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Unliebsame Konkurrenz – Einsiedeln als Verlags- und Druckereizentrum
ОглавлениеDie Firma Benziger war zwar das bedeutendste, im 19. Jahrhundert aber zu keiner Zeit das einzige Unternehmen seiner Art in Einsiedeln. 1833 bestanden in Einsiedeln nicht weniger als fünf weitere Druckereiunternehmen.163 Ein für die Firma Benziger besonders ernst zu nehmender Konkurrent war das Kloster Einsiedeln, das sich mit dem Verlust der alten Vorrechte nur schwer abfinden konnte. Es unternahm verschiedentlich Versuche, seinen wirtschaftlichen Einfluss aufs Dorf zurückzuerhalten. Besondere Beachtung schenkte das Kloster dem Buchdruck. Eine Motivation dafür, wieder eine eigene Druckerei zu betreiben, war auch das Bestreben, der «schlechten» liberalen Presse mit eigenen «guten» Druckerzeugnissen begegnen zu können. Bereits im Jahr 1826 hatten konkrete Pläne bestanden, in Muri zusammen mit dem dortigen Benediktinerkloster eine eigene Buchdruckerei einzurichten.164 1829 übernahm das Kloster die Druckerei von Plazid Karl und Marianus Benziger. Als Mittelsmann figurierte der ehemalige Lehrer Thomas Kälin, mit dem das Kloster im Januar 1830 einen Vertrag schloss.165 1834 ging die Firma an die konservativ gesinnten Konrad Kuriger und Meinrad Kälin über, die sie, weiterhin unterstützt vom Kloster, unter dem Namen Kuriger & Co. weiterführten.
Für Josef Karl B.-Meyer war klar, dass das vom Kloster unterstützte Konkurrenzunternehmen gezielt gegen die Firma Benziger aufgebaut wurde. Er vermutete politische Motive. Hintergrund war folgender: Josef Karl B.-Meyer und in geringerem Mass auch sein Bruder Nikolaus B.-Benziger I hatten sich politisch immer wieder für liberale Anliegen eingesetzt, die den Interessen des Klosters zuwiderliefen. Sie setzten sich beispielsweise für die Gleichberechtigung der äusseren Bezirke des Landes ein und befürworteten die vorübergehende Kantonstrennung im Jahr 1833. Vor allem aber setzte Josef Karl als Mitglied der «Kommission zur Verwaltung der Allmeindgüter von Waldstatt und Stift gemeinsam» und ab 1829 für vier Jahre als Bezirksammann die Trennung der Allmeindgüter durch. Im Kloster schuf er sich damit Feinde: «Es stosst ihm [dem Kloster] immer noch die alte Galle auf, wenn es nur unsere Namen hört», schrieb B.-Meyer im Januar 1838 an einen Freund. Durch die Unterstützung ihrer Konkurrenten habe das Kloster seinem Geschäft bereits «ungeheuren Schaden» zugefügt.166 1839 verkaufte das Kloster seine Anteile an der Firma zwar offiziell an Kuriger & Co., agierte aber weiterhin als deren Förderer. Wiederum ein Jahr später konfrontierte B.-Meyer Abt Cölestin Müller in einem Schreiben mit dem Vorwurf, aus «unedlem Nachgefühle» gezielt und gewaltsam auf den Niedergang des vom Kloster unabhängigen Einsiedler Druckereigewerbes hinzuarbeiten.167 Im selben Jahr wandte sich B.-Meyer an seinen Freund Nazar von Reding (1806–1863) in Schwyz, der aus einer politisch einflussreichen Familie stammte und in seiner Laufbahn die höchsten politischen Ämter des Kantons ausübte: «Ich sage es Ihnen also freimüthig […]: meine gegen das Kloster bisher beobachtete politische Stellung kann ich länger nicht behaupten, ohne die Meinigen zu verderben.»168 Das Kloster unterstütze die Firma Kuriger & Co. mit einem Kapital von mehr als 20 000 Florin, lasse alle eigenen Druckaufträge ausschliesslich bei seiner Konkurrenz ausführen, verbiete es seinen Lehensleuten, Bücher von seiner Firma zu beziehen und tue auch sonst alles, um den Absatz seines Geschäfts zu schmälern.
