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2. Besteuerung des Einkommens

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Die erste Einkommensteuer wurde 1799 in Großbritannien durch William Pitt d. J., der damals Finanzminister (Chancellor of Exchequer) war, eingeführt. Sie enthielt bereits einzelne Einkunftsarten (schedules), Regeln über die Einkünfteermittlung sowie Regelungen, die die subjektive Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen berücksichtigen sollten (Abzug von Unterhaltslasten durch Freibeträge)[33]. Wenn sich die Steuer auch zunächst nicht durchsetzen konnte und bereits zwei Jahre später wieder abgeschafft wurde, so wurde doch bereits 1803 der zweite erfolgreichere Versuch unternommen. Henry Addington, der Nachfolger Pitts, erließ ein geändertes, auf verschiedenen „schedules“ aufgebautes Einkommensteuergesetz, das heute noch die Grundstrukturen des britischen Einkommensteuerrechts bildet[34].

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In Deutschland hat die Herausbildung der Einkommensbesteuerung länger auf sich warten lassen. Zwar wurde in Preußen vier Jahre nach der ostpreußischen Einkommensteuer (1808–1811) 1812 der Versuch gemacht, nach englischem Vorbild eine Einkommensteuer einzuführen, sie wurde jedoch bereits zwei Jahre später wieder abgeschafft[35]. 1820 wurde neben den bestehenden direkten Steuern (Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer) eine Klassensteuer eingeführt, die – um ein Eindringen in die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu vermeiden – die Bevölkerung in Steuerklassen einteilte[36]. Der Gedanke, eine Einkommensteuer zu schaffen, die unabhängig von den gesellschaftlichen Klassen existiert, befand sich jedoch nun im Vordringen. Im Zuge der Revolution 1848/49 erhielt er großen Auftrieb, und ihr Gelingen hätte die Einführung einer modernen Einkommensteuer in Deutschland wahrscheinlich beschleunigt[37].

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1851 trat in Preußen das „Gesetz, betreffend die Einführung einer Klassen- und klassifizierten Einkommensteuer“ in Kraft[38]. Insb in den Staats- und Finanzwissenschaften des 19. Jh wurde die Einkommensteuer als richtige Form der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit lebhaft diskutiert und befürwortet[39], die Arbeiterbewegung in der zweiten Jahrhunderthälfte forderte sie als Instrument der Umverteilung. Bekannt geworden ist die Lassalle’sche Steuerstreitschrift von 1863, in der die Abschaffung der unsozialen indirekten Steuern und die Einführung der Einkommensteuer und Erbschaftsteuer gefordert wird[40]. Im Eisenacher Programm der SDAP von 1869 wurde deshalb auch die „Abschaffung aller indirekten Steuern und die Einführung einer einzigen Einkommensteuer und Erbschaftsteuer“[41] gefordert. In der Finanzwissenschaft hat John Stuart Mill 1848 den Grundsatz der Gleichheit der Steueropfer formuliert, der nur über eine Einkommensteuer realisiert werden könne. Adolph Wagner hat in seiner 1880 erschienenen Steuerlehre den sozialpolitischen Umverteilungszweck der Einkommensteuer betont, die die Einkommens- und Vermögensverteilung korrigieren solle[42].

