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7. Ein Abend mit Olivia

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Im Riverside tanzte der Bär, obwohl es erst kurz vor neun war. Das machte den Laden jeden zweiten Donnerstag im Monat zum Hotspot für das reifere Alter. Man musste nicht erst vorschlafen und um elf Uhr nachts von der Couch hochkommen, um sich müde aufzubretzeln, sondern konnte direkt nach dem After-Shopping-Häppchen in den Club gehen. Um zwanzig Uhr schlossen die Geschäfte und das Riverside öffnete.

FOURTYPLUS hieß das Motto dieser Donnerstagabende und ziemlich viel Plus bot auch Usch, die DJane. Ihre Musikauswahl war aber große Klasse.

Kaum hatten wir die Mäntel abgegeben, verschwand Mira schon wieder aufs Klo. Anscheinend litt sie unter Blasenschwäche. Ich schob mich an die Theke, von der aus man die Tanzfläche im Blick hat, und überflog die wogenden Häupter ein Geschoss tiefer. Nur vereinzelte grauweiße Schöpfe und wenige kahlnasse Glatzen. Also wieder kaum Männer da.

Zwischen den zuckenden Leibern trudelte eine bunte Kugel wie in einem Flipperautomaten. Kaum stieß sie an einen anderen Körper, löste sie sich wieder und trudelte weiter. Offenbar hatte vor Beginn der Disko ein Kontakttango-Workshop stattgefunden. Gerade umkreiste die Kugel einen langen Kerl, der wie ein Mast aus dem Gewoge ragte. Sein weißes Hemd machte sich gut als Segel. Überraschenderweise hatte der Kerl dichtes Haar, ja sogar eine Haarfarbe und war mir kein Unbekannter – sondern mein Quasi-Lover Henri! Was für ein Zufall! Um ein Haar wären Henri und ich vor fünf, sechs Jahren im Bett gelandet, doch mit Rücksicht auf Kinder und Ehepartner hatten wir uns in sexuellem Verzicht geübt. Henri und ich waren zum leibhaftigen Beweis geworden, dass Freundschaft zwischen Mann und Frau möglich ist. Leider mussten wir unseren Angetrauten diesen Triumph verschweigen. Dabei hätten sie stolz auf uns sein können. »Sie haben einen echt tollen Mann! So sexy und dabei unkaputtbar treu!«, hätte ich Henris Frau am liebsten gesagt, als ich die beiden beim Edeka traf.

Während ich mich zu erinnern versuchte, auf welche Weise Henri eigentlich in mein Leben ein- und wieder aus ihm hinausgetreten war, drängelte sich eine aufgedonnerte Diskotussi neben mich an den Tresen. Ihre Parfümwolke drängelte mit.

»Zwei Apero!«

Die Tussi war sehr stark geschminkt und hoch toupiert. Mein Blick blieb an ihrem schillernden Schuppenkleid hängen, das dem Fischschwanz einer Seejungfrau zur Ehre gereicht hätte. Oder dem Kleid einer Dragqueen.

»Hier, für dich!«, sprach die Erscheinung und schob mir einen der Aperos zu. »Alles klar?«, fragte sie, als ich stumm blieb. »Tja, da staunst du, was?« Sie stippte die bauschige Haarwolke zurecht und verzerrte ihren grellroten Mund bis zu den Ohren.

Nun verstand ich. »Du hast eine Wette verloren und musst als Olivia Jones gehen.«

»Wieso, welche Wette denn? Nö, wir lassen heute einfach mal die Sau raus.« Zwei tiefe Grübchen erschienen in Miras Wangen, als sie am Strohhalm sog. Im Nu war das Glas leer. »Und? Hast du die Männerlage gepeilt? Was ich bisher so sehe, macht mir Lust, mich zu besaufen.« Ihr Blick blieb an meinem kaum berührten Prickelzeug hängen. »Wenn du nicht magst, gib her.«

Wortlos reichte ich ihr das Gesöff. »Seit wann haben sie hier eigentlich einen Kostümverleih?«

Mich traf ein strafender Augenaufschlag. »Spaßbremse! Und so was nennt sich beste Freundin! Ich hab natürlich alles dabei, Push-up, Make-up, künstliche Wimpern – oder dachtest du, ich tanze im Businessoutfit?« Damit zuzelte Mira auch meinen Apero aus, ließ den Strohhalm geräuschvoll über den Grund schnorcheln und schob das leere Glas von sich.

