Читать книгу 1 PUNKT - Helmut Ecklkofer - Страница 14
REMEMBER DIE ZEIT ERSCHEINT IM SPIEGEL WAS FÜR EINE VITA VON WAHNSINN
ОглавлениеDie Musik klingt vertraut. Jeder Ton speichert eine Erinnerung. Gegen das Licht gehalten erscheint ihre Silhouette zerbrechlich. Alles ist fiktiv, alles wie feinstes Porzellan, das im Takt des Herzschlags vibriert. Er legt seine Gedanken zur Seite und sie verschwinden im nächsten Augenblick im Meer der Erinnerungen. Entscheiden feine Nuancen, die wie mit einem Glasschneider ihre Herzen zerschnitten haben, über Leben und Tod? Es ist wie ein Handel mit Devotionalien, ein Ablasshandel, ein Tauschgeschäft. Romeo und Julia tauschen ihre Liebe ein. Digitale Phantasien mischen sich zu jener schwarzen Masse, die undurchdringbar scheint. Der weiße Stift fährt über das weiße Blatt und allmählich erwachen die Buchstaben zum Leben. Klar und immer klarer. Sophia liest Zeile für Zeile. Doch nicht die Wörter ergeben einen Sinn, es sind die Abstände der Zeilen, die Abstände der Buchstaben, die ihre eigenen Geschichten erzählen. Die Finger gehorchen nicht mehr, die Tastatur wird zum Abenteuerspielplatz. Zeichen und Buchstaben wechseln einander ab. Shortcuts, Command, Steuerung Alt und D, Strg-C, Strg-D. Alles geschieht in Millisekunden. Icons, Piktogramme, Schriftzeichen, die große weite Welt der Buchstaben liegt vor ihr. Keine Farbe, keine bunten Tupfer, nur schwarz und weiß. Positiv und negativ. Clean, absolut rein. Messerscharfe Konturen schneiden sich ins Papier, tauchen ein in die unregelmäßige Struktur der Oberfläche. Sophia erreichte ein neues Level, wie in einem Computerspiel tastete sie sich voran, immer auf der Suche nach einem neuen Kick, einem neuen digitalen Abenteuer. Die Zeit erscheint im Spiegel der Glückseligkeit. Bleibt einen kurzen Moment, Glücksmomente paaren sich öffentlich in einer Art viraler Sexszene. Von Höhepunkt zu Höhepunkt schweben die Gedanken, die wie Starfighter den klaren Himmel mit ihren weißen Kondensstreifen in kleine überschaubare Spielfelder teilen. Sie hat das Passwort zu ihrem Glück nicht abgespeichert. Sophia versucht die verschiedensten Kombinationen und die aberwitzigsten Verknüpfungen. Erfolglos. Sie hat sich selbst den Zugang versperrt. Sie schwebt in der Cloud wie ein Rokkaku, einer dieser sechseckigen japanischen Kampfdrachen, der wie ein Blatt im Wind dahintreibt, um plötzlich zuzuschlagen. Sie kämpft gegen ihre Seele. Es vollzieht sich eine Metamorphose der ganz besonderen Art. Sie fühlt sich größer als das Leben. Was für eine Vita von Wahnsinn und Vergessen, von Gier und Hass. Bis endlich alles eins wird, ihr Kopf, ihre Seele, ihr Körper. Leise Zwischentöne, zarte Berührungen und doch fehlt die Liebe, die ganz große Liebe. Sie schwebt und fühlt sich wohl und doch bekommt sie bei ihrem Höhenflug Flugangst. Sie beobachtet sich selbstkritisch wie eine Voyeurin, die zwischen Depression und Genie hin- und herspringt. Sie feilt an jedem Wort, an jedem Satz. Sophia erinnert sich an die Feuerschlucker, die Gaukler, die fliegenden Menschen, die manchmal ihre Traurigkeit flankieren. Wird ihr Gerechtigkeit widerfahren? In ihrem Körper leben drei unterschiedlichste Personen, die androgyn-exzentrische Drag-Queen, die brutale Sado-Maso-Frau und die blasierte Mutter. Augenscheinlich steht Sophia sich selbst im Weg. Glück und Unglück im gleichen Atemzug.