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4. Annabell, oh, Annabell

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An der Kasse im Buchladen AnnaBella stand schon wieder so eine junge Frau, die ich nicht kannte. Und sie kannte nicht mal mich! Dabei hatte ich sechs Jahre lang im Laden mitgearbeitet! Gut, das war ein Weilchen her, Anfang der Neunziger, zu der Zeit hieß er noch AnnaConda und war ein Frauenbuchladen gewesen. Damals wechselten die Ladenfrauen kaum. Es waren immer dieselben zehn. Was auch daran lag, dass kaum eine bereit war, zwei Tage pro Woche irgendwo mitzuarbeiten, ohne Geld dafür zu kriegen. Bei AnnaConda gab es nur eine bezahlte Stelle, den Rest erledigte das sogenannte Kollektiv für lau. Diese Organisationsform musste sein, weil der Laden ein politisches Frauenprojekt war und nicht etwa ein kapitalistisches Geschäft. Den sich daraus zwingend ergebenden Überhang an Lehrerinnen, Arztgattinnen und Kinderlosen nahm das Ladenkollektiv in Kauf – welche Frau sonst hatte genug Zeit oder Geld und konnte sich eine Putzfrau leisten, die bei ihr daheim putzte, während sie selbst unbezahlt Bücher verkaufen ging? Gerechtigkeitshalber ließen wir die bezahlte Stelle jährlich rotieren; so erhielt jede im Kollektiv die Chance, im Laufe von zehn Jahren an die Reihe zu kommen. Das Rotationsprinzip an sich war kein Problem, weil damals alle alles oder nichts konnten. Sogar das Klo putzen. Mir fiel ein: Es gab da einen Mann, der sich bei AnnaConda als Kloputzer bewarb. Mit einem echten Bewerbungsschreiben, in dem stand, er wolle den Frauen unentgeltlich dienen, um damit seinen Beitrag zum Abtragen der Schuld für fünftausend Jahre Patriarchat zu leisten. Das Kollektiv diskutierte die Bewerbung und lehnte sie sehr zu meinem Bedauern ab.

Ich nickte der jungen Unbekannten an der Kasse freundlich zu – denn schon bald würde ich ihre neue Kollegin sein. Mein Plan war, bei AnnaBella als Aushilfe einzuspringen, um mich schnell unentbehrlich zu machen und am Ende die Geschäftsleitung zu übernehmen.

Da die Kollegin in spe offenbar noch zu tun hatte, besah ich mir die Ecke mit den Sachbüchern. Die Regalschilder ließen mich ungläubig den Kopf schütteln. Haufenweise »Lebenshilfe«! Sogar ein Fach mit »Trennungsratgebern«! Früher, da zeugten unsere Beschriftungen noch von feministischer Brisanz. Sie hießen »Subsistenzarbeit«, »Internationale Frauenbewegung« oder »Erotik / Sex / §218«! Unser neues Fach »Mager- und Esssucht« platzte bald aus allen Nähten, noch schneller das Brett »Sexueller Missbrauch«. Leider bescherte gerade dieses Schild uns den Besuch der Anarchas von der Roten Willma, die unserem Kollektiv null politischen Durchblick attestierten. Welche, die sexueller MISSbrauch schrieben, unterstellten ja wohl, dass es einen sexuellen GEbrauch gebe, der dann also okay sei?!

Was denn ihrer Meinung nach auf dem Schild stehen müsse, fragte ich die Roten Willmas. Auf dem Schild müsse stehen: »Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Lesben unter besonderer Berücksichtigung emotionaler sexualisierter Übergriffigkeit«, lautete die Antwort. (Zu der Zeit waren noch keine Sternchen über der Genderwelt aufgegangen.)

Ich sagte, dann kapiere niemand mehr, was in dem Fach für Bücher stehen. Falls doch, ziehe es Triebtäter und Voyeure an. Eine Rote Willma entgegnete mir zornrot, dass wir Frauen vom AnnaConda-Kollektiv eh alle antifeministische Pseudas seien, weil wir Männer reinließen. Keine echte Frauenbuchlädin ließe Männer rein. Nicht mal Briefträger.

Wir kamen am Ende nicht wirklich zusammen. Die Willmas zogen ab und ließen im Raum stehen, uns gelegentlich einen Molotowcocktail vorbeizubringen, was schon damals keine Einladung zu einem Drink war. Trotzdem blieb ich eisern, was die Beschilderung anging. Ich beharrte außerdem darauf, dass es nicht scheißreaktionär sei, lesbische Liebesromane ins Schaufenster zu stellen.

Auch hierin erwies ich mich als Vorreiterin: Im Fenster von AnnaBella standen heutzutage sogar heterosexuelle Liebesromane! Tja. Generell waren die Zeiten an dieser Buchhandlung nicht spurlos vorübergegangen. Sonst ging aber vieles am Buchhandel vorüber: Der Laden war menschenleer. Was mir momentan nur recht sein konnte; wenn ich mich informieren oder spontan bewerben wollte, war ich am liebsten ungestört.

