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Konzepte zur Immunpathogenese der ADEM
ОглавлениеBasierend auf experimentellen und klinischen Untersuchungen haben sich verschiedene Konzepte zur Immunpathogenese der ADEM entwickelt:
1. Die Hypothese des molekularen Mimikris: Diese Hypothese basiert auf der Annahme, dass die vorausgehende Infektion oder Immunisierung zu einer Aktivierung von autoreaktiven T-Zellen führt, die ein homologes Myelinprotein im ZNS detektieren, was zu einer entzündlichen Immunantwort gegen das angenommene Fremdprotein führt, sodass die initial physiologischen Immunantwort gegen ein Fremdprotein eine Autoimmunattacke gegen körpereigene Strukturen induziert.
2. Die Reinfektionshypothese: Gemäß dieser Hypothese liegt eine Infektion durch einen neurotropen Virus, beispielsweise Masern, der zur Demyelinisierung des ZNS führt, zugrunde. Im Gegensatz zur vorangegangenen Hypothese bedeutet dies aber, dass eine Impfung mit attenuierten Viren nur dann schädlich ist, wenn es in einer vorangegangenen Infektion zur Aktivierung Virus-spezifischer zytotoxischer T-Zellen gekommen ist, die im Rahmen der neuerlichen Exposition durch die Impfung reaktiviert werden. Das zugrunde liegende Konzept bezeichnet man als virales Déjà-vu (Merkler et al. 2006).
3. Die postinfektiöse Hypothese: Gemäß dieser Hypothese führt die Infektion mit einem neurotropen Pathogen zu einer direkten Infektion des ZNS mit konsekutiver Schädigung des ZNS-Gewebes und Störung der Blut-Hirn-Schranke . Durch diese Schädigung kommt es zur Freisetzung putativer Autoantigene aus dem ZNS heraus in die systemische Zirkulation mit konsekutiver Aktivierung autoreaktiver enzephalitogener T-Zellen.
Alle drei Hypothesen sind durch entsprechende tierexperimentelle Daten untermauert. Welche dieser immunpathogenen Kaskaden nun letztlich bei der am Patienten sichtbaren, klinischen Form der ADEM relevant ist, oder ob möglicherweise drei verschiedene Immunmechanismen zu ein und demselben klinischen Bild führen, ist gegenwärtig weiterhin unklar und bedarf weiterer Untersuchungen (Menge et al. 2005).
Zu den charakteristischen klinischen Befunden gehören relativ plötzliche, innerhalb von Tagen entstehende multifokale neurologische Störungen hinweisend auf disseminierte Läsionen, Zeichen einer akuten Meningoenzephalitis mit Meningismus (Fieber), Bewusstseinsstörungen sowie fokale und generalisierte Anfälle. Im Liquor findet sich meist eine lymphozytäre Pleozytose und ein erhöhter Proteingehalt bei oft negativen oligoklonalen Banden, wobei selten Normalbefunde vorkommen, beweisende Liquorbefunde gibt es nicht. In der MRT zeigen sich große solitäre oder multiple demyelinisierende Läsionen, die in der Regel, aber nicht obligat Kontrastmittel anreichern (Stüve et al. 2005) und asymmetrisch und unscharf begrenzt sind. Die Läsionen liegen typischerweise sowohl in der zentralen weißen Substanz als auch subkortikal und schließen die Thalami, die Basalganglien, den Hirnstamm und das Kleinhirn mit ein. Der Verlauf ist zunächst monophasisch, wobei es keine sicheren diagnostischen Kriterien gibt, die in der akuten Phase eine klare Differenzierung der ADEM vom ersten Schub einer MS zulassen. Unklar bleibt, wie viele Patienten mit initialer Diagnose einer ADEM später eine klinisch sichere MS nach Poser- oder McDonald-Kriterien entwickeln. In einer 2001 publizierten Serie mit 40 Patienten (Schwarz et al. 2001) wurde eine Konversion nach einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 38 Monaten immerhin bei 35 % dokumentiert. 2004 wurden die Ergebnisse einer prospektiven Studie veröffentlicht, in der 29 % der Kinder mit der initialen Diagnose einer ADEM innerhalb von drei Jahren eine MS entwickelten (Mikaeloff et al. 2004). Dies legt nahe, dass es sich bei der ADEM eher um eine Variante der MS als eine eigenständige klinische Entität handelt (Menge et al. 2005). Nach Novellierung der Kriterien 2007 und 2013 werden weniger schubförmige Verläufe beschrieben. Zusätzlich sollte bei einem schubförmigen Verlauf nach MOG-Ak gesucht werden ( Kap. 1.3.3) Kontrollierte Therapiestudien bei ADEM liegen nicht vor. Therapie der ersten Wahl sind hochdosierte Corticosteroide ( Kap. 5.1.1: Therapiestrategie bei aktuem MS-Schub). Bei Erfolglosigkeit wird eine Eskalationstherapie durchgeführt, wobei wir als Therapie der ersten Wahl wegen der geringeren Komplikationsraten IvIg (0,4 g/kg KG über 5 Tage) geben und als Alternative oder bei Nichtansprechen die Plasmapherese durchführen. Einige jüngere Studien zeigen insbesondere, dass die Plasmapherese bei Kindern sinnvoll ist (Khurana et al. 2005). Stellt sich auch hier kein Erfolg ein, so sollte eine Cyclophosphamidtherapie durchgeführt werden. Ob und wie lange dann weitere Infusionen erfolgen sollen, hängt vom individuellen Verlauf ab.