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15. Den Abflug machen

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Sonntagnacht um zehn vor drei klingelte Suada Sturm. Wegen mir hätte sie nicht zu klingeln brauchen, ich war längst abfahrbereit und saß auf dem gepackten Koffer. Schließlich hatten wir abgemacht, dass sie mich um halb drei abholen kam. Ihr Geklingel riss leider nicht wenigstens mal Albert aus dem Schlaf. Selbst wenn er hier gewesen wäre. Er schlief mit Wachs in den Ohren. Schon deshalb brachte er eine erhöhte Toleranz gegen Kuckucksuhrenrufe auf. Jahrelang riet er auch mir zu Ohrstöpseln. Wo ich doch so schrecklich geräuschempfindlich sei …

Wie bei den meisten Dingen waren Albert und ich auch bei Stöpseln verschiedener Meinung. Für mich sind sie Körperverletzung. Gezielte Behinderung eines zentralen Sinnesorgans. Sicherheitsgefährdung. Wie soll ich zugepfropft Brandmelder hören? Sirenenalarm? Hilferufe? Das Miauen der Katze? (Gut, wir haben keine, aber das nimmt dem Argument nichts.) Ohren verstöpseln rangiert gleichauf mit Knebelung.

Ich schnappte Rollkoffer und Tasche und zerrte sie die Stufen hinab. Gleich flog ich in Urlaub! Die Freude, dass ich diesem Elend für eine Woche entkommen konnte, machte mich ganz flatterig. Sieben Tage, in denen ich in der Frühjahrssonne liegen und mich neu erfinden würde, um Albert für immer zu entrinnen!

Dass er nun den Spieß umdrehte und vor Sieglinde meine Trennung zu seiner Trennung machte, war wieder typisch. Albert war immer schon reaktiv und einfallslos. Neu war nur, dass er sich obendrein bei seinem Nachwuchs ausheulte und plötzlich sogar Urlaub nehmen konnte. Beides zeigte, dass er immer noch nichts kapiert hatte und ein feiger Hund war. Wann hatte er je mit mir Urlaub gemacht? Wann hatte er sich je mit mir ausgesprochen und sich mir offenbart?

Am Hauseingang wartete eine Wichtelfrau in einem Wollmäntelchen und unförmigen Wildlederboots auf mich, eine fellbesetzte Kapuze auf dem Kopf.

»Olà, chicca«, rief die Zwergin und schmatzte mir zwei Wangenküsse auf die Ohren, dass sie klingelten. »Zeit du kommst, die Taximann wartet!«

Suada ist Brasilianerin, Zumba-Trainerin und meine beste Freundin. Sie hatte vor vier Tagen spontan zugesagt, mich auf meiner Eheflucht zu begleiten. Wir würden es krachen lassen, durch die Clubs ziehen und abtanzen!

Vor dem Haus sprang ein dunkelhaariger Cabdriver aus seinem Auto, warf mein Gepäck in den Kofferraum und schmiss den Deckel zu. Eilig schlüpften wir alle drei in den Wagen. Wir waren spät und vom Himmel stürzte eine wahre Regenfront.

Mit quietschenden Scheibenwischern schob sich das Taxi durch die Stadt, in der die Nässe hing wie schwere graue Tücher. Über der menschenleeren Autobahn klärte der Himmel sich auf. Unser Fahrer setzte seinen Benz auf die äußerste linke Spur und gab Gas. Röhrend rauschte der Wagen durch die Nacht.

»Ist Glück wir fliege Sonntag, da gibt keine LKW!«, lachte Suada den Taximann im Rückspiegel an. Er lachte zurück.

»Vonne wo bist du? Turke?«, fragte Suada.

Das war ihr Lieblingsspiel. Wenn sie jemand Neuen kennenlernte, begann ein munteres Rätselraten.

Ein ratloses Gesicht drehte sich zu ihr.

»Istanbul?«, half ich schnell, damit der Taximann sich wieder nach vorn umwandte.

»Kabul! Ist Afghanistan.« Jetzt strahlte er mich an.

