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3.3.2 Transfermöglichkeiten der Erkenntnisse aus der Attritionsforschung

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Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, verdeutlicht die Aktivierungsschwellen-Hypothese die neurolinguistische Bedeutung des Inputs als eine der wichtigsten Komponenten für den Erhalt der Erstsprache. Gleichzeitig wird durch sie die These aufgestellt, dass bei Sprechern, die erst nach einem vollständigen Erwerb ihrer L1 Kontakt zur L2 hatten, die Erstsprache lediglich schwerer zugänglich ist und nie wirklich vergessen wird. Setzt der Kontakt zur L2 jedoch vor dieser entscheidenden Phase ein, können gravierende Erosionserscheinungen in der Erstsprache auftreten. Die durch diese Hypothese postulierten Zusammenhänge zwischen Input und Output sowie zwischen Rezeption und Produktion von sprachlichen Strukturen in Abhängigkeit von dem Alter des Sprechers bei L2-Kontakt lassen vor dem Hintergrund der Spracherwerbssituation von HL-Sprechern eine Übertragbarkeit dieser Annahmen auf ihren Kontext prognostizieren und erhalten in diesem Zusammenhang bezüglich zweier Kriterien eine umso höhere Relevanz:

Der erste Aspekt, der für den HL-Erhalt wesentlich entscheidender sein kann als für den Erhalt der L1 bei Migranten der ersten Generation, ist das Alter des Sprechers bei Kontaktbeginn zur Mehrheitssprache. So argumentiert Paradis, dass es ausschließlich bei sehr jungen Migranten, die vor der Festigung ihrer L1 ausgewandert sind, zu einem unumstößlichen Verlust ihrer Erstsprache, also zu Attrition kommen kann (vgl. Paradis 2007: 130). Diese Tatsache wird damit begründet, dass bei Kindern bis zu einem bestimmten Alter ein voll und ganz ausgebautes, verfestigtes sprachliches System nicht anzunehmen ist.

Für HL-Sprecher gilt im Vergleich dazu, dass sie das Wissen über ihre HL von Anfang an unter stetem Sprachkontakt zur Mehrheitssprache erwerben, der häufig nicht erst ab einem bestimmten Alter einsetzt, sondern konstant ab Geburt gegeben ist. Spätestens ab dem Schuleintritt lässt sich davon ausgehen, dass ein erhöhter Anteil der Kommunikation außerhalb des Elternhauses in der Mehrheitssprache stattfindet. Betrachtet man diese Spracherwerbssituation unter den Prämissen der Aktivierungsschwellen-Hypothese, lässt sich die Annahme formulieren, dass die Konsolidierung sprachlicher Strukturen bei HL-Sprechern eine längere Zeit in Anspruch nimmt, sodass sie von Attritionsprozessen nicht nur der seltenen und komplexen, markierten Strukturen, sondern von bereits in früher Kindheit erworbenen sprachlichen Strukturen betroffen sein können.

Der zweite Aspekt, der ebenfalls auf die Gruppe der HL-Sprecher übertragen werden kann, ist die Relevanz des sprachlichen Inputs. Diesbezüglich kann für HL-Sprecher ebenso von einem leichteren Zugang zu sprachlichen Elementen bei häufigerer Aktivierung ausgegangen werden, während sie bei seltenerem Gebrauch verlorengehen bzw. durch funktionsäquivalente Strukturen der Mehrheitssprache ersetzt werden, falls für diese die Aktivierungsschwelle niedriger gesetzt ist. Für HL-Sprecher ist die Bedeutung des sprachlichen Inputs für Spracherhalt gleichzeitig aus zwei Gründen ungleich größer als für erwachsene Migranten der ersten Generation:

(1) Der HL-Sprecher wächst im Gegensatz zu diesen von Anfang an in einer Sprachkontaktumgebung auf. Die Verwendung der HL ist für ihn folglich auf bestimmte Domänen des Sprachgebrauchs limitiert, die meist das intime Register darstellen und durch orate Strukturen artikuliert werden. Das formelle Register ist in den meisten Fällen durch die Mehrheitssprache besetzt. Auf diese Weise erhält der HL-Sprecher nicht die volle Bandbreite an sprachlichem Input in der HL, sodass die Aktivierungsschwelle für markierte Strukturen, insbesondere solche des formellen Registers, stets äußerst hoch gesetzt bleibt. Diese Strukturen sind nicht frequent und treten in der Inputart, die der HL-Sprecher erhält, eventuell nicht häufig genug auf, sodass sie erst gar nicht aktiviert werden können (vgl. Montrul 2011b: 593; Pires & Rothman 2009: 215).

(2) Zusätzlich muss berücksichtigt werden, dass der HL-Sprecher seinen Input von Sprechern der ersten Einwanderergeneration erhält, die selbst seit mehreren Jahren in einer Sprachkontaktsituation mit der Mehrheitssprache leben (vgl. Kupisch 2013: 207). Für sie kann der Aktivierungsgrad bestimmter Strukturen ebenfalls hoch liegen, weshalb es bei diesen Sprechern nach den Erkenntnissen der Attritionsforschung zu Sprachkontakterscheinungen aus der L2 kommt. Diese Abweichungen liegen zwar eher rein auf der Performanzebene, aber genau diese bildet den sprachlichen Input der HL-Sprecher: „Differently from monolinguals, HSs [heritage speakers; H. O.] are exposed to input that has inevitably been affected to some degree by previous cross-generational attrition and/or other language contact consequences“ (Pascual y Cabo & Rothman 2012: 451).

Spracherhalt und Sprachverlust bei Jugendlichen

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