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Vorwort

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Wenn die Seele hungert,

reagiert der Körper mit einer Essstörung!

Mehrere Gründe haben mich veranlasst, dieses Buch zu schreiben. Vor allem möchte ich Akzente setzen für neue Strategien bei der Frühdiagnostik und Therapie von Essstörungen. Mit diesem Buch möchte ich Betroffene, deren Eltern und Therapeuten über aktuelle neurobiologische und psychologische Forschungsergebnisse informieren und neue entwicklungsdynamische Besonderheiten aufzeigen, die für die Entstehung von Essstörungen von Bedeutung sind. Des Weiteren möchte ich den Betroffenen helfen, aus dem großen Spektrum der verschiedensten therapeutischen Angebote die für ihre Essstörung geeignete Therapie zu finden.

Bisher wurden Essstörungen in erster Linie als eine Folge von Beziehungsstörungen oder psychisch schwer belastender Ereignisse in der Kindheit angesehen. Die daraus abgeleiteten Therapien konnten jedoch nicht recht überzeugen und ließen viele Fragen offen.

Inzwischen liefern Forschung und Praxis Anhaltspunkte dafür, dass Magersucht, Ess-Brech-Sucht (Bulimie) und Esssucht sehr häufig Folge einer genetisch bedingten und somit angeborenen Persönlichkeitsvariante sind, bei der sich die Regulierung von Wahrnehmungen, Gefühlen und Reaktionen von denen Gleichaltriger wesentlich unterscheidet. Diese Personen reagieren viel zu empfindlich gegenüber Emotionen und Stress. Anhaltende psychische Belastungen führen bei ihnen zu emotionalem Dauerstress, der psychisch destabilisiert und ihre Leistungsfähigkeit, ihr Verhalten und somit ihr Selbstwertgefühl und ihre soziale Kompetenz beeinträchtigt. Um dieser psychischen Destabilisierung entgegen zu wirken, beginnen sie, ihre für sie unerträglichen emotionalen Spannungszustände über Essen oder dessen Verweigerung abzureagieren, um auf diesem Wege ihre Hilflosigkeit zu kompensieren. Deshalb können die Betroffenen diese Selbsthilfemaßnahme – Essen oder Nichtessen – nur schwer aufgeben, ohne dass der Therapeut ihnen eine spürbare und für sie akzeptable Alternative anbietet.

Diesen Entwicklungsverlauf zur Essstörung frühzeitig zu unterbrechen ist nicht nur ein wissenschaftliches, sondern – im Hinblick auf die Vielzahl der Betroffenen und deren schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen – auch ein gesellschaftliches Problem. Ohne eine rechtzeitige Behandlung wird aus dem gestörten Essverhalten eine frustbedingte und automatisch ablaufende Fehlreaktion, die zunehmend zwanghaft und schließlich zur Sucht wird. Eine Sucht, die das Belohnungssystem aktiviert, dort die sogenannten »Glückshormone« freisetzt und in die Abhängigkeit führen kann.

Neue Denkweisen – und das nicht nur in der Psychiatrie – profitieren von einem fachübergreifenden Wissen und ermöglichen es, die gefährdete Personengruppe frühzeitig zu erkennen. Das erfordert neue diagnostische Strategien, die Eltern, Kindergärtnerinnen und Lehrer mit in die Diagnostik einbeziehen, um bei den in ihrer Entwicklung auffälligen Kindern und Jugendlichen folgenschwere psychische Störungen, wie es auch Essstörungen sind, zu vermeiden.

Neue Therapieoptionen sind also erforderlich, die nicht wie bisher primär am Symptom, sondern an dessen Ursache ansetzen. Diese Art der Frühbehandlung hat sich in einigen Praxen schon bewährt. Sie wird aber durch Mangel an entsprechenden Studien noch viel zu zögerlich angewandt, zum Nachteil der Betroffenen, die sich dann weiterhin mittels ihrer Essstörung selbst behandeln und dadurch gefährdet sind, eine Magersucht, eine Bulimie oder eine Esssucht mit oder ohne Übergewicht zu entwickeln.

Mainz, Dezember 2009

Helga Simchen

Essstörungen und Persönlichkeit

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