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Wilhelm Barents

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Am 6. Juni 1594 stach die erste der drei holländischen Polarexpeditionen in See. Befehlshaber der vier Schiffe war der Admiral Cornelis Naij, die eigentliche Seele des Unternehmens der Steuermann Barents. Der Kurs sollte nördlich um Nowaja Semlja herumgehen. Am 15. Juni kreuzte das Geschwader vor der russischen Küste Lapplands. Von hier ging Barents mit zwei Segelschiffen nordwärts und erreichte auf dem 73. Breitengrad Nowaja Semlja, das er fast bis zur Nordspitze erkundete. Die Namen, mit denen er seine Entdeckungen bezeichnete, die Oranieninseln, Kap Nassau usw., führt unsere Landkarte noch heute. Schon gleich als sie festes Land betraten, hatten sie eines jener Abenteuer, die nun in den Berichten über Polarforschung alltägliche Begebenheiten werden, ohne dadurch aber an Gefahr, Aufregung und Spannung zu verlieren. Ein riesiger Eisbär, der die nie gesehenen Ankömmlinge für eine Abart der Seehunde halten mochte, die seine tägliche Mahlzeit bildeten, empfing sie mit erhobenen Pranken. Die Holländer gaben Feuer, und als das angeschossene Tier sich ins Meer warf, folgten sie ihm, um es lebendig zu fangen und wenn möglich mit nach Holland zu nehmen. Vom Boot aus warfen sie ihm eine Schlinge um den Hals und ruderten nun mit der Beute ihrem Schiff zu. Die Bestie brüllte, stemmte sich mit allen Vieren gegen diesen ungewohnten Transport und wühlte das Wasser so gewaltig auf, „daß man es kaum schildern kann“, wie ein Augenzeuge berichtet. „Wir müssen ihm mehr Leine lassen, damit er müde wird“, meinte ein Matrose. Man ließ das Seil lockerer und ruderte weiter, das schnaubende Tier im Kielwasser; Barents stand am Steuer und wehrte es vom Bootsrand ab. Plötzlich erhob sich der Bär hoch aus dem Wasser und klammerte sich an das Boot an. „Laßt ihn, er will sich nur ausruhen“, scherzte Barents — aber schon hatte sich der Bär mit einer gewaltigen Anstrengung emporgeschwungen, und die Männer wichen entsetzt in das andere Ende des Bootes zurück. Der Bär wollte ihnen folgen, aber die Schlinge saß glücklicherweise fest, und das Seil war stark und kurz. Ein beherzter Mann sprang hinzu und schlug ihn mit der Axt nieder. Auf die damaligen Feuerwaffen war noch wenig Verlaß; nicht einmal den Walrossen, die in riesigen Herden auf dem Packeis sich sonnten, konnte man damit beikommen.

Barents wäre gern noch weiter nach Norden vorgedrungen, aber das Eis war in drohender Bewegung, und seine Leute forderten murrend, zu den beiden andern Schiffen zurückzukehren. Bei der Insel Dalgey trafen sie auch glücklich die Kameraden, die unterdes eine nicht weniger abenteuerliche Fahrt gemacht hatten. Cornelis Naij war mit seinen beiden Schiffen an der Waigatsch-Insel gelandet und hatte hier Menschenspuren gefunden: Opferhügel, kunstvoll aus Bärenschädeln und Renntiergeweihen aufgetürmt, von Stangen überragt, deren Spitze ein roh geschnitztes Menschenangesicht zeigte, Augen und Mund mit Blut beschmiert, ein grausiges Wahrzeichen. Doch fanden sich in der Asche der Opferfeuer nur Renntier- und Bärenknochen. Bald stießen die Fremden auf Samojeden, die hier zu Hause waren und den Eindringlingen zuerst drohend mit Pfeil und Bogen entgegentraten. Es kam aber nicht zum Kampf, sondern man schloß Frieden und Freundschaft, die Samojeden besuchten die Holländer auf ihren Schiffen, und durch sie erfuhr Naij, daß die Karische oder Waigatsch-Straße fahrbar sei. Wirklich gelangte er in das Karische Meer, das er die neue Nordsee nannte, und wenn er auch bald vom Packeis aufgehalten wurde, gewann er doch die Überzeugung, daß zu guter Jahreszeit hier nach Osten durchzukommen, die Aufgabe der Expedition also gelöst sei. Im Karischen Meer entdeckte er eine kleine Insel, die er Staaten-Eiland nannte; sie war gebirgig und völlig unbewohnt, der Strand aber besät von einem gold- und silberglitzernden Gestein, das den Holländern als eine unschätzbare Kostbarkeit erschien und von dem sie Proben mitnahmen. Auf der Rückkehr trafen sie die beiden andern Schiffe, und alle vier kehrten nach Hause zurück, wo sie mit großem Jubel empfangen wurden.

