Читать книгу Der Ruf des Nordens. Abenteuer und Heldentum der Nordpolfahrer - Heinrich Hubert Houben - Страница 9

Die erste Überwinterung im Polareis

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Die nordsibirischen Samojeden, das wußte schon jeder Walfischfänger, pflegten am Ende des kurzen Sommers in ihre weit südlicher gelegene Heimat zurückzukehren. Auch die Eingeborenen des Nordens flüchteten also vor dem Grauen des Polarwinters. Ob überhaupt ein Mensch imstande sei, die ungeheure Kälte dort oben, die Schöpferin von Rieseneisbergen, die auch im Sommer nicht wegtauten, zu ertragen, in dieser Temperatur auch nur zu atmen und die lange Winternacht zu überstehen, ohne von Sinnen zu kommen, das hatte noch kein Europäer ausprobiert. Barents und seine Gefährten waren die ersten, die diese Probe bestanden.

Ende August 1596 waren sie um die Nordspitze Nowaja Semljas herumgekommen. Der Sommer war jedoch schon zu weit vorgeschritten, der Eiswall im Osten veränderte sich von Tag zu Tag, blieb aber undurchdringlich, die Aufgabe der Expedition erwies sich auch diesmal als undurchführbar. Zurück? Auch dazu war es nun zu spät. Die Eisschollen schraubten das Schiff hoch empor, das Steuer zerbrach, und die 16 Köpfe zählende Bemannung konnte noch von Glück sagen, daß sie in einer geschützten Bucht an der Ostküste (auf dem 76. Breitengrad) eine Zuflucht fand. Auf dem Schiff zu bleiben war unmöglich, es barst an mehreren Stellen, jede neue Bewegung des Eises konnte es in Stücke brechen. Man mußte also auf festem Land eine Unterkunft suchen, sich zunächst einmal ein Dach über dem Kopfe schaffen. Wo aber Brenn- und Bauholz hernehmen an dieser völlig baumlosen Küste?

Auf diese angstvolle Frage fand sich eine überraschende Antwort. Die Meeresströmung hatte massenhaft Treibholz, ja ganze Baumstämme auf den Strand geworfen. Renntierspuren zeigten sich, landeinwärts entdeckte man sogar einen Fluß mit süßem Wasser. Das nackte Leben schien fürs erste gerettet. Alle Hände griffen zu, um schleunigst eine Winterhütte zu errichten, denn die Tage wurden schon unheimlich kurz und die Kälte so heftig, daß, wenn die Arbeiter einen Nagel in den Mund nahmen, die Haut der Lippen daran hängen blieb. Am 2. Oktober war die erste Winterhütte im Polareis unter Dach: 10 Meter lang, 6 Meter breit; drei Türen, keine Fenster, in der Mitte des stallartigen Raumes die Feuerstelle, im Dach darüber ein breiter Kamin zum Abzug des Rauches. An der einen Längswand wurden die Schlafkojen angebracht; eine große Weintonne mußte sich in ein Dampfbad verwandeln lassen und wurde nach Vorschrift des Schiffsarztes allwöchentlich benutzt. Einrichtungsgegenstände wurden auf schnell gebauten Schlitten vom Schiff herübergeholt, die Wände der Kajüte abgerissen und zum Ausbau der Hütte verwandt. Mit am Strand gesammeltem Seegras dichtete man die Ritzen. Brennholz wurde in nächster Reichweite aufgestapelt, die Lebensmittel barg man in Holzschuppen. Die Schaluppe zog man auf den Strand; wenn das Schiff, wie zu befürchten stand, verlorenging, war sie ja im nächsten Sommer das letzte Rettungsmittel. Als Merkzeichen errichtete man bei der Hütte einen Baum aus Schnee, damit sich niemand auf dem Weg zum Schiff oder zum Fluß verirrte. Oft brach der Schneesturm so schnell herein, daß die Matrosen auf dem Eis draußen alles stehen und liegen lassen mußten, um sich in Sicherheit zu bringen. Der Boden um die Hütte herum war so durchfroren, daß kein Feuer ihn erweichte; und doch war ein Erdwall ringsum unentbehrlich, vor allem als Schutzwehr gegen die immer zudringlicher werdenden Bären, die fast täglich Schiff und Hütte in Belagerungszustand versetzten. Anfangs hatte lautes Geschrei sie verscheucht; aber bald ließen sie sich dadurch nicht mehr beirren. Wenn die Mannschaft bei Einholung der Schiffsvorräte alle Hände voll zu tun hatte und die brennende Lunte für die noch höchst unvollkommenen Flinten nicht zur Hand war, mußte man sich mit Spießen und Äxten der hungrigen Raubtiere erwehren. Einmal hing das Leben von Barents selbst an einem Haar. Alle Mann waren beim Schiff beschäftigt, als plötzlich drei Bären herankamen. Die Leute retteten sich Hals über Kopf auf das Schiff; zwei Spieße waren ihre einzige Waffe. Barents nahm den einen, le Veer den andern. Einer der Matrosen war bei der Flucht in eine Eisspalte geraten; aber die Tiere liefen an ihm vorüber und begannen das Schiff zu erklettern. Was an Gegenständen zu greifen war, warfen die geängstigten Leute den Bestien an den Schädel; diese fielen über jedes Scheit Holz mit Wut her, ließen sich aber nicht abschrecken. Barents befahl, eine Handvoll Pulver anzuzünden, aber in der Verwirrung kam man damit nicht zustande. Da warf er seinen Spieß, die einzige Waffe, auf das größte der andringenden Untiere und — traf es so glücklich in die empfindliche Schnauzenspitze, daß es laut auf heulte und alle drei Reißaus nahmen. Daß alle diese Begegnungen mit Bären glücklich abliefen, ist erstaunlich genug. Das Fett erlegter Bären diente als Öl für die Hüttenlampe; gegen das Fleisch der Tiere aber hatten alle eine unüberwindliche Abneigung.

