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3.1.1 Entstehung des Begriffs „Heritage Language“

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„Heritage Language“ wurde als feststehender Fachausdruck laut Cummins (vgl. 2005: 585) zum ersten Mal in den 1970er Jahren im Zusammenhang mit dem Ontario Heritage Languages Program in Kanada verwendet. Das Programm diente der Initiierung und finanziellen Förderung von wöchentlichem HL-Unterricht und wirkte als Vermittler zwischen den einzelnen Communities und der Schule. Der Begriff selbst wurde im Rahmen dieser bildungspolitischen Maßnahme als „languages other than English or French“1 definiert. Diese nicht näher spezifizierte Definition lieferte keine weitere Beschreibung der Sprechermerkmale und fand folglich nur verzögert Eingang in die wissenschaftliche Diskussion. Erst im Laufe des sog. „Heritage Language Movement“ (Peyton et al. 2001: 4) in den 1990er Jahren wurde er in den USA von Pädagogen und Sprachlehrforschern weiter präzisiert.

Diese Bewegung verstand sich als eine bottom-up forcierte Abkehr von der monolingual orientierten Bildungspolitik der USA zu der damaligen Zeit und mündete in zahlreichen, von den Minderheiten selbst organisierten Schulen und Kursen vom Kindergarten bis zur universitären Ausbildung, die stufenweise in dem Bildungssystem verstetigt wurden (vgl. Fishman 2001: 89). Durch diese Entwicklungen fand der Begriff „Heritage Language“ und mit ihm der HL-Sprecher zunächst in den USA, Kanada und Australien immer mehr Beachtung durch die Forschung (vgl. Cho et al. 1997; Kondo 1997; Krashen et al. 1998). Inzwischen erlangten HLs – teilweise unter anderen Bezeichnungen – auch in Europa und in Deutschland immer mehr Aufmerksamkeit seitens der Forschungscommunity (vgl. Anstatt & Dieser 2007; Cantone et al. 2008; Cantone & Olfert 2015; Di Venanzio et al. 2012; Gagarina 2008; Kupisch et al. 2014).

Die in den ersten Publikationen verwendeten Definitionen beschreiben HLs als Minderheitensprachen (LOTEs – languages other than English), die ausschließlich innerhalb der Familie gesprochen sowie nicht schulisch vermittelt werden und zu denen der Sprecher eine persönliche, historisch bedingte Verbindung2 aufweist (vgl. Cho et al. 1997: 106; Krashen 1998: 3; Valdés 2001: 38), sie schließen also autochthone Minderheitensprachen ein. Fishman (2001) unterscheidet in a) indigene HLs von autochthonen Minderheiten in den USA, b) koloniale HLs wie Niederländisch, Schwedisch, Französisch und Deutsch, die bereits vor der Staatsgründung der USA durch erste Siedler eingeführt wurden, sowie c) migrationsbedingte HLs aktueller Einwanderer.

Diese Differenzierung begründet er zum einen mit der für ihren Erhalt verwendeten Rechtfertigungsstrategie, zum anderen mit den geschichtlich gewachsenen Gruppenmerkmalen, die sich auf die Weitergabe der HLs auswirken. So sei die Bewahrung indigener, autochthoner HLs nicht zuletzt von der Mehrheitsbevölkerung selbst erwünscht. Zurückzuführen sei dieser Wunsch auf den Ursprung indigener Bevölkerungsgruppen auf dem Territorium der USA, ihr Vorrecht darauf und auf eine ihnen gegenüber empfundene Kollektivschuld wegen der Zerstörung ihres kulturellen Erbes (vgl. ebd.: 83). Ähnliches lässt sich für den deutschen Kontext beschreiben, wo die autochthonen Minderheitensprachen Dänisch, Sorbisch und Friesisch als zu Deutschland zugehörig empfunden und durch die ECRM (vgl. Europarat 1992) offiziell geschützt werden. Ihr Erhalt wird in Deutschland auch durch die Mehrheitsgesellschaft stark begrüßt und gefordert (vgl. Gärtig et al. 2010: 227).3

