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Die erste deutsche Polfahrt

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Mittelalterliche Reisebeschreibungen erzählen von den Ländern und Meeren des Nordens märchenhafte Geschichten. Die Inseln da oben seien von Waldmenschen bewohnt und bärtigen Weibern; in Sibirien, in der Gegend des Weißen Meeres, hausten Drachen, denen Menschenopfer gebracht würden. Uralte Saga berichtet von Amazonen, deren Töchter weißen Antlitzes und von schöner Gestalt seien; die Knaben dagegen hätten Hundsköpfe, die säßen ihnen auf der Brust; sie bellten statt zu sprechen; auf den Märkten Rußlands seien diese Mißgeburten zu kaufen. Auch Menschenfresser, die „Wizzis“, weißhaarige Wilde, lebten da irgendwo; ihre Hunde seien auf Menschenfang dressiert. In Fabeln von Riesen und von Zwergen, die wie Tiere behaart seien, kann sich die Phantasie des Mittelalters nicht genug tun.

Diese wilde Phantastik spukt auch noch in einer Erzählung, die auf den gelehrten Domscholastikus Adam von Bremen zurückgeht, der im übrigen mancherlei zutreffende Kunde aus dem Norden gehabt haben muß. Sie ist dadurch bemerkenswert, daß sie eine erste Polfahrt schildert, die von deutschen Seefahrern um das Jahr 1040 unternommen wurde, die erste deutsche Entdeckungsfahrt überhaupt, und sei, treuherzig wie der Chronist sie bietet, hier eingeschaltet:

„So erzählte mir auch der Erzbischof Adalbert seligen Andenkens, daß in den Tagen seines Vorgängers im Amte einige edle Männer aus Friesland nach Norden gesegelt seien, um das Meer zu erforschen, weil nach der Meinung ihrer Leute von der Mündung des Flusses Weser in direkter Linie nach Norden kein Land mehr zu finden sei, sondern nur das Meer, welches man die Liber-See nennt. Um über diesen interessanten Punkt die Wahrheit zu erforschen, setzten die verbündeten Genossen mit fröhlichem Jubelgeschrei vom friesischen Ufer aus. Indem sie auf der einen Seite Dänemark, auf der andern Britannien hinter sich ließen, gelangten sie zu den Orkadischen Inseln (wohl den Orkneyinseln). Diese ließen sie bei der Weiterfahrt zur Linken, während sie Norwegen zur Rechten hatten, und kamen so nach einer langen Überfahrt zu dem eisigen Island. Von hier durchschifften sie die Meere noch weiter bis zum äußersten Ende, indem sie dabei alle die obengenannten Inseln hinter sich ließen und ihr kühnes Wagstück und ihre Weiterreise dem allmächtigen Gott und dem heiligen Willebaldus empfahlen. Sie gerieten dabei aber plötzlich in jenen finstern Nebel des erstarrten Ozeans, den sie kaum mit den Augen zu durchdringen vermochten. Und siehe, da zog die unstete Strömung des Meeres, die dort zu den geheimen Anfängen ihrer Quelle zurückläuft, die bedrängten und schon verzweifelnden Schiffer, welche nur noch an ihren Tod dachten, mit heftiger Gewalt in ein Chaos hinein. Dort, so meint man, sei der Wirbel des Abgrunds, jene unergründliche Tiefe, in welcher der Sage nach alle Meeresströmungen verschlungen und aus der sie wieder hervorgespien werden, was man Ebbe und Flut zu nennen pflegt. Nachdem sie darauf die Barmherzigkeit Gottes angefleht, daß er sich ihrer Seelen annehmen möchte, riß die Gewalt des zurücklaufenden Meeres einige Schiffe der Gefährten ganz mit sich fort, andere aber warf sie auf einem langen Umwege wieder zurück. Diese halfen sich mit angestrengtem Rudern und wurden aus der Gefahr, die sie vor Augen hatten, mit Gottes rechtzeitigem Beistande gerettet. Nachdem sie jedoch so den Nebeln und der kalten Eisregion glücklich entronnen waren, bekamen sie unverhofft eine gewisse Insel in Sicht, die von hohen Klippen wie eine Stadt von Mauern ringsumher umgeben war. Sie gingen daselbst, um die Ortsgelegenheit zu beschauen, ans Land und fanden Menschen, die um die Mittagszeit in unterirdischen Höhlen verborgen waren. Vor den Eingängen dieser Höhlen lagen zahllose Gefäße von Gold oder von solchen Metallen, welche von den Leuten für kostbar und selten gehalten werden. Nachdem sie von diesem Schatze, soviel als sie schleppen konnten, zu sich genommen, wollten die Ruderer froh zu ihren Schiffen eilen. Plötzlich aber sehen sie rückblickend Männer von wunderbarer Länge, welche man bei uns Zyklopen nennt, hinter sich herkommen, denen Hunde von außerordentlicher Größe voranliefen. Einer der Gefährten wurde alsbald von ihnen gepackt und sofort vor ihren Augen zerrissen. Die übrigen entkamen jedoch zu ihren Schiffen, indem die Riesen sie noch, als sie schon auf hoher See waren, mit Geschrei verfolgten. Nach solchen Abenteuern und Schicksalen gelangten diese Friesen nach Bremen, wo sie dem Erzbischof Alebrand alles der Ordnung gemäß erzählten und darauf Christo und seinem Bekenner Willebaldus für ihre Rückkehr und Rettung Dank- und Sühneopfer darbrachten.“

Diese edlen Männer aus Friesland, die in fremdem Lande Kostbarkeiten, die unbeschützt am Wege lagen, einfach mitgehen hießen, waren offenbar an die Unrechten geraten! Wahrscheinlich waren sie an der Küste Grönlands zu einer Kolonie Normannen gekommen, deren hoher Wuchs, durch die Brille der Angst gesehen, Riesengestalt annahm. Tatsächlich hat man in den Überbleibseln solch alter Normannensiedelungen auf Grönland Bronzearbeiten gefunden.

Etwa 20 Jahre später sandte ein nordischer König Harald Hardrade (der Hartwaltende) eine Expedition zum Nordpol aus. Sie sollte, erzählt ebenfalls Adam von Bremen, das Meer jenseits Thules erforschen, aber auch sie kam, wie Pytheas, nicht weiter als bis zu dem mit finsterm Nebel bedeckten Ende der Welt und entging „nur mit genauer Not den entsetzlichen Abgründen“.

Schlimmer erging es in den folgenden Jahrhunderten vereinzelten ähnlichen Unternehmungen, von denen keine weitere Überlieferung zu uns gedrungen ist. Man weiß von einer Reise eines Prinzen von Wales, von den Fahrten der Gebrüder Viviani aus Genua, von Raubzügen der Araber, der „umherirrenden Brüder“, wie man sie nannte. Aber von all diesen Expeditionen meldet kein Lied, kein Heldenbuch; sie gingen sämtlich zugrunde. Erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts setzen die Entdeckungsreisen nach dem Norden mit neuer und größerer Tatkraft ein.

Der Ruf des Nordens. Abenteuer und Heldentum der Nordpolfahrer

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