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Eine blühende Industrie – die Firma Benziger 1833–1897

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Josef Karl B.-Fuchs und seine Söhne und Nachfolger im Verlagsgeschäft, Josef Karl B.-Meyer und Nikolaus B.-Benziger, betrieben, wie schon die Generationen vor ihnen, mehrere Erwerbszweige nebeneinander. Josef Karl B.-Fuchs gründete 1821 in Einsiedeln zusammen mit Heinrich Wyss die mechanische Baumwollspinnerei «Schöngarn», an der vorübergehend auch seine Söhne beteiligt waren. In den 1830er-Jahren zogen sich die Benzigers aus diesem Geschäft zurück. Josef Karl B.-Meyer betrieb bis in die 1850er-Jahre eine Tabakstampfe bei Einsiedeln sowie ein Wirtshaus in seinem Wohnhaus «Hirschen» am Klosterplatz. Den «Hirschen» wandelte Josef Karl 1853 in ein Geschäftshaus für den Verlag um. Sein Bruder Nikolaus unterrichtete in den 1830er-Jahren Zeichnen und Buchhaltung an der Schule im Dorf, bevor er sich ausschliesslich auf die Tätigkeit im Verlag konzentrierte.112

In der ersten Phase ihrer Geschäftstätigkeit im 19. Jahrhundert konzentrierte sich die Verlegerfamilie Benziger also zunehmend auf das Kerngeschäft: den Buchverlag und den Devotionalienhandel, zu denen sich ab den 1830er-Jahren die Druckerei und der Bilderverlag gesellten. In einer zweiten, sich mit der ersten überschneidenden Phase diversifizierten sie innerhalb des Kerngeschäfts stark. Zum Gebetbuchhandel kamen Schulbücher, Zeitschriften und Kalender, der Bilderhandel, später die Belletristik sowie der Handel mit Paramenten und Kirchenornamenten.

Die Entwicklung der Verlags- und Fabrikgebäude, der technischen Innovationen sowie der Zahl und Herkunft der Angestellten verschafft uns im Folgenden einen Überblick über das Verlagsgeschäft zwischen dem Generationenwechsel von 1833 und dem Jahr 1897, als der Verlag in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Die drei Indikatoren sollen uns verschiedene Blickwinkel auf die Unternehmensgeschichte ermöglichen und verschiedene Phasen und Konjunkturen sichtbar machen.

Geschäftsgebäude sind das «Gesicht eines Unternehmens» und haben repräsentative Zwecke. Als erster Indikator dient uns deshalb die Entwicklung der Verlags- und Fabrikgebäude. Der Benziger Verlag zeigte in den eigenen Verlagsprodukten regelmässig Ansichten seiner Industrie- und Geschäftsanlagen. Ab 1821 (Ankauf Haus Hirschen) hatte das Unternehmen seinen Sitz in einem repräsentativen Wohnhaus direkt am Klosterplatz. 1834 (Adler) und 1846 (Ochsen) wurden weitere Häuser am Klosterplatz hinzugekauft. Bis in die Jahrhundertmitte war die Firma, inklusive der Druckerei, in diesen Wohnhäusern untergebracht und verfügte nur über bescheidene Platzverhältnisse. 1853/54 bezogen die Buchbinderei, die Setzerei und die Druckerei ein barockes Wohnhaus (Wildmann) in unmittelbarer Nähe des Klosterplatzes, das zu einem Fabrikgebäude umfunktioniert worden war. Im Nekrolog von Nikolaus B.-Benziger I (1808–1864) heisst es zu diesem Fabrikgebäude: «Mit Staunen sieht das Auge an der Stelle des frühern Hauses zum ‹wilden Mann›, einer alten zerfallenen Barake, ein stattliches weitläufiges Fabrikgebäude, das allabendlich wie ein Feenpalast illuminirt ist und aus dessen Innern das schnurrende Geräusch von kunstvollen Werken tönt, die täglich, getrieben von der allmächtigen Kraft des Dampfes, tausend und tausend Druckbogen produziren.»113