Ich hielt gerade einen dicken roten Schmöker mit dem Titel »Reich ohne Geiz« in der Hand, als mir eine ältere Dame unverfroren über die Schulter schaute.

»Willst du dich mal wieder von Albert trennen?«

Irritiert sah ich auf und erblickte Sieglinde Lamar-Schadler. So hieß sie jedenfalls vor dreißig Jahren in ihrer Ehe mit Steuerberater Wolf-Dietrich Lamar. Später hatte sie den Lamar vorteilhaft ersetzt, sich sozial hochgeheiratet und hieß heute Mein-Gatte-ist-Zahnarzt-Schadler. Damit war Sieglinde am Ziel, sie stand schon immer auf Ärzte. In der Zeit, als uns ein zaghafter Versuch von Freundschaft verband, hatte sie sogar phasenweise Albert nachgestellt. Da hatte sie sich aber vertan! Man kann Albert vieles unterstellen, aber nicht, dass er blind ist, was Frauen angeht. Als dann der Zahnarztdampfer aufkreuzte, änderte Sieglinde ihren Kurs und wurde sein Beiboot. Soweit ich wusste, begegnete Albert dem Paar gelegentlich noch auf Medizinbällen oder wo man sich ärztlich so trifft. Hin und wieder luden sie ihn auch zu sich ein, auf einen Drink unter Freunden und Kollegen. Ohne mich. Als Nichtmedizinerin und angeheirateter Appendix zählte ich nicht für Sieglinde, die eine Ausbildung als Zahnarzthelferin vorzuweisen hat. So hatten wir uns schon ewig nicht mehr gesehen.

Optisch war Sieglinde ganz bei sich angekommen. Kariertes Wollkostüm – das passte, auch wenn bei ihr der mittlere Knopf spannte. Der überm Bauch, nicht der überm Busen. Dazu Damenhandschuhe. Schon in unserer Jugend hatte sie ausgesehen wie ihre eigene Mutter. Ich verweigerte Make-up, Sieglinde stand die Gediegenheit im Gesicht wie fette Schminke. Ich warf meine BHs weg, Sieglinde trug ein Korsett aus Reife.

Wenn ich sie so ansah, fragte ich mich, ob wohl auch sie sich neun Jahre jünger fühlte. Angeblich tun das ja alle. Ich selbst fühle mich wie achtundvierzigdreiviertel, und nicht nur das: Ich sehe auch so aus.

Was suchte eine bekennende Nichtleserin überhaupt bei AnnaBella? Wenn mit Sieglinde hier an diesem Ort der Kultur öfter zu rechnen war, musste ich mein buchhändlerisches Comeback überdenken.

»Und wann lässt du deinen Zahnarzt ziehen und überbrückst ihn mit einem Professor der Medizin?« Ein gelungener Seitenhieb, der Sieglinde entging, denn sie lachte sich scheckig.

»Hahaha! Wo denkst du hin! Wir feiern nächste Woche fünften Hochzeitstag! Jetzt such ich für ihn ein Geschenk. Ich schenke meinem Mann grundsätzlich Bücher«, verriet sie mir. »Damit gehe ich auf Nummer sicher. Er kauft selber nie welche. Vorher schau ich hier im Laden vorbei und wenn mir eins gefällt, bestell ich es. Das ist heute ja unheimlich praktisch.«

»Wieso kaufst du es nicht gleich an Ort und Stelle?«

»In einer Buchhandlung? Aber da haben es doch schon tausend Leute betatscht!« Sieglinde schüttelte sich vor Ekel, ich verstand nun, wieso sie Handschuhe trug. »Die ganzen Bakterien! Außerdem kriegst du die Internetbestellung per Post zugeschickt. Bildbände sind ja so entsetzlich schwer!«

Sie war sich also auch als Anhängerin abartiger Kauftrends treu geblieben. Einmal hatte sie Wolf-Dietrich ein schlammfarbenes Tandem von Eduscho zum Geburtstag geschenkt.

»Komm, lass uns einen Kaffee trinken«, schlug Sieglinde vor, als seien wir zwei Freundinnen auf Shoppingtour.

Ich winkte ab. »Keine Zeit.« Als ich ihren verständnislosen Blick sah, sagte ich: »Ich recherchiere Literatur.«

»Besuchst du jetzt die Universität des dritten Lebensalters?«, kicherte sie. Ich fand das von Sieglinde ziemlich frech.

»Ich schreibe ein Buch.«

Sieglinde riss die Augen auf. Als sie sich wieder berappelt hatte, flötete sie mit einem Lächeln, das sie für weise hielt: »Das sagen viele!«

»Mag sein. Aber ich tu’s.«

Damit überließ ich sie ihrem ungläubigen Staunen.

Beim nächsten Mann bleib ich solo

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