»Los, come on! Let’s dance!«

Auf silbernen Riemchen-High-Heels stakste sie vor mir her zum Parkett.

Henri lächelte innig, als er uns kommen sah. Er hatte mich sofort wiedererkannt, schließlich wirke ich heute keinen Tag älter als vor fünf, sechs Jahren. Er dagegen hatte ein paar Falten mehr, das konnte ich sogar im Licht der Spots erkennen. Aber sie standen ihm. Überhaupt sah er sehr gut aus. Sein dunkelblondes Haar war noch immer voll, er trug es etwas länger als damals, das schmeichelte seinem kantigen Profil. Das weiße Hemd saß wie angegossen, womit ich nicht meine, dass es verschwitzt an ihm geklebt hätte. Nein, Henri besaß, wie ich wusste, ein extra Deo für ultraheiße Momente. Der Mann kannte sich aus! Auch seine Hose saß und brachte immer, wenn er sich drehte, einen ausnehmend hübschen Apfelpo zur Geltung.

Und Henri drehte sich oft.

Alles in allem war dieser Mann eine echte Sahneschnitte. Und die begegnete mir gleich am Abend meiner Trennung! Wenn das kein Wink des Schicksals war! Henri und ich würden noch heute mit unserer platonischen Vergangenheit brechen.

Wir tanzten, was Uschs Plattenteller hergaben.

Henri drehte und drehte sich und jedes Mal, wenn er sich drehte, umwehte mich ein Hauch von Zitrus, Zeder und Zaubernuss, und ich sah auf diesen verführerischen …

»I’m so happieee!!!«, schrie Mira in meine Andacht hinein, während sie schon wieder mit wedelnden Armen um uns herstakste, und erneut drehte Henri sich wie am Gummiband gezogen und gönnte mir seine Hinteransicht. »Happy-happy as could beee …«, grölte Mira den Refrain mit und hüpfte wie angestochen am Platz, während Henri um sie herumtänzelte.

Drei, vier Lieder später tanzten sie noch immer. Ich kehrte an die Theke und zu der platonischen Verbindung zwischen Henri und mir zurück. Offenbar war sein Allerwertester für mich das Aussichtsreichste an ihm.

Zum Glück war ich auf diesen Arsch nicht angewiesen!

Bestimmt war er weiterhin verheiratet und genoss genehmigten Ausgang, weil seine Frau heute Mädelsabend hatte.

Ich bestellte mir einen Prosecco und nahm das verbliebene Material in Augenschein.

Wie war ich froh, inzwischen keine faulen Kompromisse mehr zu machen! Es tat gut, sich selbst zu genügen und von keinem abhängig zu sein. Das Letzte, was eine Frau wie ich braucht, ist ein männliches Surrogatextrakt, wie es hier mit Bierflasche in der Hand an der Wand lehnte. Geschweige denn, zu Hause meine künstlerischen Bilder an die Wand stellte!

Erhobenen Hauptes schritt ich zur Garderobe. Als ich bereits im Mantel war, kam Mira-Olivia vom Klo.

»Willst du schon gehen?«

»Wonach sieht’s denn aus?«, versetzte ich.

»Aber ich dachte, du pennst heute bei mir?«

»Ach wirklich?« Ich sandte ihr einen Schlafzimmerblick.

»Aber Conny! Klar schläfst du bei mir! Das war doch so abgemacht. Du wirst ja wohl nicht zurück zu Albert! Warte, bin gleich wieder da!« Entschlossen wandte sie sich zur Garderobe und wedelte mit ihrer Marke.

»Hey, du musst doch jetzt nicht mitkommen«, rief ich, aber da hielt sie schon ihre Sachen in der Hand. Nach kurzem Kramen zerrte sie einen Fellbommel aus ihrer Umhängetasche und reichte ihn mir.

»Hier, mein Zweitschlüssel! Wirf ihn morgen in den Briefkasten. Gute Nacht, meine Süße!«

Sie schmatzte mir zwei Busenfreundinnenbussis auf die Wangen, gab ihr Zeug wieder ab, und weg war sie.

Ich verließ das Riverside im Gefühl einsamer Größe. Was ging mich Henri an. Das Glück einer unabhängigen Frau hängt einzig und allein von ihr selbst ab, nicht vom Begleiter.

Beim nächsten Mann bleib ich solo

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