Inquisitionsgericht. Da oben im Norden lief kein Schiff Gefahr, die willkommene Beute dieser übermächtigen Feinde zu werden, und wenn sich der nordöstliche Weg nach China fand, boten sich dem holländischen Handel ungeahnte Möglichkeiten. 1594, 1595 und 1596 folgten einander drei Expeditionen zur Erkundung einer nordöstlichen Durchfahrt; ihr Führer war ein Seefahrer Wilhelm Barents aus Amsterdam, dessen Name die Reihe der Helden der Polarforschung verdientermaßen eröffnet.

Der Ruf des Nordens. Abenteuer und Heldentum der Nordpolfahrer

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