»Würden Sie bitte auf die Straße gucken?« Ich wies mit Zeige- und Mittelfinger Richtung Fahrbahn, als säßen Glubschaugen auf den Kuppen.

»Ah, okay! Gleich da!« Er deutete mein Zeichen auf seine Weise, packte das Lenkrad fester und ließ den Motor aufjaulen. Wir schossen dahin wie der Blitz.

»Du schon lange in Deutschland?«, krähte es von hinten.

»Lenk ihn nicht ab, Suada!«, zischte ich über die Sitzlehne.

»Deutscheland!«, echote es fröhlich vom Steuer her. »Gute Land! Gute Straß!«

»Warum fahren Sie ganz links? Rechts ist alles frei.«

»Links schneller«, erklärte der Taximann. »Fahr ich immer da. Mache alle. Nur Opis und Brummis anner Seit.«

»Aber auf der Autobahn gilt rechts fahren. Wenn man überholen will, wechselt man die Spur. Nach Abschluss des Überholvorgangs wechselt man wieder zurück.« Vielleicht sollte ich über eine Zukunft als Fahrschullehrerin nachdenken.

»Du lass arme Algerier in Ruh mit deine deutsche Scheißspießerei und euer Hitler-Autobahn!«, trompetete es aus dem Fond.

»Afghaner«, kam von links.

Ich gab auf. Die Flughafen-Abfahrt kam in Sicht, doch unser Mann machte keine Anstalten, sie zu nehmen.

»Hier müssen wir raus«, sagte ich. »Da!«

»Da?«, fragte er zurück.

»Ja! Sehen Sie nicht das Schild mit dem Flugzeug?«

»Ah! Ich noch nix fahr Flugzeug.« Immerhin wechselte er nun auf die Abbiegespur. »Ich nur immer fahr Frankfurt. Erst zwei Monat Deutscheland.«

Schnittig röhrten wir in die Kurve. Kurze Zeit später betraten Suada und ich mit unseren Trolleys und Taschen die Abflughalle. Suada blieb bei der Glastür kurz stehen und winkte dem davonfahrenden Taxi nach.

»Nette Afrikaner, oda?«

Das winzigkleine Flugzeug auf dem Monitor zog seit Stunden seine Bahn über dem großen grünen Kontinent. Allmählich schob sich von links her das Meer ins Bild. Eigentlich sah alles aus wie auf einer Kinderzeichnung. Nur war es leider Echtzeit und ich saß mittendrin. Fest. Ohne gehen zu dürfen. Ich verfolgte unseren Flug live auf dem Bildschirm über meinem Sitz, den Fensterplatz hatte ich bereitwillig Suada überlassen.

»Schade, du nix siehe die Pyrenee. Schau da unten!«

»Sehr schön, Suada.«

»Kommte gleich Portugal!« Suadas Finger schlossen sich aufgeregt um mein Handgelenk.

Das war mir bekannt. Schließlich hatte ich unser Reiseziel bestimmt. Möglicherweise hatten Björns Schwärmereien für die Algarve mich dazu inspiriert. Im Moment war mir allerdings völlig egal, in welchem Land ich zerschellen würde. Wie konnte man ein Flugzeug überhaupt Boeing nennen! Boing! stand früher im Comic in der Sprechblase, wenn es Beulen setzte. Ein e mehr machte da auch nichts besser. Nun gut, es gab Parfüms, die hießen Blutrache, und trotzdem besprühten sich Menschen damit.

»Oi! Eauosch ao portugesch eao!«, sprudelte Suada hervor.

»Du weißt schon, dass ich kein Portugiesisch spreche?«

»Machte nix. Sind über die Grenz! Guck da!«

Das waren die vorerst letzten annähernd deutschen Worte, die meine Fluchtbegleiterin an mich richten sollte.

Eine halbe Stunde später zeigte der Bildschirm unseren Landeanflug auf Faro. Dazu flog die Boing! weit über die Stadt hinaus aufs offene Meer. Ich sah es mit gemischten Gefühlen. War ersaufen nicht schlimmer als zerschellen? Wieso kriege ich dann im Flugzeug Beklemmungen, während ich auf einem Schiff völlig cool bleibe, obwohl ich nicht schwimmen kann? Derweil ich nach Antwort suchte, kehrte unser Vogel im weiten Bogen zur Küste zurück und nahm Kurs auf die Piste.

