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1. Februar 1921

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Der jetzige Reichskanzler Fehrenbach hat, wie man zu sagen pflegt, sehr nahe ans Wasser gebaut und versucht, indem er selber Männerzähren vergießt, auf fremde Tränendrüsen reizsam zu wirken. So hat er am 12. Mai 1919 das gerade eingetroffene Versailler Diktat durch eine Rede voll triefender Sentimentalität abzuwenden versucht, indem er an die Herzen der Christen, der Rechtslehrer, der Künstler unter den feindlichen Nationen appellierte und aus einem Männerchor Hegars - in seinen Mußestunden war Fehrenbach Dirigent des Gesangvereins in Freiburg - den rührenden Vers anführte: »O Himmel der Heimat, wie hart bist du, hast deinen Söhnen nur Fluch!«... Vor einem gut besetzten Hause, vor dem schwarzen Gewimmel der Logen, in denen auch der niederländische Gesandte, der ungarische Geschäftsträger und andere Diplomaten das erlösende Stichwort »Nein« endlich hören wollen, vor dem internationalen Preßkopf der Journalistentribüne, vor einer mit über zweihundert vor- und nachnovemberlichen Geheimräten überfüllten Bundesratsestrade erstattet Simons Bericht über die letzte und stärkste Pariser Erpressernote. Ganz sachlich, ganz trocken. Nur ein kleines Zugeständnis an die Fehrenbachweise; Simons konstatiert mit treuherzigem Augenaufschlag vor aller Welt, daß Deutschland ein ehrlicher Schuldner sei und ganz gewiß bis zum Letzten seine Versailler Pflichten erfüllen wolle, nur müsse die Entente bedenken, daß wir Ellenbogenraum zur Arbeit brauchten; Gefängnisarbeit schaffe keine Überschüsse... Wir wollen verhandeln, wir wollen abhandeln, also beileibe nicht einfach Nein! sagen und unsere Unterhändler, ehe wir von den Verrücktheiten angesteckt werden, aus dem Pariser Irrenhaus abberufen. Das ist der weiche Illusionist Fehrenbach, das ist der trockene Jurist Simons, die sich auf dieser - mittleren Linie getroffen haben. Kurz vor Beginn des Weltkrieges, als man allmählich darauf kam, daß man über das Ziel Klarheit haben müßte, wurden im Reichsjustizamt Struckmann, Simons, Brecht mit der Ausarbeitung eines Friedensentwurfes betraut. Durch seine sachliche Unermüdlichkeit empfahl sich Simons, aber es fiel auf, daß er die politische Psyche Englands und der Westländer überhaupt nicht richtig einzuschätzen wußte. Er weiß es auch heute nicht; und Fehrenbach weiß nur in der Musik Bescheid. Die Nation aber harrt voll zitternder Ungeduld auf einen Führer. Eine Regierung, die nur ein Ausschuß von Parlamentariern ist, kann nicht führen, kann nicht Weltgeschichte machen, denn das Parlamentariertum lebt von Kompromissen auf mittlerer Linie, schiebt die Verantwortungen ab; einer versteckt sich immer hinter dem anderen, und schließlich wird einer hervorgestoßen, der namens der Regierung, namens der Koalition, namens einer Partei die ausbedungenen Ungereimtheiten dann vorbringen muß ...

Berichte von der Reichstagstribüne

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