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Expansion: Von Einsiedeln nach New York

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Regionale Netzwerke, Verwandtschaftsbeziehungen und die kommunale Politik waren ein wichtiger in die Firmengeschichte «integrierter Anker».220 Dem stand andererseits die dezidiert internationale Ausrichtung des Unternehmens gegenüber. Internationale Handelsbeziehungen, vor allem in den süddeutschen Raum – mit Städten wie Stuttgart, Augsburg, Nürnberg – und ins Elsass, waren bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert ein fester Teil des Geschäfts. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergrösserte sich der Absatzmarkt punkto Intensität und Ausdehnung. In der zweiten Jahrhunderthälfte beschleunigte sich die Expansion. Dies lässt sich nicht zuletzt an diversen Niederlassungen ablesen, welche die Firma Benziger ab den 1850er-Jahren in den USA (New York, 1853; Cincinnati, 1860; St. Louis, 1875; Chicago, 1887), in Deutschland (Waldshut, 1887; Köln, 1894), in Frankreich (Paris, 1899; Strassburg, 1912) sowie vorübergehend in Mexiko (Mexiko-Stadt, 1912) errichtete. In Lyon und London unterhielt die Firma zeitweise eigene Kommissionäre. Über London bediente der Verlag im ausgehenden 19. Jahrhundert auch die «asiatischen, afrikanischen und amerikanischen Missionen».221 Auf dem Höhepunkt ihrer internationalen Geschäftstätigkeit war die Firma Benziger ein global tätiger katholischer Medienkonzern. Diese bemerkenswerte Expansion und die zahlreichen Herausforderungen für das Unternehmen gilt es in diesem Kapitel zu beschreiben und zu reflektieren. Im Folgenden wird immer wieder von «Raum» und «Markt» die Rede sein. Um besser zu verstehen, was diese Konzepte in ihren jeweiligen Kontexten bedeuten und wie sie hier verwendet werden, sind zwei kurze Vorbemerkungen nötig.

Die erste Vorbemerkung betrifft verschiedene zur Anwendung gelangende Raumkonzeptionen. Die historische Forschung hat sich in den letzten ungefähr zwanzig Jahren vermehrt darum bemüht, den geografischen Raum als kulturelle Grösse wieder stärker wahrzunehmen und ihn der Zeit als zusätzliche Dimension zur Seite zu stellen. Relevant in der Debatte des «spatial turn» scheint mir die grundlegende Unterscheidung zwischen geografischen Räumen, die physisch durchschritten werden können, und sozialen Räumen, die durch menschliche Interaktionen und Vorstellungen konstruiert werden.222 In unserem Fall müssen wir also einerseits fragen, was es für ein Unternehmen konkret bedeutet, wenn es immer neue Absatzmärkte erschliesst und so eine immer grössere Distanz zwischen ihm und den Käufern seiner Ware entsteht. Andererseits sollten wir auch überlegen, wie und entlang welchen sozialen Netzwerken sich die Expansion des Unternehmens vollzieht. Wir haben im vorangehenden Kapitel bereits festgestellt, dass sich im selben geografischen Raum verschiedene Raumkonzeptionen überschneiden und überlagern können. Einsiedeln war im 19. Jahrhundert eine geografisch, politisch und wirtschaftlich periphere Region, auf der mentalen Landkarte vieler Katholiken allerdings eindeutig ein Zentrum. In Bezug auf die Expansion des Unternehmens scheint es also sinnvoll, auch solche mentalen Raumkonzeptionen im Blick zu behalten.

Die zweite Vorbemerkung schliesst direkt an diese erste an. Neuere Unternehmensgeschichten haben verschiedentlich betont, dass auch Märkte als soziale Räume verstanden werden können. Sie gehen häufig von handlungstheoretischen Ansätzen aus, die besagen, dass Märkte nicht automatisch durch Angebot und Nachfrage entstehen, wie dies die neoklassische ökonomische Theorie nahelegt, sondern, dass es ökonomische Akteure braucht, welche die Märkte schaffen: indem sie produzierende Unternehmen und Verkäufer auf der einen und räumlich getrennte Käufer auf der anderen Seite miteinander in Beziehung bringen. Märkte sind so gesehen nichts anderes als das Resultat einer Ansammlung zahlreicher, von Personen durchgeführten und sich über die Zeit verdichtenden ökonomischen Tauschakten, oder anders ausgedrückt: soziale Räume, in denen Käufer und Verkäufer miteinander in Beziehung treten.223 In diesem Kapitel sollen deshalb die Akteure, die mit Tausenden von Briefen, unzähligen Geschäftsreisen und persönlichen Treffen an neuen Absatzmärkten woben und die Expansion des Unternehmens vorantrieben, besonders im Fokus stehen.

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