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1.Gottesdienst als Feier und Kommunikation des Evangeliums

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Im traditionskontinuierlichen Gottesdienst, der mit Agende, Bibel und Gesangbuch gefeiert wird und im Namen des dreieinigen Gottes beginnt, begegnet Jesus als der gegenwärtig wirksame Christus. Von ihm handeln die Choräle und Kirchenlieder, er wird als Kyrios/Herr und Agnus Dei/Lamm Gottes angerufen und als Sohn des Vaters im Credo bekannt, sein Evangelium wird gelesen, gehört und gepredigt, sein Gebet spricht die Gemeinde, durch ihn vollzieht sie Fürbitte, Doxologie und Akklamation. Vor allem die beiden Sakramente sind als seine Stiftung im Vollzug der Feier erkennbar und erfahrbar. Die Taufe folgt dem Taufbefehl und seiner Verheißung, das Abendmahl gestaltet als rituellen Kern die Handlungen der verba testamenti / Einsetzungsworte, die ihrerseits im Zentrum der Liturgie aus- und zugesprochen werden. Schon die reformatorischen Änderungen der Abendmahlsliturgie durch die textliche und rituelle Konzentration auf die biblisch bezeugten Bestandteile – in Luthers Deutscher Messe z. B. durch die ungewöhnliche Abfolge von Brotwort und sofortiger Austeilung, Kelchwort und Austeilung, in der reformierten Tradition durch die Verwendung von Brot statt Hostien – unddie Kritik am Canon Missae/Messkanon verdankten sich dem starken Impuls, die biblische Ursprungssituation aufzunehmen und den Bezug auf Jesus als den Herrn und Geber des Mahles zu gestalten.

Der evangelische Kirchenraum bleibt bei aller Varianz auf das Kreuz und die Bibel ausgerichtet und markiert schon vor dem liturgischen Gebrauch, aber nicht unabhängig von ihm, die Heiligkeit des Raumes, seine Ausrichtung und Bezogenheit auf das Wort Gottes und das Heilsgeschehen.4 Die erstaunlichen Erfahrungen der zahlreichen Offenen Kirchen bestätigen die Sehnsucht vieler Menschen nach besonderen Räumen und ihren spirituellen Botschaften. Hieran knüpfen nicht wenige theologische Kirchenführungen an,5 die gerade in Zeiten, in denen vermehrt Kirchen entwidmet und verkauft werden, besonders notwendig sind.

Das Kirchenjahr schließlich ist zur Hälfte Christusjahr. Von Advent bis Pfingsten wiederholt es feiernd die Heilsgeschichte und zielt auf die feiernde Partizipation als Teilhabe und Teilgabe, die der Gemeinde und dem Einzelnen gilt. Die besonders hohe Beteiligung, die Gottesdienste zur Christnacht und zur Osternacht vielerorts aufweisen, sind kaum mit einem Event- oder Happeningcharakter zu erklären; vielmehr begegnet man hier dem Heilsgeschehen, allerdings nicht nur in kognitiver Weise, sondern mit vielen Sinnen.6 Auch die großen, im Kirchenjahr verankerten Konzerte und Musikgottesdienste vom Weihnachtsoratorium zu den Passionen, vom Oster- und Himmelfahrtsoratorium zu den Kantaten bieten Raum für Christusbegegnung, der nicht nur, aber auch jenseits kirchlicher Milieus Zuspruch findet, wenn die ästhetische und die theologische Qualität stimmig sind.7

Die sog. alternativen Gottesdienste gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen, z. B. in missionarisch-evangelistischer wie in kulturbezogener oder in gemeinschaftsintensiver Ausrichtung.8 In ihren Formen und Gestaltungen haben neue Musik, neue Medien, aber auch neue Rollen, wie z. B. die des Moderators am Bistrotisch, eine wichtige Funktion und legen gleichzeitig ein größeres Gewicht auf Partizipation und Leiblichkeit.9 Bei den Gestaltungen alternativer Gottesdienste muss besonders beachtet werden, wie der Christusbezug, den ja die liturgische Tradition auf unterschiedlichen Ebenen verwirklicht hat, in Wort und Feier sich ereignen kann und Form wie Inhalt prägt.

Aus dieser kleinen Skizze geht bereits hervor, wie vielfältig im Gottesdienst Jesus als Christus begegnet bzw. kommuniziert und gefeiert wird. Das wechselseitige Kommunikationsgeschehen, das Luther in die Kurzformel von Wort und Antwort kondensierte,10 also unser Reden zu ihm als durch sein Reden zu uns ermöglicht darstellt, gewinnt im gottesdienstlichen Geschehen vielfache Darstellung. Deren systematische Pointe ist die Einsicht in die personale Gegenwart Christi.11 Als Person und nicht als formales höchstes Prinzip oder als Bewusstseinsinhalt redet er zur Gottesdienstgemeinde in vielfältigen Medien, und sie antwortet ihm. Als Person bleibt er ein unverfügbares, freies und unabhängiges Gegenüber, das »durch seine Gegenwart die Gegenwart Gottes für uns kommunikativ zugänglich«12 macht und trinitarisch erschließt.