Am 20. Oktober hatte sich die ganze Mannschaft in der Hütte häuslich eingerichtet. Am 3. November blickte die Sonne zum letztenmal über den Horizont; dann blieb sie verschwunden, und am klaren Himmel stand Wochen hindurch ohne unterzugehen der Mond. Bei schlechtem Wetter war es so finster, daß Tag und Nacht nicht zu unterscheiden waren.

Ein Gutes aber hatte auch die Finsternis: die Bären waren verschwunden. Dafür zeigte sich eine Menge Füchse; man fing sie in Fallen und gewann damit eine unschätzbare Bereicherung der Speisekammer. Die vorhandenen Vorräte reichten für den ganzen Winter unmöglich aus; Dörrfisch und -fleisch, Speck und Grütze waren noch einigermaßen da; die bisherige Tagesration Schiffszwieback aber mußte schon eine Woche vorhalten. Als Getränk diente geschmolzenes Schneewasser, das mancherlei Krankheiten verursachte. Bis zu dem Süßwasserfluß konnte man sich in der Dunkelheit nicht mehr zurechtfinden. Kleidungsstücke waren reichlich da, aber Hemden und Bettlaken mußten schließlich auch einmal gewaschen werden. Sobald aber die Wäsche aus dem heißen Wasser kam, fror sie im Nu hart wie ein Brett und ließ sich nur mit äußerster Sorgfalt unmittelbar am Feuer wieder auftauen und trocknen. Ins Freie konnte man tagelang nicht, denn ungeheure Schneemassen bedeckten lawinenartig die Hütte; der Kamin verstopfte sich immer aufs neue; von den Türen aus mußte man Stollen durch den Schnee graben. Am 6. Dezember fror es so ungeheuer, daß die Mehrzahl der Matrosen die Hoffnung aufgab, jemals lebendig aus dieser Eisgrube herauszukommen. Am nächsten Tag holten sie vom Schiff einen Vorrat Steinkohle, die kräftiger einheizte als Holz; in der Nacht aber wäre beinah die ganze Mannschaft im Kohlendunst erstickt; die meisten lagen schon in schwerer Betäubung, nur einige hatten noch die Kraft, zur Tür zu taumeln, und retteten sich und ihre Kameraden. Das Leder der Schuhe fror steinhart an den Füßen und war nicht mehr zu brauchen; die Leute machten sich aus mitgebrachten Hammelfellen und den frisch erbeuteten Fuchsbälgen so etwas wie Wasserstiefel und zogen noch drei, vier Paar Strümpfe darüber. Das Feuer schien alle Wärme verloren zu haben. Wasserwrasen und Ausdünstung bedeckten als Reif die Wände und bildeten Eiszapfen an den Dachbalken. Auch die Kleider waren wie mit Glatteis überzogen; wer einige Zeit im Freien verweilte, bekam an Gesicht, Lippen und Ohren Eiterbeulen, die sofort gefroren. Aber Barents verstand es, trotz aller dieser Leiden keinerlei Verzagtheit oder gar Verzweiflung aufkommen zu lassen. War die Arbeit getan, machte Schnee und Sturm jeden Aufenthalt draußen unmöglich, dann vertrieb man sich die langen Stunden mit Unterhaltung und Spiel. Das Dreikönigsfest zu Anfang des neuen Jahres wurde sogar mit einer solennen Feier begangen. Man war so vergnügt, daß man dem Eisstaat Nowaja Semlja eine königliche Verfassung gab; das Los wurde gezogen, wer Fürst dieser Einöde sein sollte, und der Feuerwerker als glücklicher Gewinner zum König von Nowaja Semlja gekrönt.

