Читать книгу Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens - Helmut Schwier - Страница 12
3. Bildung und Unterricht
ОглавлениеIn einer 2009 veröffentlichten Untersuchung hat die ungarische Theologin Mónika Solymár alle Ausgaben und Auflagen des zentralen Religionsunterrichtsbuches »Kursbuch Religion« für die Klassen 5–10 der Jahre 1976–2007 auf deren Christologie hin untersucht. Zusammengefasst lautet das Ergebnis: Bis in die vorletzte Bearbeitungsfolge hinein stand der Mensch Jesus stark im Mittelpunkt der entsprechenden Unterrichtseinheit; Christologie war fast ausschließlich »Christologie von unten« und blieb implizit; erst die »letzte, sechste Bearbeitungsfolge der Kursbücher hat sich hier […] programmatisch darum bemüht, möglichst viele, explizit christologische Inhalte im Sinne des Bekenntnisses ›Jesus ist Christus, der Sohn Gottes, der erwartete und verheißene Messias‹ zu vermitteln«43. Auch andere Untersuchungen kommen zum Ergebnis, dass Jesus eher als vorbildlicher Mensch und bester Freund denn als Gottessohn und Christus unterrichtet wird44 und vor allem die Heilsbedeutung von Kreuz und Auferstehung rand- oder gar abständig bleiben.45
Woran liegt das? Hier sind zwei Ursachen zu benennen, die miteinander in Beziehung stehen. Einmal hat die Religionspädagogik in diesem Bereich die exegetische Fachwissenschaft und deren Boom des historischen Jesus sehr stark rezipiert und gleichzeitig den historischen Jesus als »didaktisches prae« verstanden und propagiert; zum anderen sind die Unterrichtsbücher nicht einfach freie Angebote auf dem freien Markt, sondern sie folgen dem Lehrplan, der beispielsweise in Baden-Württemberg im untersuchten Zeitraum den Weg Jesu im Sinne einer impliziten Christologie abschreitet:
»Es beginnt mit dem Kennenlernen von Jesus und seiner Zeit […] und führt über die Auseinandersetzung mit Jesu Botschaft (Gleichnisse, Wunder, Bergpredigt) zu Jesu Kreuzestod und Auferstehung: Damit wird der historische Jesus zum Messias, der Hoffnung bringt und ein neues Leben ermöglicht«46
Nun zeigen die durchaus vorhandenen neueren empirischen Untersuchungen zur Christologie der Schülerinnen und Schüler keinen einfachen Konsens.47 Auffällig ist aber, dass viele Schüler die Frage nach Jesus als eine christologische Frage sehen: Es geht für sie hier nicht um den historischen Jesus, sondern um die Gottesfrage: »Der Sohn-Gottes Titel und die dahinter stehende Interpretation spielen eine besondere Rolle bei den Christologien von Kindern und Jugendlichen.«48 Eine, auch in empirischen Untersuchungen zur Christologie der Schüler auftauchende Problematik ist der für viele zu abrupte Wechsel zu historischkritischen Jesus-Themen in der Sekundarstufe I, besonders im Gymnasium, wogegen inzwischen von Pädagogen mit Recht votiert wird, auch wenn diverse Bildungspläne das noch nicht widerspiegeln.49
Der Befund ist durchaus überraschend und hinterfragt das genannte »didaktische prae«. Gleichzeitig sind die verschiedenen Entwicklungsstufen der Jugendlichen und deren Fragen an Jesus ernst zu nehmen. Sie stammen vermutlich weniger aus den Titelstorys der üblichen Illustrierten zu Weihnachten und Ostern, sondern aus der Suche und Konstruktion eigener Identität, aus der Freude, andere Weltsichten kennen zu lernen und auszuprobieren, vielleicht auch aus religiöser Neugier. Hier kann Christologie ein kantiges und zur Auseinandersetzung führendes Gegenüber darstellen.
In diesem Bereich besteht also sowohl aus Sicht der Theologie als auch aus Sicht der Pädagogik ein nicht geringer Veränderungsbedarf in den Unterrichtsthemen, in den Lehrplänen und in der Wahrnehmung der religiösen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Dabei ist, zugespitzt formuliert, die Grundbewegung von Jesus zu Christus untauglich; angemessener wäre eine Lernbewegung von Christus zu Jesus zu Christus, die das Gottesthema im Zentrum hat und didaktisch vielseitig entdecken lässt. Hierzu liegen inzwischen durchaus verschiedene Vorschläge vor: Bot in den 1990er Jahren der preisgekrönte Spielfilm »Jesus von Montreal« (franz. 1989; deutscher Kinostart 1990) zum Beispiel der Sekundarstufe II kritische Anstöße zur Auseinandersetzung mit historischer-kritischer Jesusforschung und mit Christologie,50 hatte Michael Meyer-Blanck mit Blick auf damals aktuelle Videoclips und Musikvideos früh für eine Religionsdidaktik votiert, die schülergerecht auch Christologie thematisiert;51 Michaela Albrecht votiert auf dem Hintergrund ihrer empirischen Untersuchung dafür, auch die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu im Unterricht erkennbar und klärend zu behandeln;52 Ingrid Schoberth u. a. entfalten den Frage- und Wegcharakter christologischer Bildung, die am Weg nach Emmaus orientiert bleibt;53 Claudia Gärtner entwirft eine ästhetisch orientierte Christologiedidaktik für die gymnasiale Oberstufe, einschließlich ausgearbeiteter Unterrichtsentwürfe;54 Friedhelm Kraft und Hanna Roose zeigen, wie Christologie als Abenteuer entdeckt werden kann und entwerfen, die Kompetenzorientierung der Bildungspläne kritisch aufnehmend, Unterrichtsbausteine für die 10. Klasse.55 Kindertheologische Einzelbeiträge zeigen schließlich den Aspektreichtum der christologischen Zugänge von Kindern56 und lösen das Thema damit wiederum aus der Einengung auf die Frage nach dem Religionsunterricht in den oberen Klassen.
Das munus propheticum / prophetische Amt umfasst außer der Verkündigungsaufgabe auch die Bildung. Es erfordert nicht nur aus bildungstheoretischen, sondern ebenso aus systematischen Überlegungen die selbstkritische theologische Prüfung, deren Kompetenz nicht nur in Deutschland durch universitäre Ausbildung grundgelegt wird, und eine im interdisziplinären Diskurs sich vollziehende Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit.57 Gerade in diesen Kontexten ist es notwendig, nicht mehr nur über historische Aspekte zu debattieren, sondern Christologie in ihrer theologischen wie kulturellen Ausstrahlung zu erkennen und deren kognitiven, emotionalen, sozialen und handlungsmotivierenden Orientierungsleistungen kritisch zu würdigen.