In den folgenden Jahrzehnten wurden weitere Gebäude hinzugekauft (St. Anton, Einsiedlerhof) oder erstellt (Wildfrau, Arche Noah, Phönix, Delphin). Der Verlag errichtete einen kompakten Industriekomplex inmitten des Dorfs und in unmittelbarer Nähe des Klosterplatzes und der dortigen Verkaufs- und Geschäftshäuser. Den Ausbau der Fabrikanlagen übernahmen teilweise renommierte Architekten wie etwa der Zürcher Johann Kaspar Wolff (1818–1891). Konfessionelle Gräben spielten dabei keine Rolle.114

Die Rückseite eines Verlagskatalogs von 1879 zeigt die Geschäfts- und Fabrikgebäude in einer repräsentativen Ansicht. Zu sehen sind die Buch-, Devotionalien- und Kunsthandlung direkt am Klosterplatz, ein eigenes Gebäude für die Lithographie und für die Kupferdruckerei, Buchbindereien in Einsiedeln, Euthal und Gross sowie im Zentrum die auf mehrere Gebäude verteilte Buchdruckerei mit vorgelagertem Springbrunnen. Geschmückt ist die Ansicht mit vier Medaillen, zwei sind Papst Pius IX. (1846–1878) und dem österreichischen Kaiser Franz Josef gewidmet, die zwei anderen zeigen die allegorischen Darstellungen «Fortschritt» und «Verdienst» (Abb. I.8, S. 193).115 Bis 1892 kamen ein Bilderlager, einige kleinere Ökonomiegebäude an der damaligen Peripherie des Orts sowie ein etwas ausserhalb des Dorfs gelegenes «Kosthaus für junge Angestellte» hinzu.116

Eine lithographische Postkarte, die der Benziger Verlag um 1900 herstellte, veranschaulicht das Zusammenspiel von industrieller Tätigkeit und Wallfahrt in Einsiedeln (Abb. I.4, S. 189). Der Betrachter der Postkarte blickt von Süden auf den weitläufigen Klosterplatz, auf dem einige Pilger zu sehen sind. Rechts begrenzt die barocke Klosterfassade den Platz, links eine städtisch anmutende Häuserzeile. Zahlreiche Souvenir- und Devotionalienstände flankieren den Platz: Manchmal sind es kaum mehr als einfache Bretterbuden, in denen Händler Bücher, Andachtsbilder, Postkarten, Kerzen, Rosenkränze und weitere Gegenstände anbieten.

Hinter der Häuserzeile ragt ein Fabrikkamin in den Himmel, der in seiner Höhe beinahe mit den Klostertürmen zu konkurrieren scheint. Hier befanden sich die Produktionsstätten des Benziger Verlags. Der Kamin, den die Firma Benziger 1894 von der Winterthurer Firma Sulzer errichten liess, war, wie sich anhand zeitgenössischer Fotografien feststellen lässt, in Wahrheit weit weniger hoch und dominierte das Dorfbild weniger stark als auf der Postkarte. Der Kamin, aus dem sich auf der Postkarte Rauch emporschlängelt, ist auf der Karte überhöht dargestellt und sollte auf die fortschrittliche Produktionsweise der Firma Benziger verweisen.

Ab den 1850er-Jahren verfügte die Firma Benziger neben grossen Verkaufsflächen am Klosterplatz und Büro- und Geschäftsräumlichkeiten an bester Lage auch über moderne Fabrikanlagen. Die eher kleinräumigen Verhältnisse und die Aufteilung der Geschäftszweige auf verschiedene Häuser hemmten allerdings die Fabrikation und verhinderten eine weitere Ausdehnung der technischen Betriebe. Gerade die dampfbetriebenen Schnellpressen brauchten viel Platz, der bald nicht mehr zur Verfügung stand.117 Zu einem grosszügigen Neubau in der Peripherie, wie ihn viele andere Verlags- und Druckereiunternehmen im ausgehenden 19. Jahrhundert errichteten, konnte sich die Firma Benziger nicht entschliessen.118 Erstaunlich lange beliess der Verlag seine Fabrikation in der zwischen 1850 und 1870 errichteten Industrieanlage; einige der genutzten Gebäude stammten gar aus dem 18. Jahrhundert. Erst 1970 bezog man einen Neubau am Dorfrand von Einsiedeln.

