Читать книгу Essstörungen und Persönlichkeit - Helga Simchen - Страница 20
2.1.2 Im Kleinkindalter – wenn der Esstisch zum Stresstisch wird
ОглавлениеAb dem zweiten Lebensjahr beginnt das Kleinkind, seinen eigenen Willen zu entwickeln, was sich unter anderem in einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Trotzphase äußert. Unter bestimmten Voraussetzungen lernen einige Kleinkinder dabei, die Nahrungsaufnahme als ein Mittel zu benutzen, ihren Willen im Rahmen ihres altersgerechten Strebens nach Selbstständigkeit durchzusetzen. Erfahren sie durch ihre Verweigerung des Essens besondere und zusätzliche Zuwendung durch ihre Eltern, so beginnen sie, ihren Wunsch nach Aufmerksamkeit auf diese Weise zu befriedigen. Sie lernen ganz schnell, das Verhalten ihrer Eltern (oder auch Großeltern) zu manipulieren. Manche Kleinkinder genießen es, wieder gefüttert zu werden, der Mittelpunkt am Familientisch zu sein, und dehnen diese Situation möglichst lange aus. Nach Meinung ihrer Eltern entwickeln sie einen vermeintlich starken Willen, der aber nur die Auswahl der Speisen betrifft, die sie essen oder ablehnen. Die kleinen Mädchen und Jungen demonstrieren ihre neu erworbene Macht, indem sie selbst von vornherein bestimmen, welche Speisen sie essen und welche nicht, ohne sie je vorher gekostet zu haben. Sie reagieren mit Stolz, wenn ihre Mütter z. B. in der Arztpraxis berichten, was ihr Kind alles nicht isst und wie viel Mühe sie sich mit ihrem Kind geben müssen, damit es überhaupt etwas isst. Das Kind fühlt und verhält sich dabei wie ein kleiner »Held«, der sich in seinem Handeln bestätigt fühlt und vom Arzt dafür Bewunderung erwartet.
Ein solches Kind beginnt unbewusst und ohne seine Mutter ärgern zu wollen, die Situation für sich auszunutzen. Die Mutter selbst verstärkt durch ihr überbesorgtes Verhalten dessen Handlungsweise (Scheer und Zoubek 2007).
Der äußere Rahmen und emotionale Faktoren prägen das Essverhalten der Kleinkinder. Diese lernen sehr schnell, Essen als ein erfolgreiches Mittel einzusetzen, um eigene Wünsche und zusätzliche Aufmerksamkeit durchzusetzen.