Bei den im 17. Jahrhundert in den USA noch lebendigen kolonialen HLs fand laut Fishman kaum intergenerationale Sprachweitergabe statt, sodass die Nachkommen dieser ersten Einwanderer zum größten Teil inzwischen monolingual Englischsprachige sind (vgl. Fishman 2001: 84). Eine Ausnahme stelle das Deutsche dar, das in Form von Pennsylvania und Texas German aufgrund der Gruppengröße, des internationalen Kommunikationswerts der Sprache sowie der kulturellen und religiösen Abschottung seiner Sprecher bis in die heutige Zeit Bestand habe (ebd.). Neuere Studien zeigen indes, dass mit der voranschreitenden Öffnung beider Communities diese Sprachvarietäten ebenfalls nur noch von der älteren Generation gesprochen werden (vgl. Boas 2005: 82), sodass selbst in diesem Kontext Sprachverlust immer wahrscheinlicher wird. Eine vergleichbare sprachliche Konstellation ist im deutschen Kontext nicht gegeben.

Migrationsbedingte HLs hingegen verfügen über kein gesellschaftlich legitimes Argument, das ihren Erhalt rechtfertigen würde, und weisen gleichzeitig hinsichtlich der Gruppenmerkmale schlechtere Ausgangsbedingungen als die beiden erstgenannten Typen von HLs auf, weshalb ihre Förderung einer speziellen Beachtung bedarf. Obwohl Studien zu Spracherhalt aller drei genannten Gruppen vorliegen, befasst sich die heutige Forschung zu HLs primär mit dieser von Fishman hervorgehobenen dritten Gruppe, also mit allochthonen Minderheiten, deren Einwanderung zwei bis drei Generationen zurückreicht.4 Der Begriff „Heritage Language“ konnotiert heutzutage dementsprechend eine migrationsbedingte Mehrsprachigkeit. Diese Unterscheidung in allochthon und autochthon wird in Deutschland bei der Beschäftigung mit Minderheitensprachen ebenso grundsätzlich aufrechterhalten (vgl. De Bot & Gorter 2005: 612).

Der Terminus „Heritage Language“ wird jedoch von einigen Forschern auch kritisch betrachtet. Das Missliche an ihm sei die damit einhergehende Betonung der Vergangenheit, des sprachlichen „Erbes“ der Sprecher (vgl. Fishman 1991: 362). Dieser Fokus auf die geschichtliche, intergenerationale Herleitung einer HL versperre den Blick in die Zukunft und impliziere, dass sie keine vielversprechende Perspektive aufweise und eher auf Traditionen gründe denn auf der zeitgenössischen Beschäftigung mit Sprachen (vgl. Baker & Jones 1998: 509). Dieser Kritik ist grundsätzlich zuzustimmen, denn ein Erbe ist in der Tat ein Vermächtnis, das nicht selbst erarbeitet oder angeeignet, sondern von vorherigen Generationen in der Vergangenheit verfestigt und an eine Person übergeben wurde.

Dennoch stellt der Begriff „Heritage“ eine treffende Bezeichnung für Sprachen in dem geschilderten Zusammenhang dar, denn ein Erbe kann durchaus eine einträgliche Investition in die Zukunft bilden und einen Besitz, den man erhalten, ausbauen und an nachfolgende Generationen weitergeben möchte. Gleichzeitig lässt sich ein Erbe ausschlagen, sodass der Sprecher nicht gezwungen ist, die sprachliche Hinterlassenschaft seiner Vorfahren weiterhin mitzutragen. Als Gegenvorschlag lässt sich von denselben Autoren der Begriff „internationale Sprache“ finden, „[…] to give the impression of a modern, international language that is of value in a technological society“ (Baker & Jones 1998: 509). Jedoch ist diese Definition wiederum zu eng gefasst und lässt sich beispielsweise nicht auf diatopische Varietäten, Sprachen ohne schriftsprachlichen Ausbau oder regionale Minderheitensprachen anwenden. Hier bietet hingegen der Terminus „Heritage Language“ durchaus das nötige Fassungsvermögen, um all die erwähnten Kontexte abzudecken.

Spracherhalt und Sprachverlust bei Jugendlichen

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