Als zweiten Indikator betrachten wir, wie das Unternehmen über die Zeit technische Innovationen implementierte. Während Jahrhunderten hatte sich in der Druckerbranche in technischer Hinsicht wenig bewegt. Noch 1820 waren in den kontinentaleuropäischen Druckereien hölzerne Handpressen die Regel. Mit der Industrialisierung lösten eiserne Pressen die hölzernen ab. Bald folgten dampfbetriebene Schnellpressen, die eine höhere Auflage zu weit tieferen Preisen ermöglichten.

Mit dem technischen Wandel veränderte sich auch die Druckerei- und Verlagstopografie. Einige der traditionellen Buchdruckereizentren wie Nürnberg und Augsburg verloren im 19. Jahrhundert an Bedeutung. Gleichzeitig entstanden zahlreiche neue Druckereiunternehmen.119 Karl Faulmanns «Illustrirte Geschichte der Buchdruckerkunst» von 1882 bietet für Deutschland ein Verzeichnis von 440 Orten, in denen bis zum Jahr 1800 Druckereien gegründet worden waren. Ein «Adressbuch der Buchdruckerkunst» listete 1854 bereits 1400 Buchdruckereien in etwa 780 Orten in Deutschland auf. Bis 1883 verdoppelte sich die Zahl der Buchdruckereien in Deutschland auf rund 2800. Hinzu kamen 1300 Steindruckereien und 750 Betriebe, die sowohl Buch- wie Steindruck ausübten.120 In der Schweiz verlief die Entwicklung ähnlich. Hier verdreifachte sich die Zahl der Buchdruckereibetriebe zwischen 1835 und 1883 von 105 auf über 300.121

Wollten diese Druckereiunternehmen dauerhaft bestehen, durften sie sich dem technischen Wandel nicht entziehen. Verschiedene neue Reproduktionsverfahren wurden entwi ckelt und für die industrielle Massenproduktion nutzbar gemacht. Anhand der Geschichte der Firma Benziger lässt sich diese Entwicklung gut nachzeichnen.

Im Jahr 1833 übernahmen Josef Karl B.-Meyer und Nikolaus B.-Benziger I gemeinsam das väterliche Geschäft. Die Söhne waren damals 34 und 25 Jahre alt und hatten bereits seit ihrer Jugend im Geschäft mitgearbeitet. Der Betrieb, den sie übernahmen, bestand aus dem Gebetbuchverlag, einer Devotionalienhandlung und einer bescheidenen Produktionsstätte für Rosenkränze. Josef Karl und Nikolaus dehnten in den folgenden Jahrzehnten das Geschäftsfeld sukzessive aus. Noch im Jahr 1833 richteten sie eine eigene Druckerei ein. Zuvor hatten sie Druckaufträge in den Druckereien ihrer Cousins Marianus und Sales Benziger ausführen lassen.122 In der Mitte der 1830er-Jahre begannen sie mit dem Aufbau eines Andachtsbilderverlags und richteten dazu eine eigene lithographische Anstalt ein. 1856 folgte eine Stahl- und Kupferdruckerei. Bereits in den 1840er-Jahren eröffneten sie eine fabrikmässig betriebene Buchbindereianstalt.

1844 führte man das Verfahren der Stereotypie ein, das hohe Auflagen bei reduzierten Produktionskosten ermöglichte.123 Das erste Buch, das in Einsiedeln stereotypiert und in dieser Technik gedruckt wurde, war die 31. Auflage des Gebetbuchbestsellers «Freuden des Christen in Gott und Religion» des Franziskanerpaters Aloys Adalbert Waibel (1787–1852). 1845 wurden die ersten dampfbetriebenen Schnellpressen installiert. Benziger kaufte die Pressen von der 1817 gegründeten Firma Koenig & Bauer, die ihre Fabrik im 1803 aufgehobenen Kloster Oberzell bei Würzburg betrieb.