In der reformierten Lehre vom dreifachen Amt, die in neuester Fortschreibung nicht ein an Begriffen orientiertes Lehrsystem bietet, sondern das Wirken Christi mit den Seinen biblisch, systematisch und praktisch beschreibt, kann das munus sacerdotale Christi / priesterliche Amt Christi13 auch liturgietheologisch fruchtbar werden: In der ständigen Bezogenheit auf das Priestertum aller Getauften und ihr Gottesdienstfeiern – und nicht auf ein Weihepriestertum von Amtsträgern – zeigt die priesterliche Gegenwart des Auferstandenen ihr Proprium, und zwar gleichzeitig mit inhaltlicher Prägnanz. Personal geprägte Relationalität und inhaltliches Profil sind die beiden Bestandteile christologisch gestalteter Liturgie.

Das inhaltliche Profil zeigt sich zunächst in den gottesdienstlichen Grundvollzügen, die die biblische Tradition dem Auferstandenen zuschreibt: Erschließung der Schrift (vgl. Lk 24,25–27), Friedensgruß (Lk 24,36; Joh 20,19.26), Taufe (Mt 28,19b), Abendmahl (Lk 24,30 f. – dies allerdings in bleibender Verbindung mit der Nacht des Verrats) und Sendung zu den Menschen (Mt 28,19 f.) – eine »Polyphonie der gottesdienstlichen Existenz«,14 die gleichzeitig die Wirklichkeit des Auferstandenen bewahrt und dynamisch weiterführt.

Besonders bei Taufe und Abendmahl ist dann das inhaltliche Profil christologisch begründet und gleichzeitig von enormer praktischer Auswirkung. Die Taufe ist Herrschaftswechsel, Lebensgemeinschaft mit Christus und Inanspruchnahme für das Reich Gottes15 und daher seit den Anfängen kirchlicher Praxis das ständige Movens zur Kritik an menschlicher Herrschaft und Gruppenbildung (vgl. auch 1Kor 1,12 f.), zu Freiheit und Gleichheit (vgl. Gal 3,28), zur Freundschaft mit Christus und zur tätigen Nachfolge (Joh 3,5; 15,12–17).

Im Zentrum des Abendmahls steht die Anamnese Christi, also das Gedächtnis an sein Leben, seinen Tod und seine Auferweckung. Dies wird nicht vollzogen als verinnerlichtes, rein kognitives Gedenken, sondern als erneuerte Inkraftsetzung, die durch die Zeiten weiterwirkt und weitergetragen wird.16 Die Feier des Mahles verbindet das Gedächtnis Christi mit der Doxologie des Schöpfers und der Bitte um das Wirken des Geistes – liturgisch in den Abendmahlsgebeten exemplarisch gestaltet – und lässt die Gemeinde ihre Einheit und Gleichheit als Beschenkte erfahren – liturgisch gestaltet im gemeinsamen Friedensgruß und in der gemeinsamen Kommunion. Dies eröffnet eine Intensivierung sowohl der Christusgemeinschaft als auch der Nächstenliebe und Diakonie: Die Kommunikanten sind im Glauben der Gegenwart Christi gewiss und ihnen wird sein Tod und seine Auferweckung als Wahrheit ihres eigenen Lebens zugesprochen und mit Brot und Wein zugeeignet; als Glieder am Leib Christi sind sie in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit füreinander und miteinander Kirche und zu allen Menschen gesandt. Dieser Zusammenhang kommt in poetischer Weise in vielen Abendmahlsliedern des Evangelischen Gesangbuches zum Ausdruck und prägt und bildet dadurch wiederum gegenwärtige Abendmahlsfrömmigkeit.17

Gottesdienst als Feier und Kommunikation des Evangeliums ist ein ebenso vielfältiges wie bezugsreiches und ein, rezeptionsästhetisch gesehen, offenes Kunstwerk. Es ist christologisch und trinitarisch fundiert und erhält daraus wesentliche inhaltliche Prägungen wie Gestaltungen. Die können auch den Freiraum bieten zur Integration neuer Feierformen und Gebete, deren Sprachgestalt nicht ausgeprägt christologisch ist,18 wie es beispielsweise das Evangelische Gottesdienstbuch und andere neuere Agenden vorführen, indem sie neue Texte und Gebete gleichberechtigt berücksichtigen19 und somit in allen Gebetsgattungen (Vorbereitungsgebet und Schuldbekenntnisse, Kollekten- und Eingangsgebete, Fürbitten, Abendmahlsgebete mit Präfation, Postsanctusgebet, Epiklese) eine reiche Auswahl aus Tradition und Gegenwart bieten, die der Entdeckung und Gestaltung von Liturgie als Gebet dienen soll.20

Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens

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