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3.1Ein Tag an der Freien Waldorfschule Böblingen
Оглавление»Der Sonne liebes Licht
Es hellet mir den Tag;
Der Seele Geistesmacht,
Sie gibt den Gliedern Kraft;
Im Sonnen-Lichtes-Glanz
Verehre ich, o Gott,
Die Menschenkraft, die Du
In meine Seele mir
So gütig hast gepflanzt,
Dass ich kann arbeitsam
Und lernbegierig sein.
Von Dir stammt Licht und Kraft,
Zu Dir ström’ Lieb’ und Dank.«
Das Klassenzimmer mit den hohen Decken der vierten Klasse der Waldorfschule Böblingen ist in einem freundlichen Rosaton gestrichen, auf der Fensterbank stehen viele Pflanzen und in der Ecke ein zur Jahreszeit passend üppig geschmückter Tisch mit einer großen Wurzel, kleinen Filzpüppchen und -tieren, Kieselsteinen und Moos. Frau Hohner, die Klassenlehrerin, hat außerdem ein wunderschönes Gemälde passend zum aktuellen Thema Tierkunde auf die Außenseite der Tafel gemalt. Die Kinder stehen neben den Schulbänken, während sie im Chor diesen Morgenspruch aufsagen. Geschrieben hat ihn Rudolf Steiner und mit ihm beginnen die unteren Klassen aller Waldorfschulen seit der Gründung 1919 jeden Schultag. Er soll das gemeinsame Ankommen ermöglichen, dient als Andacht und Einstimmung auf den gemeinsamen Unterricht.
Jedes Kind hat zusätzlich noch einen Zeugnisspruch, der jedes Schuljahr wechselt und der oft von den Klassenlehrern sehr individuell für das jeweilige Kind ausgesucht oder sogar selbst geschrieben wird. Er dient als Ermutigung und persönliche Lernermunterung für das Schuljahr. Die Kinder dürfen ihren Zeugnisspruch an dem Wochentag aufsagen, an dem sie geboren sind. Heute ist Donnerstag und Mattis ist dran. Er ist seit diesem Schuljahr an der Waldorfschule und hat seinen Spruch erst nach ein paar Wochen bekommen, weil Frau Hohner ihn gern ein bisschen besser kennenlernen wollte. Auch für ihn war diese Wartezeit ganz gut, denn so konnte er zuerst einmal den anderen dabei zusehen, wie sie ihren Spruch allein vor der Klasse vortragen. Nun schaut er selbstbewusst in die Runde und sagt stolz seinen eigenen Spruch auf:
»Ist ein Wassertropfen schwer?
Und erst gar ein ganzes Meer?
Ich sehe auch das Wasser steigen
hinauf zum höchsten Wolkenreigen.
Schwer ist nur, was sich nicht regt.
Leicht ist stets, was aufwärts strebt.«
Direkt im Anschluss beginnt der zweistündige Hauptunterricht, in dem zurzeit die Epoche Tierkunde bearbeitet wird. In einer Woche, wenn Tierkunde abgeschlossen ist, beginnt eine neue Epoche und das große Einmaleins sowie die Grundrechenarten sind wieder dran. Noch aber arbeiten die Kinder fleißig an ihrer Präsentation über ein Tier, das sie sich selbst ausgesucht haben. Felix hat die Königskobra gewählt und bemüht sich, die Informationen, die er über sie zusammengetragen hat, fehlerfrei in sein selbst gestaltetes Epochenheft zu übertragen. Er weiß wirklich alles über die riesige Schlange: Wo sie lebt, wie es dort aussieht, was sie für Feinde hat und wie ihr Verhältnis zum Menschen ist. All das hat er selbst recherchiert. Er war in der Bücherei, hat sich in der Buchhandlung ein eigenes Buch über Schlangen aussuchen dürfen und sich zu Hause ein bisschen im Internet umgesehen. Auf die Zeichnungen, die er von der Kobra und ihrer Umgebung angefertigt hat, ist er mindestens genauso stolz wie auf die langen Texte, die so gut wie keine Rechtschreibfehler mehr aufweisen, nachdem er sie zuerst von Frau Hohner korrigieren lassen und nun all seine Fehler ausgebügelt hat. Die letzte Deutschepoche zeigt Wirkung.
Sein Freund Timo hat sich für den Hund entschieden, aber es gibt auch Berichte über Pferde, Katzen oder Delfine. Jedes Epochenheft ist ein eigenes Lexikon. Kunstwerke sind sie sowieso alle.
Nach dem Hauptunterricht wird die Klasse geteilt. Die eine Hälfte der Klasse hat nun Russisch, während Felix’ Gruppe in den Handarbeitsraum geht. Gerade bei den künstlerischen und handwerklichen Arbeiten können die Kinder besonders gut im Unterricht Gehörtes mit eigenen Erfahrungen verknüpfen und so sehr viel stärker verinnerlichen. »Hier können sie im wahrsten Sinne des Wortes be-greifen«, sagt Hans-Joachim Sennock, Gründer und Lehrer der Freien Waldorfschule Böblingen.