Im Jahr 1847 hatte das Unternehmen bereits eine beträchtliche Ausdehnung erfahren. Ein Bilderkatalog warb in diesem Jahr: «Haben neben Bildern und Kunst auch folgende Geschäftszweige: Lithographie, Buchdruckerei, Stereotypie, Verlagsund Sortimentsbuchhandlung, Buchbinderei, Buchbindermaterialien- und Devotionalien (oder geistlicher Waaren) Handlung. Wir liefern gut und billigst: lithographische Arbeiten jeder Art […] beliebige Buchdruckerarbeiten, gebundene und ungebundene Andachtsbücher eigenen Verlags […] und Werke aus allen Wissenschaften […] Rosenkränze aller Gattungen […].»124 Als Josef Karl und Nikolaus das Geschäft im April 1860 an ihre Söhne übergaben, standen vier Schnellpressen für den Buchdruck (Hochdruck), einige Handpressen sowie mehrere Satinier-, Präge- und Vergolddampfpressen zur Verfügung. Daneben zwanzig Lithographiepressen und fünf Kupferdruckpressen für Stahlstich.125

Die folgende Generation investierte weiter in die technische Infrastruktur. Vor allem Adelrich B.-Koch (1833–1896), der Sohn von Nikolaus B.-Benziger I, bemühte sich um den Ausbau der technischen Betriebe. Unter seiner Leitung wurde 1863 die Zinkographie, der Druck ab Zinkplatten, eingeführt. 1866 folgte die Xylographie (Holzdruck), die vor allem in der Herstellung von Illustrationen in Zeitschriften Verwendung fand. Ab 1889 tauchten fotografische Reproduktionen als Illustrationen in den hauseigenen Zeitschriften auf.126

Ein Bücherkatalog aus dem Jahr 1894 zählt eine unübersichtliche Fülle an Reproduktionsverfahren auf, die der Benziger Verlag in Einsiedeln betrieb: Neben der Kupfer- und Stahlstecherei, einem xylographischen, lithographischen, chromographischen sowie photographischen Atelier betrieb man auch die Zinkographie, die Phototypie, Autophototypie, Chromotypographie, Photolithographie, den Lichtdruck, die Photogravure und Heliogravure.127

Für die Beteiligten bedeutete es einen enormen Aufwand, überall auf dem neuesten Stand zu bleiben. «Die Sache wird jährlich complizirter», schrieb Adelrich B.-Koch im Sommer 1870 in einem Brief, den er aus Lyon nach Hause schickte.128 Um mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten, besuchten Mitglieder der Verlagsleitung regelmässig die einschlägigen Industriemessen, wo die neuesten Entwicklungen im Bereich der Reproduktionstechnologien vorgestellt wurden. Adelrich B.-Koch amtierte an mehreren Industrieausstellungen im In- und Ausland, darunter an der Weltausstellung 1889 in Paris, auch als Juror.129

Die Firma Benziger habe «die groessten Buchdruckereien, Steindruckereien, Stahlstichdruckereien der Schweiz», schrieb Nikolaus B.-Benziger II (1830–1908) im Jahr 1904.130 Die Industrieanlagen von Benziger erreichten aber nie die Dimensionen der grossen deutschen Verlagsdruckereien wie Brockhaus in Leipzig oder Cotta in Stuttgart.131 Dennoch verfügte der Benziger Verlag in dieser Zeit über ein technisches Know-how und eine Infrastruktur, die international keinen Vergleich zu scheuen brauchte. So gelang es dem Unternehmen ab etwa der Jahrhundertmitte, sich für einige Jahrzehnte an der internationalen Spitze zu etablieren. Adelrich B.-Koch schrieb 1859 von einer Geschäftsreise an seinen Vater und seinen Onkel: «Es besteht in ganz Deutschland keine Buchbinderei, die wie unsere fabrikartig betrieben wird.» Vergleichbar effiziente Buchbindeanstalten fände man höchstens in England, Paris, New York und Philadelphia.132 Über die eigenen Stahlstichreproduktionen hiess es ein paar Jahre später in einem Brief, den die Verlagsleitung nach Amerika schickte: «In Stahlstichen besteht nichts so gediegenes wie unser Verlag. Das anerkennen […] sogar die eitlen selbstsüchtigen Franzosen.»133