Die Landung war so butterweich wie meine Knie.

Suada saß unter Palmen auf ihrem Trolly. Sie hatte Fellkapuze und Cape abgelegt und blinzelte wie eine träge Katze in die morgendliche Frühjahrssonne, während ich den erstbesten Autoverleih direkt neben der Flughafenhalle betrat. Auf Suadas dolmetscherische Unterstützung hatte ich verzichtet. Bei AllYouCanDrive sprach man ja wohl Englisch, einen Mietwagen zu kriegen war also kein Problem.

Gelassen ging ich zum Schalter. Vor mir stand nur ein einziger Kunde, ein hipper Typ in coolen Klamotten. Schlüssel und Papiere seines Wagens lagen schon auf der Tischplatte. Die junge Frau hinter dem Tresen bearbeitete Unterlagen. Ich hörte sie fröhlich lachen, während sie ein Formular ausfüllte. Der Kunde lachte auch und fuhr sich mit allen zehn Fingern durchs Stoppelhaar. Worte flogen hin und her, er lehnte sich auf den Tresen zu der Frau hinüber, wisperte und schenkte ihr Blicke, die ich nicht sah, mir aber genau vorstellen konnte. Sie kicherte haltlos. Das hier entwickelte sich klar in Richtung Flirt.

Ich reckte mich, damit das junge Ding Notiz von mir nahm, und gab ihr ein Zeichen mit dem Kinn. Das Kichern verstummte, die Übergabe wurde nun offenbar vorangetrieben.

Dazu verschwanden die zwei nach draußen. Es dauerte ewig, bis sie zurückkamen. Wieder wurde herumgekritzelt und herumgekichert. Genervt warf ich einen Blick durchs Schaufenster hinaus auf den Parkplatz, wo Suada weiter die Sonne anbetete.

Neben dem Eingang hingen Werbeflyer. Ich blätterte gerade in einer Hotelanlage an der Algarve und studierte die Fotos vom Pool, als eine hohe, helle Männergestalt hereinstürmte und über meinen Trolley fiel. Koffer und Mann kamen ins Straucheln. Den Koffer konnte ich noch auffangen. Der Mann ruderte heldenhaft mit den Armen, musste sich aber der Schwerkraft beugen und ging hart zu Boden. Sein Panamahut rollte davon und gab dichtes graues Haar frei. Zusammen mit der jungen Frau, die vom Tresen herübergesprintet kam, sank ich auf die Knie.

»Everything’s okay?«, stammelte die Frau und zupfte am Leinenanzug des Klienten.

»Ist alles in Ordnung?«, echote ich.

Der Mann, der vor uns auf dem Noppenboden lag, tastete nach seiner Sonnenbrille, die ihm schief im Gesicht saß, und nahm sie ab. Seine Lider zuckten, dann schlug er die Augen auf.

Sie waren jeansblau.

Wie die von Gottfried Schachtschnabel!

Sein Blick irrte über das Gesicht der jungen Frau. Zum ersten Mal in meinem Leben hoffte ich neben der Jugend zu verblassen, mich in Luft aufzulösen. Ich fühlte mich wie ertappt und der Vorsätzlichkeit überführt. Als sei ich aus einem einzigen Grund an diesem Ort. Wegen Gottfried Schachtschnabel!

Dabei hatte ich bis eben gar keine Ahnung, dass er auch hier war! Ich hatte einfach nach Portugal gewollt. Nur so! Höchstens auf ein Käffchen mit Björn. Aber selbst das bloß vielleicht, darum wusste selbst Björn nichts von meiner Reise. Ich war schließlich nicht wegen eines alten Bettkumpels hier und um dem einzigen Mann über den Weg zu laufen, den ich in Portugal kannte …

Nun aber kniete ich vor Gottfried Schachtschnabel!

Diese Algarve hatte schon beim Landeanflug verdammt klein ausgesehen.

Beim nächsten Mann bleib ich solo

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