Konkreter Anlass für die Korrespondenz war ein attraktiver Druckauftrag, den das Kloster zu vergeben hatte. Das Kloster besorgte seit 1832 die deutsche Übersetzung der Annalen der französischen «Gesellschaft zur Verbreitung des Glaubens» und liess das Heft bei der Firma Kuriger & Co. drucken. Die Auflage der alle zwei Monate erscheinenden Schrift war mit 12 000 Exemplaren und rund 500 000 Druckbogen jährlich so hoch, dass die unliebsame Konkurrenz von der Firma Benziger kaum verdrängt werden konnte, solange sie sich dieses Grossauftrags gewiss sein konnte. B.-Meyer schrieb an von Reding: «Ohne diesen Zufall hätten wir die Hoffnung nähren können, es werde am Ende das Kloster an Opfern ermüden u. leichten Spieles hätten wir diese Pfuscher von Handelsleuten aus dem Felde getrieben. Jetzt aber können diese Lümmeln im Handel sorglos herumtappen u. zufahren …»169 B.-Meyer bat von Reding darum, direkt oder über einen Mittelsmann bei Subprior Pater Thomas Inderbitzin, der im Kloster für dieses Geschäft zuständig war, in dieser Sache Einfluss zu nehmen. Die Firma Benziger hat den Druckauftrag zwar selbst nie erhalten, nach 1842 scheint aber auch Kuriger & Co. die Annalen nicht mehr gedruckt zu haben.170 1849 gelang es der Firma Benziger schliesslich, die Firma Kuriger & Co. zu übernehmen. Bis 1851 kaufte man auch drei weitere Firmen vor Ort auf und sicherte sich eine Monopolstellung am Platz Einsiedeln.171
Die spannungsvollen 1830er- und 1840er-Jahre der Unternehmensgeschichte widerspiegeln die kantonale Politik jener Jahrzehnte. Der Kanton Schwyz kam zwischen 1830 und 1848 politisch nicht zur Ruhe und war tief in einen inneren und einen äusseren Teil gespalten. Man stritt sich über eine neue Verfassung, die zu einer vorübergehenden Kantonstrennung und 1833 zur Besetzung des Kantons durch eidgenössische Truppen führte. Für Konflikte sorgte auch die Jesuitenberufung in Schwyz im Jahr 1836 und vor allem die Verteilung der Allmeindnutzungsrechte («Hörner- und Klauenstreit»). «Im alten Land wogt es von Grundwellen», heisst es 1835 in einem Brief von Josef Karl B.-Meyer, die «seit Tellssprung» nicht mehr «so aufgeregt» gewesen seien.172 Geteilt war die Meinung auch über den Beitritt zum Sonderbund 1845 und über den Eintritt in den Sonderbundskrieg zwei Jahre später. Die Gebrüder Benziger sprachen sich öffentlich für eine einvernehmliche Lösung und gegen den Kriegseintritt aus.
In den Quellen der Firma Benziger finden sich allerdings keine Hinweise darauf, dass die Geschäftstätigkeit durch die politischen Spannungen eingeschränkt worden wäre. «Unser Verlag schwol von Jahr zu Jahr immer mehr an», heisst es beispielsweise in einem Brief von Josef Karl B.-Meyer von 1840.173 So turbulent jene Jahrzehnte politisch auch waren, so sollte der direkte Einfluss der Politik auf die Wirtschaft dennoch nicht überschätzt werden. Wie die oben geschilderte Auseinandersetzung mit dem Kloster zeigt, spielte die politische Grosswetterlage indirekt dennoch eine Rolle. Die Firma Benziger war auf ein gutes Verhältnis zum nach wie vor mächtigen Kloster angewiesen. Und dieses Verhältnis war durch die politischen Auseinandersetzungen zerrüttet, wenn auch zu einzelnen liberal-katholisch gesinnten Konventualen stets gute Kontakte bestanden.174
Auf die internationalen Geschäftskontakte und den internationalen Absatz hatten die politische Haltung und die Exponiertheit der Verleger Benziger freilich kaum Auswirkungen; im lokalen Raum aber engte die politisch dezidiert liberale Haltung den geschäftlichen Handlungsspielraum ein, indem sie geschäftliche Beziehungen zu politisch anders Gesinnten erschwerte.
Durch die Übernahme der lokalen Konkurrenzfirmen sicherte sich die Firma Benziger ab 1851 für einige Jahre eine Monopolstellung. Schon bald wurden in Einsiedeln aber erneut «unliebe Conkurrentschaften» gegründet, so 1858 die Firma Eberle, Kälin & Co. und 1865 die Firma Wyss, Eberle & Cie. Auch diese Geschäfte erreichten eine beträchtliche Ausdehnung. Die Firma Wyss, Eberle & Cie. beschäftigte 1882 immerhin 52 Fabrikarbeiter.175 Bei der Firma Eberle, Kälin & Co. dürfte die Zahl der Angestellten noch deutlich höher gewesen sein.
Besonders Eberle, Kälin & Co., die grössere der beiden Firmen, trat in einen mit harten Bandagen geführten Konkurrenzkampf zur Firma Benziger. Gegründet haben die Firma der Jurist und spätere Nationalrat Josef Anton Eberle (1808–1891) und der Kantonsschreiber und später ebenfalls in den Nationalrat gewählte Ambros Eberle (1820–1883) sowie dessen beide Schwäger Anton (1840–1923) und Werner Kälin (1833–1923). Ambros Eberle hatte bereits in den 1840er-Jahren in Schwyz eine Druckerei betrieben und gab ab 1846 das «Schwyzerische Volksblatt» (später «Schwyzer Zeitung») heraus. Die Firma Eberle, Kälin & Co. errichtete ein Fabrikationsgebäude in Einsiedeln, verfügte über dampfbetriebene Buchdruckschnellpressen und betrieb eine eigene lithographische Anstalt, eine Rosenkranzfabrikation und eine moderne Buchbinderei. In den 1870er-Jahren richtete die Firma eine Filiale in Sulz im Oberelsass ein. Bereits zu Beginn der 1860er-Jahre bestanden Pläne, die Firma Benziger auch in den USA zu konkurrenzieren und eine eigene Filiale in New York oder Cincinnati zu errichten. Die Pläne wurden über eine intensive Zusammenarbeit mit der Firma Pustet in Regensburg, einem der grössten Konkurrenzgeschäfte von Benziger, Tatsache. Die Firma Pustet gründete 1866 eine Filiale in den USA und sorgte ab 1868 auch dort für Absatz der Bücher der Firma Eberle.