Im Verlag wurde in dieser Zeit der Anspruch gepflegt, Innovationen im Bereich der Reproduktionstechnologien möglichst bald im eigenen Betrieb einzusetzen. Dank der Chromolithographie farbige Andachtsbilder zu produzieren, schien den damaligen Verlegern beispielsweise selbstverständlich. Nikolaus B.-Benziger II schrieb 1867 auf einer Geschäftsreise von München nach Einsiedeln: «Es ist wirklich an der Zeit ‹bald› mit chromo Heiligenbildern zu beginnen, wollen wir die ersten sein.»134 Zwei Jahre später reiste sein Bruder Adelrich B.-Koch nach Paris, um sich vor Ort ein Bild über die lithographischen Schnellpressen der Firma Voirin zu machen. Auch in London besichtigte er solche Pressen. Zunächst liess Benziger seine Farbendrucke noch in Paris bei der Firma Lorilleux herstellen.135 1871/72 investierte die Firma schliesslich die beträchtliche Summe von 42 000 Franken in vier lithographische Schnellpressen, die aus Paris importiert und in Einsiedeln montiert wurden.136 Die Firma Benziger war eines der sehr frühen kontinentaleuropäischen Verlagshäuser, das mit lithographischen Schnellpressen arbeitete, in der Schweiz gar das erste.137

Der Benziger Verlag hat sich in dieser Zeit in einzelnen Fällen auch selbst aktiv um die Entwicklung von neuen Erfindungen bemüht: Mit Cyprien Maria Tessié du Motay (1818–1880), einem französischen Chemiker und einem der Erfinder der Phototypie, standen sowohl das Geschäft in Einsiedeln als auch die Filialen in den USA in Kontakt. Du Motay reiste in den Jahren 1874/75 mehrmals nach Einsiedeln, um in den Ateliers der Firma Benziger Versuche in der Druckfotografie zu machen.138 1879 schrieb die Verlagsleitung in Einsiedeln stolz nach Amerika, dass sie für ihre «Leistungen auf dem Gebiete der Phototypie» zahlreiche Anerkennungen «von den ersten Häusern in Deutschland, Oesterreich und Frankreich» erhalten hätten.139 Mit diesem Verfahren liessen sich Bilder in beliebigen Formaten billig reproduzieren, heisst es in einem späteren Brief. Aufträge verschiedener «der grössten Verleger Deutschlands» seien bereits eingegangen.140

In den eigenen technischen Betriebe wurden in erster Linie Bücher für den eigenen Verlag hergestellt. Dank der fortschrittlichen technischen Infrastruktur wähnte man sich gegenüber der direkten Konkurrenz im Vorteil. Im Januar 1866 schrieb Adelrich B.-Koch in die USA, dass man in Einsiedeln künftig noch stärker darauf achten werde, «nur illustrirte, schöne Bücher [zu] verlegen, die andere nicht nachdrucken können wegen Mangel an guter Einrichtung».141 Einfach auszuführende Druckaufträge liess Benziger, wenn keine eigenen Kapazitäten mehr vorhanden waren, hin und wieder auch auswärts drucken, häufig bei der Firma Brockhaus in Leipzig, mit der man schon länger geschäftlich verbunden war.142

Die Verlagsleitung in Einsiedeln pochte darauf, alle technischen Einrichtungen in Einsiedeln zu konzentrieren, und riet den amerikanischen Filialen stets dezidiert davon ab, selbst Fabrikationen zu betreiben. Die amerikanischen Filialen sollten ihre Verlagswerke in Einsiedeln drucken lassen. So konnte sich Benziger mit seinen Produktionsstätten in Einsiedeln international lange Zeit behaupten. Zum einen sorgte der sichere Absatz der Verlagswaren in den USA für hohe Auflagen und somit eine hohe Auslastung der Maschinen. Zum anderen erschlossen die Filialen dem Geschäft in Einsiedeln Quellen für den Import von kostengünstigen Maschinen aus den USA, die nicht allen europäischen Konkurrenzunternehmen zugänglich gewesen sein dürften. Benziger importierte ab den 1860er-Jahren unter anderem von der Firma R. Hoe & Company in New York und später auch von der Firma Miehle in Chicago Druckerpressen und andere Maschinen für die technischen Betriebe.143