Mit Begeisterung bestickt Laura ein viereckiges Stück Stoff mit bunten Fäden. Ein paar Kinder sind schon mit dem Sticken fertig und bereits dabei, aus dem Stoff ihr eigenes Nadelmäppchen zu nähen. Alle Jungen und Mädchen bringen ihr Werk am Ende stolz mit nach Hause, um es zu zeigen. Dann aber wird es in der Schule wieder gebraucht: Alle Kinder nähen ein Tier. Ob Laura dafür wohl den Eisbär wählen wird, über den sie ihre Tierkunde-Präsentation erstellt hat?
Nun aber wird es wieder anstrengend: Für die eine Hälfte der Klasse steht nun Englisch und für die andere Russisch an. Obwohl Mattis noch nicht so lange an der Schule ist und die anderen drei Jahre Vorsprung haben, kann er schon das russische Alphabet aufsagen und ein paar der schwierigen Vokabeln auch. Vor allem aber freut er sich darauf, bald eine Sprache zu verstehen, die außerhalb der Schule kaum jemand kann.
Zum Instrumentalunterricht in der vierten Stunde kommt die Klasse wieder zusammen. Jedes einzelne Kind hat seine eigene Flöte dabei. Auch hier hat es Mattis nicht ganz leicht. Die anderen machen das schließlich schon seit der ersten Klasse. Mattis ist jedenfalls froh, dass er beim Flöten einigermaßen mitkommt. Viele seiner Klassenkameradinnen und -kameraden spielen zusätzlich noch andere Instrumente: Geige, Bratsche, Querflöte oder Cello. Das Schulorchester hat hier regen Zulauf und bei den Konzerten in der Turnhalle sind meist alle Stühle besetzt. Das Gleiche gilt für den Chor, dessen Darbietung erst neulich wieder die Kirchenbänke im benachbarten Sindelfingen gefüllt hat. Da ist Mattis in seinem Element. Seitdem er hier auf der Schule ist, singt er mit Begeisterung. Freiwillig wäre ihm das vorher nie in den Sinn gekommen.
Musikalisch geht es auch im Eurythmieunterricht zu: Während die Klavierbegleiterin ein klassisches Stück spielt, bewegen sich die Kinder zu einer festgelegten und anspruchsvollen Choreografie. Sie schreiten, drehen sich und bewegen die Arme. Das erfordert volle Konzentration und ist für manche Kinder eine große Herausforderung, obwohl heute noch nicht einmal die langen Holzstäbe weitergereicht oder geworfen werden. »Gerade diejenigen, denen Koordination und Konzentration schwerfallen profitieren von diesem Fach«, sagt Hans-Joachim Sennock. »Aber natürlich ist der Eurythmieunterricht eine großartige Möglichkeit für alle Schülerinnen und Schüler, sich selbst und andere im Raum zu begreifen.« Deshalb bietet die Freie Waldorfschule Böblingen, wie einige andere Waldorfschulen auch, zusätzlich zum Unterricht in der Klasse auch noch »Heileurythmie« als Therapie an. Empfehlungen hierfür spricht der Klassenlehrer oder die Klassenlehrerin in Absprache mit der Schulärztin aus, die insbesondere die neuen Kinder gründlich beobachtet. In Böblingen gibt es außer Heileurythmie außerdem noch Förderunterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen, Sprachgestaltung und Sprachtherapie, Bewegungstherapie, Heilpädagogik und sozialpädagogische Begleitung von Oberstufenschülern und -schülerinnen. Der genaue Blick der Schulärztin sowie die umfangreichen Therapieangebote sind natürlich eine großartige Bereicherung für die Schülerinnen und Schüler, aber auch für die Lehrer und Lehrerinnen an dieser und an vielen anderen Waldorfschulen.
Nach dem Eurythmieunterricht ist Mittag. Viele der Kinder nehmen den Schulbus in die Stadt, einige können nach Hause laufen und ein paar bleiben im Hort.
Die Freie Waldorfschule Böblingen liegt wunderschön auf dem Gelände der ehemaligen Kurklinik, umgeben von Wald und angrenzend an den riesigen Schulgarten, in dem die Kinder ab der fünften Klasse Unterricht in Gartenbau haben. Bevor die Kinder gleich in die Mensa gehen, wo die Entscheidung mal wieder schwerfällt, weil hier grundsätzlich frisch gekocht wird und alles so lecker ist, toben sich die Hortkinder noch ein bisschen aus, spielen Tischtennis und eine Runde Fangen.
Aber auch später, wenn die Hausaufgaben gemacht sind und das Wetter gut ist, werden die Kinder draußen sein. Schließlich muss die Horthütte im Wald fertig gebaut werden und das Lager von gestern ist auch noch nicht so weit, außerdem gibt es da diesen Kletterbaum und überhaupt – schon 15 Uhr?
Bei schlechtem Wetter ist drinnen volles Programm: Basteln, Kerzenziehen, Filzen, Malen oder Brotbacken und noch vieles mehr wird von Herrn Mayer, dem Hortbetreuer, angeboten und von den Kindern gut aufgenommen. Es sei denn, sie sind zu beschäftigt mit den Spielen, die sie sich selbst überlegt haben.
Um 15.30 Uhr ist für alle die Schule aus. Auch Mattis verabschiedet sich von Herrn Mayer und seinen Freunden im Hort, schnappt sich seine Schultasche und nimmt den kleinen Trampelpfad hinter dem Schulgebäude durch den Wald. Den Schulgarten lässt er hinter sich, verlässt das Schulgelände durch das blaue Törchen und steht nur ein paar Minuten später vor seiner Haustür. Singend.