Читать книгу Beim nächsten Mann bleib ich solo - Hella Heller - Страница 4

1. Erwachen

Оглавление

Der Alptraum war vorbei. Ich war nicht mehr Kate Middleton, die sich soeben mit Prinz William verlobt hat. Wobei er mir – dreißig Jahre nach der Verlobung seiner Eltern – den brilliantenbekränzten blauen Saphir der Lady Di auf den Finger steckte. »Kate! Nimm den Verlobungsring von Mum als Zeichen meiner ewigen Liebe! Ich wollte ihn dir schon lange geben, habe aber extra bis heute gewartet, damit wir diesen besonderen Tag im Geiste mit ihr teilen können!«, sagt William.

»O Willy-Darling!«, hauche ich, »how rührend!«

Und da ist es, das legendäre Kleinod, extra erweitert, damit es auf meinen Finger passt! Stolz hebe ich die Hand. Prachtvoll glitzert der Saphir in der Sonne Kenias, wohin unsere Verlobungsreise uns geführt hat.

Leider ist der Ring eine Idee zu weit geraten. Denn als ich die Hand wieder sinken lasse, rutscht er mir vom Finger und schwupp, springt das Mistding davon.

Williams Blick treibt mir den Angstschweiß auf die Stirn. Entschlossen werfe ich mich auf die Knie und durchwühle den kenianischen Straßenstaub nach der Preziose. Die Paparazzi, diese Aasgeier, knipsen wie blöd, wie ich im Dreck umherkrieche …

Vor Verzweiflung wurde ich wach. Und obwohl ich nun wieder Constanze Wechselburger-Auerbach hieß und mir Royals und Brillis schnurzpiepegal sind, war mir die Sache peinlich. Der Verlust dieses Ringes würde dem armen William das Herz brechen! Wo er doch gerade dabei war, mir das heilige Band der Ehe zu versprechen!

Zum Glück hat Albert mir vor dreißig Jahren genau den gleichen Ring geschenkt. Er ist zwar nicht ganz so teuer gewesen (89,– Mark bei Tchibo), sieht aber richtig echt aus. Falls William in meinen nächsten Träumen weiter um seinen Verlobungsklunker trauern würde, konnte ich ihm den von Tchibo schenken. Gesetzt den Fall, mir fiele ein, wo Alberts Ring war. Weggeworfen hatte ich ihn bestimmt nicht. Schon weil es das einzige geblieben ist, was dieser Geizhals mir überhaupt je geschenkt hat.

Gerade wollte ich beruhigt wieder eindösen, da rief ein Kuckuck. Ich wusste, was nun kam. Im Abstand von je einer Minute würden sechs weitere rufen. Die übrigen lauerten auf ihren Einsatz, mussten aber stumm bleiben. Das war eine meiner Bedingungen dafür, dass Albert im Flur unserer Wohnung achtundzwanzig Kuckucksuhren aufhängen durfte. Albert und ich bemühen uns beziehungstechnisch um Ausgewogenheit.

Unsere Altbauwohnung liegt im Frankfurter Nordend und ist riesig. Als wir von Berlin-Kreuzberg in die Mainmetropole umgezogen waren, weil Albert hier seine erste Stelle als Assistenzarzt bekam, hausten wir anfangs zu siebt in zwei Tür an Tür liegenden Etagenwohnungen. In der WG wohnten lauter Leute, die Medizin studierten oder gerade in der Chirurgie anfingen. Meist war noch ein Haufen Besuch da, der vom Job her auch Körper flickte, deshalb ging es schon beim Frühstück um unappetitliche Themen. Als Frau mit filmischem Auge war das für mich eine Herausforderung. Andererseits könnte ich seither manch eine Operation medizinisch präzise durchführen – gewusst wie!

In den Jahren darauf kamen Rosa und Ben zur Welt. Die WG löste sich auf, wir rissen die Wand zwischen den beiden Wohnungen ein, und ab da verfügten Albert und ich mit unseren Kindern über 155 Quadratmeter. Der einzige Nachteil ist, dass alle sieben Zimmer von einem endlosen dunklen Flur abgehen. An sich läuft man in unserer Wohnung ewig durch diesen Schlauch. Wir nennen ihn darum den langen Jammer.

Im langen Jammer ist die linke Wand über und über mit Kuckucksuhren behängt. Eine Uhr neben der anderen. Ich finde Kuckucksuhren völlig bescheuert, aber ich stamme auch nicht aus dem Schwarzwald. Albert dagegen kommt vom Titisee. Er behauptet aber, er sammele nicht aus Heimatverbundenheit. Das sei echte Uhrmacherkunst. Der internationale Markt lechze nach der schwäbischen Kuckucksuhr. Als Anlageobjekt! Ein Vogelhaus mit Gehängen dran … haha! In meinen Augen war und blieb das billiger Touristenkitsch.

Zum Ausgleich sicherte ich mir die Gestaltungshoheit über die rechte Flurseite. Auf der gesamten Länge der Wand habe ich selbstgefertigte Kunstobjekte verteilt – Gemälde und Zeichnungen. Mein Stil ist sozialkritisch-feministisch, bewahrt dabei aber das mädchenhaft Naive, mit dem ich als Fünfjährige zu malen anfing. Der Flair des Kindhaften steht im bewussten Spannungsbogen mit der Schärfe meiner politischen Botschaft. »Küss mich, ich bin keine Beischlafmaschine« heißt eines meiner Werke, »Henne und Ei« ein anderes. Mein größtes Kunstobjekt ist einen Meter fünfzig breit und behandelt das Thema »Jugendwahn«. Es ist eine Blümchenwiese aus Plastik, die ich mit Gold- und Silberfarbe übergossen habe, und aus dem Ganzen ragt ein dreckigweißer alter Chuck! Das Objekt trägt den Titel »Fit wie ein Turnschuh!«.

Um die sozialkritisch-feministische Note meiner Bilder noch zu unterstreichen, habe ich meine Flurwand plus Deckenhälfte himmelblau grundiert und mit Schäfchenwölkchen bepinselt. Sozialkritische Kunst gegen Wolkenkuckucksheim! Ha!

Vierundzwanzig Minuten nach dem letzten Kuckucksgeschrei hörte ich die Wohnungstür ins Schloss fallen. Albert war weg. Er frühstückt nie, selbst seinen Kaffee trinkt er in der Klinik. Mir blieben die Leere und die Stille.

Beim nächsten Mann bleib ich solo

Подняться наверх