Ab 1866 gab die Firma Eberle einen eigenen Volkskalender, den «Neuen Einsiedler Kalender», heraus, der den «Einsiedler Kalender» (seit 1841) konkurrenzierte. Besonders aber profilierte sich die Firma Eberle in der Herstellung und im Vertrieb von Gebetbüchern. Die Praxis von Eberle, Kälin & Co., Verlagswerke von Benziger nachzudrucken, gab häufig Anlass zu Konflikten. International war die alte Praxis der Raubkopie ab den 1850er-Jahren stark unter Druck geraten. Im August 1863 schrieb die Verlagsleitung in die USA: «Die Lage in Europa & die Auffassung in Europa ist seit wenig Jahren ganz anders als früher. Vor 10 Jahren lebte Belgien von franz. Nachdruck, jetzt haben England, Frankreich, Belgien, alle deutschen Staaten, Oesterreich, ganz Italien Nachdrucke gesehen & Verträge gegenseitig zu Schutz & Abhülfe. Selbst in der Schweiz sind 12 Kantone schon beigetreten. […] es folgt voraussichtlich für die ganze Schweiz der Zwang einzutretten in Gegenseitigkeit von Verfolgung des Nachdrucks.» Die Firma Eberle, Kälin & Co., die bereits zwanzig Bücher aus ihrem Verlag nachgedruckt hätten, gelte es in dieser Situation nachdrücklich an den «Pranger zu stellen als Nachdrücker».176 Auch für die Firma Wyss, Eberle & Cie. war der Nachdruck von Verlagswerken von Benziger ein wichtiger Pfeiler ihres Unternehmens. Die ersten zehn Gebetbücher, die bis 1866 in ihrem Verlag erschienen, waren alles Nachdrucke von Werken aus dem Benziger Verlag.177
Im Kanton Schwyz dauerte es letztlich noch rund zwanzig Jahre, bis das Nachdrucken von fremden Verlagswerken verboten wurde. Nachdem 1874 die Kompetenz zur Gesetzgebung in Fragen des Urheberrechts von den Kantonen auf den Bund übergegangen war, wurde 1883 das «Bundesgesetz betr. das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst» geschaffen, das dieser bis dahin gängigen Praxis im Kanton Schwyz ein Ende bereitete. Drei Jahre später folgte das erste multilaterale internationale Urheberrechtsabkommen («Berner Konvention»).178
Am Platz Einsiedeln war Benziger zu einem Mindestmass an Koordination mit seinen Konkurrenten gezwungen. Dies betraf vor allem die Preispolitik gegenüber den lokalen Wiederverkäufern ihrer Verlagswaren.179 Auch bei der Umsetzung des eidgenössischen Fabrikgesetzes nach 1877 sprachen sich die Firmenleitungen ab. Aufrührerischem Verhalten unter der Arbeiterschaft sollte so frühzeitig ein Riegel geschoben, Anreize zur Konkurrenz zu wechseln vermieden werden.180 Allerdings waren Verstösse gegen die Abmachungen an der Tagesordnung. Auch schreckten alle Beteiligten weder vor Betriebsspionage noch vor öffentlicher Verleumdung ihrer geschäftlichen Konkurrenten zurück. Die Sprache, mit der die Konflikte ausgefochten wurden, trug teilweise martialische Züge. Als die Praxis des Nachdruckens zu Beginn der 1880er-Jahre auch in der Schweiz zunehmend unter Druck geriet, sprach die Verlagsleitung von einem «ersten nöthigsten Feldzug zur Wiedereroberung von vielen Kunden in Süddeutschland», die ihnen von den «frechen Nachdruckern» geraubt worden seien.181
Im Unterschied zum Konkurrenzverhältnis zum Kloster in der ersten Jahrhunderthälfte scheint bei diesen Auseinandersetzungen die politisch-ideologische Komponente nicht im Vordergrund gestanden zu haben. Zumindest legen die Quellen diesen Schluss nahe. Die Verleger aus den Familien Benziger, Eberle und Wyss, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts öffentliche Ämter bekleideten, vertraten politisch ähnliche Positionen und bewegten sich fast immer in der politischen Mitte. In der einschlägigen Literatur werden sie je nach Grenzziehung der gemässigt liberalen – dazu gehören Josef Karl B.-Meyer, Nikolaus B.-Benziger I, Plazid Martin Wyss, Ambros Eberle und Heinrich Wyss – oder der gemässigt konservativen Richtung – Karl B.-von Reding und Nikolaus B.-Benziger II – zugerechnet.182