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Nach einigen Anläufen zur Einführung von Einkommensteuern in verschiedenen deutschen Ländern[43] gelang 1891 in Preußen die Einführung einer Einkommensteuer, die das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verwirklichte und zur wichtigsten Einnahmequelle des Staates wurde. Sie beruhte auf Vorstellungen, die Johannes von Miquel, der damalige preußische Finanzminister, zusammen mit seinem Staatssekretär Bernhard Fuisting entwickelt hatte[44]. Dem preußischen EStG von 1891 lag die sog. Quellentheorie (zu deren Bedeutung im geltenden Recht s. Rn 589, 602) zugrunde[45], dh besteuert wurde nur das Einkommen, das aus vier Quellen, nämlich Kapitalvermögen, Grundvermögen, Handel und Gewerbe sowie gewinnbringender Beschäftigung stammte. Die erwerbsbezogenen Aufwendungen waren bei der Einkommensermittlung abzuziehen (objektives Nettoprinzip). Die existenzsichernden Aufwendungen wurden durch ein in den Tarif eingebautes Existenzminimum berücksichtigt[46]. Mit der Einführung der preußischen Einkommensteuer ging die Bedeutung der indirekten Steuern am Steueraufkommen zurück. Miquel hatte sich gegen Otto von Bismarck, der sich in einer Reichstagsrede im Jahre 1878 als „Feind der direkten Steuern“ bezeichnete, durchgesetzt[47].

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Nach dem Ersten Weltkrieg gingen die Steuerkompetenzen (auch in der Praxis[48]) auf das Reich über. Im Zuge der Erzberger’schen Steuerreform wurde 1920 das erste Reichseinkommensteuergesetz erlassen. Im Gegensatz zum preußischen EStG von 1891 legte es einen erweiterten Einkommensbegriff zugrunde, der eher in Richtung der von Georg von Schanz entwickelten Reinvermögenszugangstheorie[49] (Besteuerung jedes Vermögenszugangs, Rn 601) ging, wenn er diese auch nicht vollständig übernahm. Zum steuerbaren Einkommen gehörten „Einkünfte aus Grundbesitz, aus Gewerbebetrieb, aus Kapitalvermögen und aus Arbeit sowie sonstige Einnahmen ohne Rücksicht darauf, ob es sich um einmalige oder wiederkehrende Einkünfte handelt oder aus welchem rechtlichen oder tatsächlichen Grunde sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind“ (§ 5 REStG 1920). Erwerbssichernde Aufwendungen konnten abgezogen werden. Das Existenzminimum wurde im Tarif berücksichtigt[50]. Für juristische Personen, die im preußischen EStG noch der Einkommensteuer unterworfen waren, wurde die Körperschaftsteuer eingeführt.

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Das Reichseinkommensteuergesetz 1925 begründete die unbeschränkte Steuerpflicht durch Anknüpfung an den Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt statt an die Staatsangehörigkeit (wie noch das preußische EStG). Es erweiterte und präzisierte die Einkunftsarten und machte so wieder einen Schritt in Richtung Quellentheorie[51]. Die Einkommensermittlung erfolgte hier erstmals dualistisch (dazu Rn 599–602). Das Reichseinkommensteuergesetz 1934 enthält bereits wesentliche Grundlagen des heutigen Einkommensteuerrechts. Es kennt sieben Einkunftsarten, unterscheidet zwischen Einkünften und Einkommen, führt den Begriff der Sonderausgaben ein und regelt die Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer als Quellensteuer. Das nationalsozialistische Gedankengut setzte sich erst in den nachfolgenden Änderungen des EStG durch[52].

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Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das EStG vielfältigen Änderungen unterworfen, wobei die Grundstrukturen der subjektiven Steuerpflicht, der Einkunftsarten, der Ermittlung der Einkünfte, der Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen im Wesentlichen unangetastet blieben[53]. Neue Impulse entstehen durch die Europäische Einigung. Zwar enthält das EU-Primärrecht keine ausdrückliche Rechtsgrundlage für eine Harmonisierung der Einkommensteuer, jedoch hat der EuGH Vorschriften des EStG, die die Grundfreiheiten (zB Freizügigkeit) behindern, für unionsrechtswidrig erklärt und auf diesem Wege Änderungen in wesentlichen Bereichen des nationalen Einkommensteuerrechts erzwungen (dazu Rn 215 ff); im Bereich der Körperschaftsteuer (Rn 1251 ff) wird seit einiger Zeit die Einführung einer gemeinsamen europäischen Bemessungsgrundlage diskutiert (dazu Rn 229).

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