Gleich im nächsten Jahr sandte die holländische Regierung eine zweite Expedition aus, um den Seeweg durch das Karische Meer nach Indien weiter zu verfolgen. Die geschäftstüchtigen Mijnheers beluden gleich 16 Schiffe mit kostbarem Tuch und Sammet, zum Austausch gegen die Schätze Indiens. Am 29. August landete diese Flotte in einer Bucht der Waigatsch-Insel. Die samojedischen Freunde belehrten sie über die diesjährigen Eisverhältnisse, und nun ging es weiter ins Karische Meer hinaus. Bei Staaten-Eiland warf man Anker, um zunächst eine tüchtige Ladung des kostbaren Gesteins, über dessen Art und Wert die heimatlichen Chemiker noch uneins waren, an Bord zu nehmen. Hier hatten Barents und seine Leute ein furchtbares Erlebnis, das ein alter Chronist nach den Berichten der Augenzeugen wirksam erzählt:

„Den 6. September 1595 kehrten einige Matrosen nach Staaten-Eiland zurück, um dort noch eine Tracht Kristallsteine zu holen, von denen sie bereits viel gesammelt hatten. Während die andern umhersuchten, legten sich zwei beisammen auf die Erde, um zu schlafen. Da schlich sich ein magerer Eisbär heran und packte den einen im Genick. Der Matrose, der sich nichts versah, schrie laut: ‚Wer faßt mich von hinten?‘ Sein Kamerad wandte sich um, erblickte das Tier, sprang auf und rief im Forteilen: ‚Ein Bär!‘ Die Bestie zermalmte ihrem Opfer den Kopf und leckte begierig sein Blut. Die übrigen Matrosen, etwa ihrer zwanzig, eilten mit Spießen und Flinten herbei. Als der Bär, der eifrig bei der Mahlzeit war, sie kommen sah, ging er mit unglaublicher Wut auf sie los, kriegte noch einen zu packen und zerriß ihn augenblicks in Stücke. Entsetzen faßte die übrigen, und sie rannten mit Angstgeschrei davon.

Als man an Bord das Schreien hörte, stießen sogleich Kähne ab, um die Flüchtigen aufzunehmen und ihnen zu Hilfe zu kommen. Die Matrosen vom Schiff, die nun ans Ufer kamen und das Unglück vernahmen, munterten die übrigen auf, nochmals mit vereinten Kräften auf das Untier loszugehen, aber die wenigsten wollten es wagen. ‚Unsere Kameraden‘, erklärten sie, ‚sind zerrissen; wir können sie nicht mehr retten.‘ Endlich wagten sich doch drei Mann vor. Der Bär verzehrte mit Ruhe seinen Raub und achtete gar nicht auf die drei Menschen, die nicht allzu fern von ihm standen. Zwei Matrosen schossen auf das Tier, verfehlten es aber; da ging der dritte, der Schiffsschreiber, vor und traf den Bären mit der Kugel in den Kopf oberhalb des Auges. Trotz dieser tödlichen Wunde ließ der Bär seinen Raub nicht fahren, faßte den Körper des Toten am Genick und hob ihn in die Höhe. Dann aber schwankte er; nun stürzten zwei Matrosen mit Säbeln auf ihn zu und hieben ihn in Stücke, ohne daß er auch jetzt seine Beute fallen ließ. Endlich erhielt er mit dem Flintenkolben einen Schlag auf die Schnauze, so daß er auf die Seite fiel, worauf der Schiffsschreiber ihm auf den Bauch trat und ihm die Gurgel abschnitt. Die beiden halb gefressenen Matrosen wurden auf der Insel begraben und die Bärenhaut später der Amsterdamer Handelskompagnie übergeben.“

Dieser Vorfall hatte die Teilnehmer der Expedition sehr niedergeschlagen, und da sich schon die Anzeichen des Winters bemerkbar machten, das Eis sich im Osten haushoch übereinander schob, glaubte Barents, die kostbare Ladung der 16 Schiffe nicht aufs Spiel setzen zu dürfen. Auch hatte man so viel von dem goldglimmernden Gestein, dessen Suchen zwei Menschenopfer gekostet hatte, eingeladen, daß die Expedition nicht mit leeren Händen nach Hause kam. Sie kehrte also um. Die kostbaren Gold- und Silbersteine aber erwiesen sich später als wertloser Bergkristall.