Um die Entwicklung des Unternehmens über die Zeit zu verfolgen, dienen uns als dritter Indikator die Arbeiterzahlen im Verlag. Im Falle des Benziger Verlags sind die überlieferten Zahlen für das 19. Jahrhundert jedoch unvollständig und teilweise widersprüchlich; erst ab etwa 1900 sind die Angestelltenverzeichnisse vollständig überliefert.

Dass die Zahlen stark voneinander abweichen, liegt vermutlich nicht bloss an der lückenhaften Überlieferung, sondern auch daran, dass die Firma ihre Arbeiterverzeichnisse stets als eine Art Betriebsgeheimnis behandelte. Selbst die Konkurrenzunternehmen in Einsiedeln kannten offenbar die genaue Zahl der Arbeiter bei der Firma Benziger nicht.144 Als der Bezirksrat 1877 ein Arbeiterverzeichnis aller grösseren Betriebe im Bezirk einforderte, weigerte sich der Benziger Verlag, ein solches zu erstellen. Die Verleger begründeten ihre Haltung mit der fehlenden gesetzlichen Grundlage und sahen in der Forderung des Bezirksrats eine Strategie ihrer Konkurrenten in Einsiedeln, die ihr Amt als Bezirksräte dazu ausnutzen würden, Spionage über die Arbeiterverhältnisse in der Firma Benziger anzustellen.145

In den Verlagsprodukten des Benziger Verlags und in der Sekundärliteratur finden sich dennoch vereinzelt Angaben zur Zahl der Angestellten, sodass sich deren Entwicklung grob skizzieren lässt. Die Verlagsgeschichte von 1942 nennt für 1830 rund 35 Buchbinder und ihre Familien, die für den Verlag tätig gewesen seien. Daneben darf man sich wohl noch ein paar Dutzend weitere Angestellte vorstellen, die als Kolporteure unterwegs waren, Rosenkränze kettelten und den Devotionalienladen führten, sowie allenfalls einige Büroangestellte, welche die Korrespondenz und die Buchhaltung besorgten. Eine eigene Druckerei unterhielt man damals noch nicht. 1860 waren laut derselben Verlagsgeschichte 90 Buchbinder (wovon 20 in Heimarbeit), 180 Bilderkoloristen und 60 Rosenkranzkettlerinnen für den Verlag tätig. Zur Zahl der in der Druckerei tätigen Personen macht die Verlagsgeschichte von 1942 allerdings keine Aussage.146 Ambros Eberle sprach 1858 in einem Referat von 180 Kindern, die zum Kolorieren von Heiligenbildern herangezogen würden, rund 30 Buchbinderfamilien, die in Heimarbeit tätig seien, einer fabrikmässig betriebenen Buchbinderwerkstätte sowie 50 Rosenkranzkettlerinnen, die für den Benziger Verlag tätig seien. Auch er liess die personalintensive Buchdruckerei unerwähnt.147 Laut der Verlagsgeschichte von 1967 betrug die Zahl der Angestellten um 1850 in Einsiedeln insgesamt rund 500 Personen.148

Robert Kistler spricht in seiner Wirtschaftsgeschichte des Kantons Schwyz von durchschnittlich 800 Angestellten in den Jahren von 1880 bis 1900.149 Odilo Ringholz zählte 1896 nahezu 900 Arbeiter.150 Auch in den Verlagskatalogen selbst findet sich in den 1880er-Jahren hin und wieder die Zahl von 900 Angestellten.151 In einem kurzen Artikel der Zeitung «Vaterland» über Adelrich B.-Koch aus dem Jahr 1885 heisst es, der Verlag habe «zu seinen Blüthezeiten» über 900 Angestellte gehabt.152