Der 13. Januar war ein besonders denkwürdiger Tag. Das Wetter war ruhig und klar, der Neumond aber noch nicht sichtbar, und einige Leute trieben sich im Freien herum. Da erscholl plötzlich lauter Jubel: wenn man eine Kugel über die eisharte Erde warf, sah man sie rollen! Das war ein Anblick, den man seit zweieinhalb Monaten nicht mehr gehabt hatte! Ein erster Schimmer von Tageslicht machte sich also bemerkbar.

Als am 24. zwei Mann am Strand entlang wanderten, erblickten sie ganz unvermutet am Horizont auf einen Augenblick einen schmalen Randstrich der Sonnenscheibe. Barents zwar lachte sie aus, denn nach seinen Berechnungen war die Sonne erst in zwei Wochen zu erwarten. Darüber gab es einen erregten Wortwechsel; Wetten wurden geschlossen, und Barents verlor sie! Denn als sich nach zwei düstern Nebeltagen das Wetter aufklärte, stand die Sonne in ihrer ganzen Größe am Himmel. Durch das Stillstehen der Uhr infolge der Kälte und durch die unaufhörliche Nacht war die Zeitrechnung so durcheinander gekommen, daß zwei Wochen unterderhand verschwunden waren. Die Gefangenschaft der Holländer schien dadurch wundervoll abgekürzt, und mit der Wiederkehr der Sonne glaubte jeder, das Schlimmste überstanden zu haben.

Immer drohender aber wurde jetzt die Lebensmittelfrage. Die Zeit der frischen Fuchsbraten war mit Wiederkehr der Sonne vorbei, dafür zeigten sich wieder die Bären. Am 13. Februar wurden Barents und seine Leute unangenehm genug an sie erinnert. Die Matrosen waren eben mit Reinigung der Fuchsfallen beschäftigt, als ein ungeheurer Bär erschien und geradewegs auf die Hütte losging, als wenn er dort zu Hause wäre. Ein glücklicher Schuß streckte ihn nieder. Das Tier lieferte über 100 Pfund Fett; nach langer Pause brannte endlich wieder die Tranlampe im gemeinsamen Wohn- und Schlafzimmer.

Mitte April ließ die Kälte nach. Der erste Ausgang galt dem Schiff. Mit welcher Spannung kletterten die Leute über das Meereis, das sich wie eine Stadt mit Häusern und Zinnen, Türmen und Wällen vor ihnen erhob! War ihr Schiff von der Eispressung zertrümmert und überhaupt noch eine Spur davon zu entdecken? — Es lag wirklich noch da, wie ein Pfand sicherer Rettung, anscheinend in dem alten Zustand, nur völlig vereist außen und innen und eingefroren in unergründlich tiefe Eismassen. Andern Tags zeigte sich in der Ferne schon blinkendes, offenes Wasser. Die Leute waren nicht sonderlich mehr bei Kräften, die Tagesrationen waren immer schmäler geworden, aber bei diesem wunderbaren Ausblick waren etliche nicht mehr zu halten, sie wagten ihr Leben, um über das gefährliche Eisbollwerk bis zum offenen Wasser vorzudringen — die rauschende Welle war Erlösung, Freiheit, neues Leben! Am folgenden Tag trieb ein heftiger Südwest gewaltige Eismassen vor sich her. Wenn er nur immerzu blasen und bald auch das Schiff aus seinem Eispanzer befreien möchte!