Die holländische Regierung hatte nach diesem Mißerfolg das Zutrauen zu dem Unternehmen verloren; sie begnügte sich damit, einen hohen Preis auf die Entdeckung der nordöstlichen Durchfahrt auszusetzen und überließ die Ausrüstung einer dritten Expedition der Amsterdamer Kaufmannschaft. Diese setzte zwei Fahrzeuge zu einem neuen Versuch in Bereitschaft. Das eine befehligten Barents und Jakob van Heemskerk, das andere Jan Cornelis Rijp. Zur Besatzung wählte man nur junge, unverheiratete Leute, die die Sehnsucht nach Frau und Kind nicht vorzeitig in die Heimat trieb, und am 20. Mai 1596, diesmal früher im Jahr, brach die dritte Expedition auf.

Am 9. Juli ging sie oberhalb des Nordkaps bei einer kleinen Insel vor Anker. Am übernächsten Tag, berichtet der Chronist, „gingen einige Freiwillige dort an Land und fanden viele Möweneier. Dort erstiegen sie den Gipfel eines sehr steilen Berges, kamen aber nur mit äußerster Lebensgefahr wieder herunter, indem überall unter ihnen hoch emporstehende Felsspitzen ihnen beim kleinsten Fehltritt mit unvermeidlichem Tod drohten. Sie mußten sich daher auf den Bauch legen und so die steilsten Stellen herunter rutschen. Barents, der von seinem Schiff aus sie beobachtete und sie schon für verloren hielt, warf ihnen, als sie zurückkamen, ihre unzeitige Verwegenheit in den bittersten Ausdrücken vor. Hierauf erlegten sie nach zweistündigem Kampf einen weißen Bären, dessen abgezogene Haut 12 Fuß in der Länge hatte. Davon erhielt die Insel den Namen Bäreneiland“. Diesen Namen hat die Insel behalten.

Von hier nahmen die beiden Schiffe ihren Kurs genau nach Norden; Rijp, der Befehlshaber des einen Schiffes, bestand hartnäckig darauf. Barents wollte sich nach Osten wenden, um Nowaja Semlja zu erreichen, wurde aber überstimmt. Vier Tage später entdeckten sie vor sich Land, eine völlig unbekannte Inselgruppe, die sie für den Ostzipfel Grönlands hielten. Von den Abhängen und Tälern der schroffen Uferfelsen und spitzen Berge lachte ihnen frisches Grün entgegen, Gras und saftige Kräuter, Sauerampfer und Löffelkraut, das ihnen als Medikament gegen den schon ausgebrochenen Skorbut hoch willkommen war. In den Felsritzen nisteten unzählige Vögel, die ein gewaltiges Getöse machten. Unter ihnen erkannten die Holländer die Rotgans, die auf ihrem Flug nach Süden auch in Holland einkehrt; sie hatten also hier deren Brutort festgestellt. „Wir gaben dem Land den Namen Spitzbergen wegen der vielen und hohen darauf befindlichen Spitzen“, gab Rijk nach seiner Heimkehr vor dem Delfter Magistrat zu Protokoll.

Um Spitzbergen herumzukommen, erwies sich aber als unmöglich. Beide Schiffe kehrten nach der Bäreninsel zurück, und hier kam es zwischen den zwei Befehlshabern zum Bruch. Der eigensinnige Rijp wollte noch immer nordwärts. Sie trennten sich daher, und Barents fuhr gegen Osten davon, auf Nowaja Semlja zu. Von dieser Fahrt sollte er nicht mehr heimkehren; das Eis verlegte ihm den Rückweg, und er wurde der erste Polarfahrer, der eine Überwinterung in der Arktis durchmachte.

Der Ruf des Nordens. Abenteuer und Heldentum der Nordpolfahrer

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