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I. Alleinsteuer- und Vielsteuersystem und das Postulat der Steuergerechtigkeit

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Es kann deshalb nicht verwundern, dass in der Geschichte der Besteuerung die Idee einer Alleinsteuer, sozusagen der Zuteilung einer Steuersumme immer wieder auftauchte. Durchgesetzt hat sie sich freilich nie, weil es keine Steuer gibt, die für sich allein tauglich wäre, den gesamten Finanzbedarf des Staates zu befriedigen. Jede staatliche Steuerrechtsordnung beruht auf einer Vielzahl von Einzelsteuergesetzen, die nicht rational „als System“ geplant und ausgestaltet, sondern Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung sind und deswegen häufig als Konglomerat, manchmal sogar als Chaos bezeichnet werden[2].

Immerhin wird von der Statistik regelmäßig die Belastung eines durchschnittlichen Arbeitnehmers durch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ermittelt. Für Deutschland ergibt sich nach Berechnungen der OECD für 2019 eine Abgabenquote von 49,4 %[3]. Eurostat gibt die Steuerquote (ohne Sozialversicherung) für 2020 mit 30,32 % an[4]. Und der Interessenverband „Bund der Steuerzahler“ hat für das Jahr 2020 errechnet, dass der Steuerzahler im Durchschnitt bis zum 9. Juli nicht für sich selbst, sondern für den Staat gearbeitet habe („Steuerzahlergedenktag“)[5]. Je nachdem, ob man den „typischen“ Steuerzahler oder das Aufkommen insgesamt in den Blick nimmt, kommt man zu unterschiedlichen Werten. Setzt man die gesamten Steuereinnahmen ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), ergibt sich für 2020 eine volkswirtschaftliche Steuerquote von 22,2 %[6].

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Wenn es auch heute niemanden mehr gibt, der die Idee der Alleinsteuer vertritt, so lohnt sich doch ein kurzes Nachdenken über diese „steuerpolitische Utopie“, die vor allem im 17. und 18. Jh Anhänger gefunden hat. Steuerordnungen, die aufgrund kriegerischer und revolutionärer Ereignisse immer mehr zu bloßen staatlichen Zugriffstechniken verkamen, die unaufhaltsame Vermehrung der Steuerarten und die „Eigenmächtigkeiten brutaler Steuerbeamter oder korrupter Steuerpächter“, haben die Idee gefördert, die Vielfalt staatlicher Zugriffsmöglichkeiten durch eine einzige vernunftgeleitete Zwangsabgabe zu ersetzen[7]. Damals wie heute bestach die Idee, dass nur einfaches Steuerrecht gerecht sein kann, da nur einfaches Steuerrecht die Belastung für den Bürger nachvollziehbar macht.

Die entworfenen Pläne waren von utopischer Kühnheit. In Frankreich wurde zB 1649 eine Allein-Abgabe vorgeschlagen, die sich auf einen Sou täglich für alle Wohlhabenden beschränkte. Damals schätzte man, es gebe 6 Millionen Menschen, die diese Steuer zahlen könnten. Man ging davon aus, dass der König jährlich daraus eine Summe erhalte, die sogar den Finanzbedarf überschreite und ihn in die Lage versetze, die Schulden zu tilgen. Der französische Staatswissenschaftler François Véron de Forbonnais soll davon so begeistert gewesen sein, dass er darüber schrieb: „Wenn alle Staatsbewohner Arbeit hätten und wohlhabend genug wären, um nicht nur einen Sou, sondern durchschnittlich 4 Sou täglich zu zahlen, bestände eine ideale Wechselwirkung zwischen Volkszahl, Wohlstand und Staatseinkünften: je mehr Einwohner, desto größere Einnahmequellen; je allgemeiner der Wohlstand, desto leichter die Steuererhebung“[8].

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Die Idee einer Alleinsteuer blieb aus nahe liegenden Gründen Utopie. Kein Staat ist je in der Lage gewesen, auf ein Vielsteuersystem zu verzichten. Gerade der moderne Staat, der eine Vielzahl von Aufgaben an sich gezogen hat, wäre nicht in der Lage, seinen Bedarf aus einer einzigen Steuerquelle zu decken. Die Steuersätze müssten so hoch sein, dass der Steuerwiderstand das Aufkommen gefährden, wenn nicht zunichtemachen würde. Der Staat ist deshalb darauf angewiesen, verschiedene Steuern zu „erfinden“ und aus vielen Steuerquellen zu schöpfen. Wenn aber das Steuersystem zwangsläufig ein Vielsteuersystem sein muss, dann haben sich die wissenschaftlichen und politischen Bemühungen vor allem auf die Gerechtigkeit dieser Steuervielfalt zu konzentrieren. Und tatsächlich hat diese Frage der gerechten Ausgestaltung der Steuern und gegenseitigen Abstimmung der unterschiedlichen Anknüpfungsmerkmale die Finanzwissenschaften, Staatswissenschaften und zuletzt auch die Rechtswissenschaft beschäftigt[9].

Schon die Ausführungen zur Idee der Alleinsteuer zeigen uns aber, dass es nie allein um die gerechte steuerliche Belastung ging. Triebfeder der Idee der Alleinsteuer war auch die Einfachheit, Überschaubarkeit, Akzeptanz und Effizienz. Im Steuerrecht gilt das Paradoxon: Wer nur Gerechtigkeit will, wird sie gänzlich verfehlen. Aufgrund der Vielfalt der Lebensverhältnisse wird er sich verstricken in der Vielfalt möglicher Differenzierungen und damit die Grundlagen des einst als gerecht konzipierten Systems zerstören.

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Dass es bei der Besteuerung nicht allein um die gerechte Belastung gehen kann, hat niemand besser formuliert als der Klassiker Adam Smith. Er hat in seinem 1776 erschienenen Werk „Der Wohlstand der Nationen“ vier Grundprinzipien eines rationalen Steuersystems beschrieben, die heute noch Gültigkeit besitzen: Es sind die Grundsätze der Steuergleichheit, der Bestimmtheit des Steueranspruchs, der Bequemlichkeit und der Effizienz der Steuererhebung[10]. Wenn auch Smith die Steuergleichheit an erster Stelle nennt, so hat er doch erkannt, dass eine funktionierende Steuerrechtsordnung in einem Zielkonflikt steht und nicht allein das Gleichheitspostulat verfolgen darf.

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