Diese kostbarste Beute schien aber das Eis nicht wieder herausgeben zu wollen. Die Massen waren in gewaltiger Bewegung, nur noch 70 Schritt vom Schiff bis zum offenen Wasser! Über Nacht aber setzte sich das Treibeis wieder fest, nun waren es wieder 500 Schritt! Neue Schneefälle hielten tagelang die Besatzung in der Hütte eingeschlossen, der Sturm brauste — vielleicht trieb er die ganze Eisdecke mit Schiff und allem ins Meer hinaus! Das Schiff aber lag unbeweglich, wie für die Ewigkeit verankert — überall brach die Eisdecke, setzten sich die Berge und Bänke in Bewegung —, nur die Masse um das Schiff schien bis auf den Grund hinunter ein einziger, unauflösbarer Kristall geworden zu sein. Und wer konnte wissen, ob das Fahrzeug, vom Eise befreit, nicht im ersten offenen Wasser sank? Noch einmal die kurze Sommerzeit versäumen? Das war das sichere Todesurteil für alle.

Der Mannschaft bemächtigte sich quälende Unruhe. Fort von hier, sobald wie möglich, auf irgendeine Weise! Wenn nicht mit dem Schiff, dann in der offenen Schaluppe! Es kostete Barents schwere Mühe, die Ungeduld der Leute zu zügeln, um diesmal nicht durch ein „Zu früh!“ neue Gefahr heraufzubeschwören. Um Zeit zu gewinnen, verlangte er, daß neben der Schaluppe auch ein Boot segelfertig gemacht werden müsse; es lag unter vereisten Schneewehen, und seine Freilegung war für die schlaffgewordenen Muskeln der ausgehungerten Mannschaft ein schweres Stück Arbeit. Die Leute murrten — lieber heute als morgen mit der Schaluppe los! „Wollt Ihr nicht,“ rief ihnen Hemskerk zu, „dann bleibt nur freie Bürger von Nowaja Semlja, seht aber ja zu, daß Ihr wenigstens rechtzeitig Euer Grab fertig macht. Mit der Schaluppe allein ist’s nicht zu wagen, wir brauchen das Boot, wenn es uns überhaupt gelingen soll, wieder nach Hause zu kommen.“ Die Leute sahen das ein und griffen zu Äxten und Spaten. Mitten in der Arbeit erschien plötzlich ein Bär. Alles stürzte zur Hütte, die besten Schützen verteilten sich an den drei Eingängen, ein vierter postierte sich aufs Dach. Das Tier war aber so schnell hinter ihnen her, daß dem Schützen, auf den es zunächst losging, kaum noch Zeit und Raum blieb, die Flinte zu erheben. Versagte der Schuß, dann war der Mann verloren, der Bär drang in die Hütte, und es blieb nicht bei dem einen Opfer. Aber der Schuß saß, die Bestie prallte zurück und brach zusammen. Wenige Tage später wurde ein zweiter Bär zur Strecke gebracht, und diesmal überwand der Hunger das bisherige Vorurteil gegen Bärenfleisch; man briet die Leber des Tieres und ließ sie sich schmecken. Unglücklicherweise war man dies eine Mal an ein offenbar krankes Tier geraten, die Mahlzeit bekam den Leuten so schlecht, daß sie sich für vergiftet hielten; doch erholten sich alle wieder; nur schälte sich ihre Haut ab vom Kopf bis zu den Füßen.

Am 7. Juni waren beide Fahrzeuge segelfertig. Ein heftiger Südweststurm mit Schnee und Hagel verzögerte noch die Abreise. Zur Ausbesserung der Schaluppe hatte man die Wandverschalung der Hütte abgenommen und konnte sich nun kaum mehr vor der eindringenden Nässe schützen. Am 12. konnte man sich endlich wieder hinauswagen. Zwei schwere Arbeitstage kostete es, bis die beiden offenen Boote mit Proviant, Tauwerk usw. beladen waren; dabei durfte zu Schaufel und Spitzhacke die Waffe nicht fehlen, denn die Bären schienen es sich in den Kopf gesetzt zu haben, die Flüchtlinge keinesfalls ohne blutigen Tribut davonkommen zu lassen.

