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12. März 1921

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Lessing sagt irgendwo, man dürfe jemand ebenso wenig um seines Stiles wie um der Form seiner Nase willen einen Vorwurf machen. Das ist einem nun mal angeboren. Jeder hat seinen eigenen Stil, und es gibt keine zwei Menschen auf der Erde mit genau derselben Nase. Das gleiche gilt sicherlich von der Weltanschauung. Wir wollen unseren Außenminister Herrn Simons die unsrige nicht aufzwingen, die seinige nicht in den Pfuhl der Hölle verdammen, sondern nur feststellen, daß die Weltanschauung dieses deutschen Außenministers just die ist, die der normale Engländer uns wünscht. Die Korrespondenten der Londoner Presse auf der Reichstagstribüne schauten gestern während der Reichstagssitzung wohlgefällig hernieder. Dieser Foreigner hat endlich nach langem deutsch-methodischem Denken den Sinn der Welt begriffen: Wir sind nicht dazu da, sagt er, den Engländern Böses mit Bösem zu vergelten. Bei diesem Wort lacht die Recht erbittert auf. Also den Peitschenhieb der Sanktionen sollen wir ruhig einstecken. Er sei durchaus nicht, sagte dieser treuherzige, echt deutsche Simons, aus Siegerübermut und Brutalität geführt; nein, den Ententevölkern selber gehe es herzlich schlecht. »Ihr Minister Sseimsöns ist ein ßähr gerecht dönkender Dschentelmän«, sagt anerkennend einer der Londoner Herren auf der Tribüne.

Simons gibt zu, daß er in London über die von dem Reichskabinett erteilten Weisungen hinausgegangen sei, er bestätigt, daß nicht sein Nein zum Abbruch geführt habe. Aber drüben habe eben er die höhere Einsicht besessen. Von Berlin aus könne man die Welt nicht recht überschauen, erst an Ort und Stelle in London habe man den rechten Weitblick. Three cheers for Mr. Simons! Unsere Sachverständigen daheim sind ja nicht weither, aber wer Themseluft geatmet hat, der weiß Bescheid. Immer wohlgefälliger werden die Mienen der Zuhörer auch in der Loge für fremde Diplomaten ...Unsere Auswärtige Politik bleibt nach wie vor einem Ideologen anvertraut, dessen Gerechtigkeitsfanatismus geneigt ist, das eigene Fleisch und Blut zu kurz kommen zu lassen, einem Mann, der für eine Idee, für die Völkerbundidee, gern das deutsche Volk leben und - sterben sähe. Er paßt wundervoll in eine Zeit, in der die Gegner von uns verlangen, daß wir wieder das Volk der Dichter und Denker würden, das Geschäft aber ihnen überließen. Zunächst das Geschäft, uns die Haut vom Leibe zu ziehen. Schon einmal, unter Friedrich Wilhelm IV. gab es solche deutschen Vertreter in London, die vor der Weltgeltung Britanniens erschauerten.

NB: Anspielung auf die preußische Königin und spätere Kaiserin Augusta, deren Verehrung für alles Englische sprichwörtlich war. Sie hasste den Eisernen Kanzler. Auch ihre Schwiegertochter, Spross der Queen Victoria, gehörte zu ihrer Partei und vorübergehend ihr Sohn, der Hunderttagekaiser Friedrich. Als Wilhelm, der spätere Kaiser, die Regierungsgewalt von seinem erkrankten Bruder übernahm, endete der Liberalenspuk. Wilhelm war übrigens als Flüchtling nach der Revolution in London beim preußischen Geschäftsträger, Exzellenz Bunsen, untergekommen und zeitweilig unter seinen liberalen Einfluss geraten..

Die Reichstagssitzung vom 12. März 1921 war der gescheiterten Londoner Konferenz gewidmet, auf der Simons die Gründe für die Ablehnung des Pariser Abkommens über die Höhe der Reparationen durch seine Regierung hatte begründen sollen, was er offenbar aber nicht tat; vier Tage zuvor, nämlich am 8. März, hatten die Alliierten parallel dazu schon Teile der Ruhr militärisch besetzt und die Verwaltung der Provinz unter ihre Kontrolle gebracht und das Scheitern der Konferenz also wohl vorhergesehen.

Berichte von der Reichstagstribüne

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