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5. Christus und Kultur

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Unüberschaubar vielfältig und in der Fülle unabweisbar ist Christus auch außerhalb der Kirchen ein Kulturfaktor. In Musik, Malerei, Film, Theater, Literatur ist Christus Thema und Objekt, in unscheinbaren Formen der Alltagskultur, des Brauchtums, der Freizeitgestaltung nicht selten indirekt prägend.

Freizeitgestaltung, Brauchtum und Alltagskultur orientieren sich im Jahreszyklus an den Hauptfesten Weihnachten und Ostern und lassen – unauflösbar verbunden mit Kitsch, Kommerz und Kunst – in Zeitungen, Illustrierten, Fernsehprogrammen, durch Dekorationsangebote und auf Weihnachtsmärkten christliche Traditionen und Relikte öffentlich erkennbar werden. Dies betrifft selbstverständlich auch das kirchliche Christentum und die einzelnen Christen69 und zeigt sich relativ immun gegenüber gut gemeinter theologischer Aufklärung; dies ist zumindest insoweit nicht verwunderlich, als die Frage, wem Weihnachten gehöre, historisch schon zu Beginn der kirchlichen Festpraxis auftaucht70 und die seit dem 19. Jahrhundert einsetzende bürgerliche Weihnachtsfestkultur ausgesprochen wirkungskräftig war, wofür Schleiermachers »Weihnachtsfeier« ein theologisches71 und Thomas Manns eindrückliche Beschreibung in den »Buddenbrooks«72 ein literarisches Beispiel liefern; dabei erreicht »Weihnachten bei den Buddenbrooks« durch separate Publikationen, Lesungen und Hörbücher auch gegenwärtig ein großes Publikum. Dass die christlichen Festinhalte ausschließlich auf Privates, Familiäres und eine bürgerliche Innerlichkeit zielen, wird man aber – zumindest aus theologischer Perspektive73 – gerade nicht behaupten können, es sei denn, man würde den gesellschaftlichen und öffentlichen Charakter dieses Christusfestes ignorieren.

Krippe und Kreuz prägen in besonders starker Weise die ikonische Präsenz Christi.74 Mit der Krippe verbunden ist die faszinierende Aura des neu geborenen Kindes und der »Heiligen Familie«; das Kreuz schließlich ist seit je in unzählbaren Variationen vom Kircheninventar bis zum Modeaccessoire verbreitet, jedoch längst nicht mehr überall als Christuszeichen erkannt.

In der sog. Hochkultur sind infolge christlicher Kulturprägung seit dem Mittelalter besonders in Musik und Malerei Christusdarstellungen und -dramatisierungen – letztere auch in Gestalt von theatralen und durchaus populären Passions- und Osterspielen vielerorts präsent. Die Christusbilder, die nicht zuletzt infolge des Bilderverbots erst seit dem 3. Jahrhundert in Rom zunächst im Umfeld des Totenkultes in symbolisch-typisierter Form erscheinen, sind dann durch die gesamte Kunstgeschichte ein zentrales Motiv christlicher Kunst, in der Gegenwart auch Gegenstand der Auseinandersetzung, Inszenierung und Performance.75 Durch Ausstellungen in Museen, Kirchen und insgesamt im öffentlichen Raum erzielen sie Wirkung. Bibelausgaben, die seit der Reformation nicht selten illustriert wurden – bereits Luthers Septembertestament von 1522 beinhaltete Holzschnitte von Lucas Cranach –, aber neuerdings durch Aufnahme und Wiedergabe gegenwärtiger Kunst deren Funktion als bloße Illustration überwinden, sind entsprechend kulturprägend. In diesen Kontext gehören auch afrikanische und asiatische christliche Kunst, die zunehmend wahrgenommen und erschlossen werden76 und erstaunliche christologische Akzente ins Bild setzen.77 Die geistliche Musik prägt ebenfalls den kulturellen Raum, was exemplarisch an den oratorischen Werken Johann Sebastian Bachs erkennbar ist, die seit Mendelssohns Berliner Aufführung der Matthäuspassion 1829 zunehmend die bürgerlich-städtische Musikkultur samt ihren Abonnementkonzerten zu Weihnachten und in der Passions- und Osterzeit prägten78 und dies nachwievor bis heute tun. Ein ästhetisch wie theologisch maßstabsetzendes Beispiel ist hierfür die Berliner Aufführung der Matthäuspassion im April 2010, wiederholt im Oktober 2013, durch die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle als Performance in der Regie von Peter Sellars, die als DVD erhältlich und in der digital concert hall online verfügbar ist. Sie erhebt und verwirklicht im säkularen Raum den Anspruch eines dramatisierten Gebetes und einer Meditation: »It’s not theatre. It’s a prayer, it is a meditation.«79

Diese insgesamt unüberschaubar große kulturelle Präsenz wird man kaum für das kirchliche Christentum reklamieren können, und dass in öffentlichen Räumen (Schulen, Gerichte) christliche Symbole wie das Kruzifix präsent sind, ist bekanntlich heftig umstritten. Andererseits erscheint es nicht notwendig, für die deutsche und die westeuropäischen Gesellschaften die umstrittene These einer »Christophobie«80 heranzuziehen, zumal die damit verbundene konservative Kulturkritik weder den postmodernen Brechungen und Transformationen noch den widerstreitenden Positionen und Erwartungen hinsichtlich des Beitrags der Kirchen zur Wertorientierung noch den häufig zugrunde liegenden, jedoch unzureichenden Säkularisierungsannahmen gerecht wird.81

In der theologischen Deutung ist auch hier die Rede vom munus regium / königlichen Amt in seiner bereits skizzierten Weite angemessen, denn sie überschreitet den binnenkirchlichen Raum und erwartet und orientiert das Handeln der Christen, die nicht »ein Ensemble von Statisten oder ein sein [= Christi, H.S.] Leben und Wirken nur begleitender Chor im Hintergrund«82 sind, sondern die tätigen und verantwortlichen Glieder des Leibes des auferweckten und gegenwärtigen und kommenden Christus.

Ihr kulturelles und gesellschaftliches Handeln und Wirken zielt nicht auf christliche Dominanz oder kirchliche Selbsterhaltung, sondern folgt der Spur Christi zu den Menschen.

Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens

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