Barents, der seit einiger Zeit kränkelte, benutzte die letzten Tage dazu, einen ausführlichen Bericht über seine Reise und über den auf Nowaja Semlja verbrachten Winter niederzuschreiben. Das Papier wurde in ein Pulverhorn verschlossen und am Kamin aufgehängt, damit Polarfahrer, die ein Zufall vielleicht nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten hierhin verschlug, erführen, was in dieser trostlosen Einöde die Ruinen eines Hauses bedeuteten. Zwei ähnliche Berichte verfaßte auch Hemskerk, ließ sie von allen Matrosen unterschreiben und in die beiden Fahrzeuge niederlegen, damit, wenn sie getrennt würden und vielleicht nur eines die bevorstehende Fahrt überstände, wenigstens die Überlebenden eine beglaubigte Urkunde über ihre abenteuerlichen Erlebnisse vorzuweisen hätten und nicht als Märchenerzähler daständen.

Am 14. Juni begann nun die Fahrt auf Leben und Tod. Für Barents brachte sie den Tod. Im Süden war kein Ausweg, also mußte wieder der Kurs um die Nordspitze von Nowaja Semlja herum genommen werden. Was die Holländer den Winter über ausgehalten hatten, erwies sich als ein Kinderspiel gegenüber dem, was nun jeder Tag und jede Nacht ihren schwachen Kräften zumuteten. Immer wieder schloß sich das Treibeis und drohte, die beiden lächerlich gebrechlichen Fahrzeuge zu zerquetschen; die Bemannung rettete sich mit den Booten auf Eisschollen, die Schollen brachen, Gepäck- und Proviantballen schwammen auf dem Wasser; man fischte sie mit Todesverachtung wieder auf und fand Zuflucht an der nahen Küste, ohne Trinkwasser und Feuer, von Bären verfolgt und verzweifelnd über dem Gedanken, hier aufs neue für Wochen festgehalten zu werden. Dann war plötzlich die See wieder eine Strecke eisfrei. Bei Nacht und Nebel und Sturm verlor man einander aus dem Gesicht und fand sich wieder nach unsäglichen Leiden. An einem der schlimmsten Tage, als sie alle ihren Tod vor Augen sahen, starb Barents plötzlich, zugleich mit ihm ein Matrose; 14 Tage später folgte ein zweiter. Die übrigen zwölf Mann aber hielten die übermenschlichen Strapazen dieser Todesfahrt aus und schlugen sich durch bis zur Küste Rußlands, wo Samojeden und Walfischfänger ihnen die erste Hilfe brachten. Endlich waren sie bei der Halbinsel Kola in Sicherheit, und hier wartete ihrer eine einzigartige Überraschung: sie trafen plötzlich den Kapitän Cornelius Rijp, der sich im vorigen Jahr von ihnen getrennt und nach Holland zurückgekehrt war; jetzt war er auf neuer Fahrt, um vielleicht Kunde über die verschollenen Kameraden mit heimzubringen. Die man längst in Nacht und Eis umgekommen glaubte, standen nun, wenigstens zwölf der tapfern Schar, leibhaftig vor ihm, und diese zwölf führte er im Triumph in die Heimat zurück, wo sie wie Meerwunder angestaunt und mit Recht als Helden gefeiert wurden. Die Nachricht von ihrer glücklichen Heimkehr nach der ersten Überwinterung in der Polaris und von ihrer fabelhaften Reise in zwei Nußschalen über das offene Eismeer vom 77. bis zum 68. Breitengrad ging wie ein Lauffeuer durch die ganze Welt, in Prosa und Versen wurde sie verewigt, zum schnurrenden Spinnrad sangen die Mädchen von den Abenteuern des Helden Barents und seiner Gefährten, und auf den Jahrmärkten pries sie der Bänkelsänger mitten unter den frischesten Moritaten.

Fast 300 Jahre später, 1871, kam ein norwegischer Kapitän namens Elling Carlsen in jene Bucht von Nowaja Semlja und fand das Barentshaus zwar völlig vereist, aber unter der Eislava wunderbar erhalten; er brachte eine Menge Geräte von dort mit, Krüge, Leuchter, Näpfe usw. von künstlerischem Wert, auch das Pulverhorn mit dem Reisebericht von Barents. Jetzt sind sie im Amsterdamer Reichsmuseum zu sehen, und wenn die Hütte kein Wirbelsturm zerstört hat, steht sie noch heute.

Der Ruf des Nordens. Abenteuer und Heldentum der Nordpolfahrer

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