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass der Generationenwechsel in der Verlagsleitung und vor allem die Einführung einer eigenen Druckerei die Zahl der Angestellten ab etwa 1830 stark ansteigen liess und diese sich innerhalb von zwanzig Jahren von ein paar Dutzend auf rund 500 Personen erhöhte. Ab 1860 stieg die Angestelltenzahl noch einmal an und dürfte zu Spitzenzeiten in den 1870er- und 1880er-Jahren die Zahl von 900 übertroffen haben. Die überlieferten Verzeichnisse stützen diese Zahl. Im Jahr 1900, zu einem Zeitpunkt, als man die Angestelltenzahl bereits etwas reduziert hatte, zählte der Verlag in Einsiedeln und Umgebung immer noch 808 Angestellte.153

Diese Zahlen betreffen lediglich das Geschäft in Einsiedeln. Nicht berücksichtigt sind die Filialen in den USA, für die keine Zahlen überliefert sind. Da die Filialen im 19. Jahrhundert nie eigene Druckereien einrichteten, dürften sie auch deutlich weniger Personal beschäftigt haben. Allerdings betrieb man in Cincinnati schon in den 1860er-Jahren eine Buchbinderei und in New York ein Atelier für Kirchenornamente, das 1894 zu einer Fabrik ausgebaut wurde. Eine Zahl von sicherlich über 100, vielleicht auch 300 oder 400 Angestellten in den US-amerikanischen Filialen scheint für die letzten drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts realistisch.

Ende der 1860er-Jahre stellte der Benziger Verlag auch in der Buchbinderei vollständig auf fabrikmässigen Betrieb um. Bis dahin hatte man stets einige der Arbeiter in traditioneller Heimarbeit beschäftigt. Unklar ist, ob der Verdienst im Verlag für diese Arbeiter, die Rosenkranzkettlerinnen oder die Kinder, die Heiligenbilder kolorierten, ein Haupteinkommen war oder lediglich ein Nebeneinkommen zu einer Tätigkeit in Landwirtschaft, Textilindustrie oder einem anderen Gewerbe.

Auch zur Herkunft der Kinder fehlen genaue Informationen. Es ist möglich, dass Mitglieder der Verlegerfamilie, die sich in verschiedenen Ämtern im Schul- und Armenwesen sozialpolitisch betätigten und 1869 an der Errichtung einer Erziehungsanstalt für Knaben beteiligt waren, Kinder direkt aus diesen Institutionen rekrutierten. Kinderarbeit war im Unternehmen auch in den 1870er-Jahren noch verbreitet und wurde erst im Vollzug des Fabrikgesetzes von 1877 eingestellt, das die Fabrikarbeit von Kindern unter 14 Jahren verbot.154

Die meisten Arbeitskräfte des Benziger Verlags in Einsiedeln stammten aus der Region: Um 1890 stammten rund sechzig Prozent aller Angestellten aus dem Kanton Schwyz, die allermeisten davon aus dem eigenen Bezirk.155 Auch die amerikanischen Filialen rekrutierten ihr Personal häufig in Einsiedeln. Ab Mitte der 1860er-Jahre bestand dort eine zunehmende Nachfrage nach deutschsprachigen Arbeitskräften, die man in Einsiedeln und Umgebung rekrutierte und in die USA sandte. Erst etwa ab 1880 fanden die Filialen ihr Personal vor Ort.

