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Einblick 1 Das Nervensystem
ОглавлениеUnser Gehirn gilt als die „bei Weitem komplizierteste Struktur“1, die im Universum bekannt ist. Die elementaren Bausteine dieser Struktur sind die Nervenzellen – die Neuronen. Geschätzte 100 Milliarden bis 1 Billion davon2 erzeugen die unüberschaubar komplexen Steuerungsfunktionen des Gehirns durch ein wahres Feuerwerk kaskadenartiger Aktivierungen. Tatsächlich spricht man bei einem Neuron, das aktiviert ist und ein Signal weiterleitet, von „feuern“.
Die Neuronen bilden ein Netzwerk, in dem an jedem Neuron durchschnittlich etwa 5000 Verbindungen3 für einlaufende Signale von anderen Neuronen ansetzen. Jedes Neuron arbeitet nach dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“4. Die Summe der einlaufenden Signale entscheidet, ob das Neuron aktiviert wird und „feuert“ oder nicht. Wenn es feuert, leitet es sein Signal über einen auslaufenden Kanal, der sich verzweigen kann, an bis zu 1000 andere Neuronen.5 Solche Aktivierungsvorgänge gehen blitzschnell. Typische Neuronen feuern 5- bis 50-mal pro Sekunde.6
Es werden zwei Arten von Signalen übertragen: Exzitatorische Neuronen senden Signale, die zur Aktivierung anderer Neuronen beitragen, wohingegen inhibitorische Neuronen Signale senden, die zur Hemmung einer möglichen Aktivierung in einem anderen Neuron beitragen. Etwa die Hälfte der Neuronen sind solche inhibitorischen Neuronen.7
Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: Die elementaren Bausteine des Gehirns, die Neuronen, empfangen ständig eine Vielzahl erregender oder hemmender Signale. Die Summe dieser Signale entscheidet, ob das Neuron in Aktivität versetzt wird. Je nachdem ob es sich um ein inhibitorisches oder um ein exzitatorisches Neuron handelt, sendet es im Falle einer Aktivierung über seinen Ausgangskanal ein erregendes oder hemmendes Signal an andere Neuronen.
Die einzelnen Verbindungen zwischen den Neuronen bilden sich und werden erhalten durch die Benutzung der entsprechenden Leitungsbahnen. Dieser Effekt steht hinter dem Lernen und dem Ausbilden von Gewohnheiten. Die Zahl der Verzweigungsmöglichkeiten ist unvorstellbar groß. Doch häufig benutzte Bahnen werden zu breit ausgebauten Verbindungen, welche dann bevorzugt benutzt werden. Nicht genutzte Verbindungen werden abgebaut. Unser Gehirn erlaubt die Entwicklung vielfältiger Möglichkeiten. Die Einschränkungen, die wir in unserem Leben erfahren, entstehen hauptsächlich durch die Art und Weise, wie wir unser Gehirn gebrauchen.
Vieles in unserem Nervensystem wird automatisch gesteuert. Im nächsten Einblick werden wir das menschliche Gehirn als Ergebnis der Evolution betrachten und dabei erkennen, wie verhältnismäßig gering die bewusste Steuerung im Verhältnis zur Gesamtaktivität des Gehirns ist. Dennoch beeinflusst unser bewusstes Verhalten den gesamten Organismus und damit natürlich auch die unbewussten Steuerungsvorgänge im Gehirn. Besonders gut lässt sich dies am autonomen Nervensystem erkennen, das den Körper auf Ruhe oder Aktivität einstellt.
Das autonome – oder auch vegetative – Nervensystem sorgt für die Aufrechterhaltung eines optimalen inneren Körpermilieus.8 Es reguliert unter anderem Herz, Kreislauf und Verdauung9 und besteht aus zwei Teilen: dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem. Der sympathische Anteil dient als Erregungsmechanismus, der den Körper für Leistung, Kampf und Flucht bereit macht. Der parasympathische Anteil wirkt dem entgegen. Er steuert Ruhe und Erholungsphasen, indem er beispielsweise die Vorrausetzung für eine optimale Verdauungstätigkeit schafft. Unsere bewusste Ausrichtung kann eine Balance zwischen Aktivität und Passivität herbeiführen und damit eine heilsame Balance im vegetativen Nervensystem unterstützen. Es kann aber auch beispielsweise durch ein lang anhaltendes überaktives Verhalten eine Art Dauerstress fördern, der mit übermäßiger Aktivierung des sympathischen Anteils einhergeht.
Das vegetative Nervensystem überträgt seine Signale auf die Organe des Körpers. Selbst ist es eng an unser Gefühlsleben (limbisches System10) im Gehirn und damit an ein chemisches Steuerungssystem (Hypothalamus und Nebenniere) gekoppelt.11 All dies sind komplexe, miteinander verbundene Regelkreise. Wir können sie zwar nicht direkt steuern, doch unser Denken und Fühlen beeinflusst sie in indirekter Weise, oft zu unserem Nachteil, indem permanente Unruhe, Angst oder Sorgen ein ungesundes Klima in uns erzeugen.