Betrachtet man die drei Indikatoren gesamthaft, so zeichnet sich eine gesteigerte geschäftliche Betriebsamkeit ab den 1850er-Jahren ab: Die Zahl der Angestellten erhöhte sich markant, es erfolgte der Ausbau der Fabrikationsgebäude, die ersten eigenen Filialen in den USA und die Stahl- und Kupferdruckerei wurden errichtet sowie manch weitere Neuerung eingeführt. Es gibt vielfältige Gründe für diesen Aufschwung in der Jahrhundertmitte. Man darf annehmen, dass die Gründung des schweizerischen Bundesstaats – und damit verbunden die Abschaffung von Binnenzöllen, ein besseres Postwesen und die Vereinheitlichung des Münzwesens – sich günstig auf die Entwicklung des Geschäfts auswirkte; ebenso die fortschrittsoptimistische Stimmung der «Schweiz des Freisinns»156 in den Jahrzehnten nach der Bundesstaatsgründung von 1848.157 Mit den Quellen aus dem Verlagsarchiv belegen lässt sich dies freilich nicht. Die Neuerungen im jungen Bundesstaat finden dort kaum je Erwähnung. Auch war die Firma Benziger schon damals so stark auf den deutschen und zunehmend den US-amerikanischen Markt ausgerichtet, dass die institutionelle Integration des schweizerischen Binnenraums kaum die entscheidenden Impulse für das Wachstum gegeben haben dürfte.158

Ein gewichtiger Grund für die Geschäftsausdehnung ab der Jahrhundertmitte dürfte darin liegen, dass die westeuropäische Bevölkerung zunehmend alphabetisiert wurde. Das konnte dem Absatz auch von religiösen Büchern, Kalendern und Zeitschriften nur förderlich sein.159 Überhaupt erlebte die religiöse Literatur im Zuge eines allgemeinen religiösen Revivals ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts ein bemerkenswertes Comeback. Nachdem sie in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts von der «Schönen Literatur» überflügelt worden war, was die Zahl der Neuerscheinungen betraf, zählte die religiöse Literatur zwischen 1850 und 1870 vorübergehend wieder die meisten Neuerscheinungen im deutschen Buchhandel.160

Auf regionaler Ebene war der Aufschwung der Wallfahrt und die internationale Bedeutung des Klosters sicherlich förderlich. Auch firmeninterne Gründe dürfen nicht ausser Acht gelassen werden. In den 1850er-Jahren waren bereits mehrere der zwischen 1821 und 1840 geborenen Söhne von Josef Karl B.-Meyer und Nikolaus B.-Benziger I ins Geschäft eingetreten und in leitenden Positionen am Geschäftsausbau beteiligt.

Etwa von den 1860er-Jahren bis ins ausgehende 19. Jahrhundert gelang es der Firma Benziger, sich an der internationalen Spitze nicht nur innerhalb des katholischen Verlagswesens, sondern überhaupt des grafischen Gewerbes zu etablieren. Zum Vorteil gereichten der Firma Benziger dabei ihre Gründungen in den USA, die bis Ende der 1860er-Jahre beinahe konkurrenzlos blieben und ein lukratives Geschäft waren. In Kriegszeiten, etwa während des amerikanischen Bürgerkriegs von 1861 bis 1865 oder während des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71, und in sonstigen Phasen mit stockendem Absatz konnten sich die Geschäfte gegenseitig unterstützen und Krisenerscheinungen etwas abmildern. Im Sommer 1875 beispielsweise schrieb die Verlagsleitung in die USA: «Europa leidet durch den Culturkampf, Klosteraufhebung, Verbot religiöser Schulprämien in Oesterreich, allgemeine Handelskrise etc. Ihre Unterstützung in Arbeit und Geld wird nöthig werden.»161

In den Quellen immer wieder genannt wird ein Argument, das bisher noch nicht angesprochen wurde: die positiven Auswirkungen der lokalen Konkurrenzgeschäfte auf die Entwicklung der eigenen Firma. In einem Brief, den die Verlagsleitung im Januar 1869 in die USA schrieb, heisst es: «Die Väter haben nie lebhafter das Geschäft entwickelt als von 1838 [gemeint ist wahrscheinlich 1830] bis 1846 wo das mächtige Kloster zu deren Ruin die Curigersche Conkurrenz geschaffen haben. Die Söhne sind nie so strebsam […] gewesen wie von 1857 bis jetzt wo eine u. zwei unliebe Conkurrentschaften entstanden. […] In angenehmem Zustande des Monopols […] wären wir heute vielfach im Geschäfte nicht so weit entwickelt. […] ausgedehnt haben unser Geschäft die Conkurrenzen.»162

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