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Abenteuer einer Waldameise

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Im Ameisenhaufen herrscht große Aufregung. Aus vielen Kokons schlüpfen junge Ameisen aus. Nur bei einem will es nicht so recht klappen. Alle verfügbaren Arbeiterinnen mussten mithelfen, die Hülle aufzubrechen. Endlich war es geschafft. Klothilde war geboren. Jetzt war sie eine voll entwickelte Ameise. Nur ihr Körper war noch etwas durchsichtig. Erst im Laufe der Zeit würde er so schwarz werden wie bei den anderen. Obwohl sie selbst so jung war, half sie schon mit, die Larven zu füttern. Es machte ihr unheimlichen Spaß. So muss ich wohl auch ausgesehen haben, dachte sie bei sich. Richtige Mutterinstinkte entwickelte sie dabei angesichts dieser hilflosen kleinen Wesen. Später durfte Klothilde dann auch Nadeln und Zapfen für den Ameisenhügel herbeischaffen. Langsam begann sich ihr Körper nun auch schwarz zu färben. Das Durchsichtige verschwand immer mehr. Wohl auch ein Zeichen dafür, dass man sie nun für Arbeiten heranziehen konnte, die nicht gerade so beliebt waren. Wie z.B. das Entfernen der toten Tiere aus dem Bau. Irgendwie war ihr das Ganze etwas unheimlich. An so einem Tag hatte sie daher auch nur sehr wenig Appetit.

Klothilde war nun schon ein Jahr alt. Der Winterschlaf hatte ihr neue Kräfte gebracht. Sie streckte und räkelte sich. Heute war für sie ein besonderer Tag. Sie würde das erste Mal auf Außenarbeiten mitgenommen werden. Noch nie hatte sie ihr Zuhause verlassen. Sie war schon ganz aufgeregt. Diesmal ging es um Nahrungsbeschaffung. Es galt, einen toten Hirschkäfer herbei zu transportieren. Allein hätte sie das sicher nicht erledigen können. Doch sie hatte ja viele Freunde und Mitarbeiter. Mit vereinten Kräften landete der Käfer dann endlich im Bau.

Doch es ging nicht immer so friedlich zu. Eines Tages herrschte große Aufregung, weil plötzlich ein Riesenloch in ihrem Hügel klaffte. Ein Kind hatte es aus purer Zerstörungslust verursacht. Für die Ameisen bedeutete das jedoch fast eine Naturkatastrophe. Alle Arbeiten wurden liegen gelassen. Die ganze Energie wurde jetzt für die Reparatur des Loches gebraucht. Volle zwei Stunden dauerte es, bis der Schaden wieder behoben war. Wenn es in dieser Zeit geregnet hätte, wäre ihre ganze Brut vernichtet gewesen. Aber sie hatten auch noch andere Feinde. Wie z.B. den Specht. Wahllos pickte er in ihren Haufen hinein und erkor sich mal diese, mal jene Ameise als Leckerbissen aus.

Langsam jedoch fragte sich Klothilde, ob das wohl alles wäre, was das Leben zu bieten hatte. Fressen, Arbeit, Lieben, Kinder kriegen, schlafen, Angst vor Feinden, vor Zerstörung. Da musste es doch noch etwas Anderes geben. Aber so viel sie auch fragte, überall bekam sie nur eine ausweichende Antwort. Und manchmal wurde sie sogar sehr heftig kritisiert. Sie solle doch froh sein, dass alles in Ordnung war, dass sie genug zu fressen hatte, dass sie in einem Clan lebte, von dem sie aufgenommen und akzeptiert wurde usw. usf.

Klothilde wurde unsicher. War sie vielleicht wirklich undankbar? Sicher war es angenehm, alles zu haben was man so brauchte und Schutz und Fürsorge zu genießen. Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie nicht mehr so ganz dazugehörte. Ihre neue Mentalität schaffte eine immer größere Kluft zu den anderen Ameisen. War es nur eine Illusion von ihr oder gab es tatsächlich diese andere Welt? Sie wusste es nicht. Aber sie konnte wohl mit niemanden darüber sprechen. Sie wollte auch keinen weiteren Versuch mehr wagen. Es würde sie sowieso keiner verstehen. Sie musste es jedoch unbedingt herausfinden, was es damit auf sich hatte. Körperlich war sie zwar noch anwesend, aber ihre Gedanken beschäftigten sich je länger, je mehr mit jener anderen Welt. Bei Außenarbeiten kam sie jetzt meist als letzte zurück. Sie blieb auch immer länger aus. Bis sie eines Tages den Mut hatte, nicht mehr zurückzukehren.

Das Abenteuer hatte begonnen. Würde sie jene geheimnisvolle Welt entdecken, die nun schon so lange in ihrer Vorstellung existierte? Ein wenig Angst hatte sie schon. Aber sie wusste jetzt. Es durfte kein Zurück mehr geben. Ob die anderen wohl vermissen würden? Warum dachte sie eigentlich darüber nach? Alle diese Herden-Ameisen bedeuteten ihr doch nichts mehr. Folglich konnte es ihr auch gleichgültig sein, ob noch jemand an sie dachte.

Ihr Weg führte über Moos, Gräser, Steine, Nadeln. Immer weiter entfernte sie sich von ihrem ursprünglichen Zuhause. Manchmal war sie völlig durchnässt, weil es stundenlang regnete. Aber dann gab es wieder Tage, wo ihr ganzer Körper von der Sonne durchwärmt wurde. Das war dann eine reichliche Entschädigung für die ständige Nässe.

Am Morgen, wenn der Tag begann, schaukelte sie für gewöhnlich auf einem Grashalm. An seinem Ende befand sich ein Tautropfen, der in vielen Farben das Licht der Sonne widerspiegelte. Und auch ihr Körper begann nun zu funkeln und zu leuchten. Für gewöhnlich ließ sich Klothilde dann auf feuchtes Moos hinuntergleiten. Ihre Beinchen und Fühler wurden dabei sanft massiert. Hin und wieder traf sie unterwegs auch mal vereinzelte Ameisen. Sie gingen dann öfter ein Stück gemeinsam. Diese haben zwar auch den Aufbruch in die Freiheit gewagt. Aber irgendwie schaffen sie es nicht, diese Einsamkeit zu verkraften. Fast alle waren auf der verzweifelten Suche nach einem neuen Ameisenbau, um wieder in einer Art Scheingeborgenheit unterzutauchen. Klothilde war sehr traurig darüber. Gab es denn keine einzige Ameise, die so dachte wie sie? Ja, es stimmte, hin und wieder litt sie auch unter diesem Alleinsein. Aber um nichts auf der Welt würde sie zu dieser Lügerei und Scheinheiligkeit zurückkehren wollen.

Viele Monate waren nun seit ihrem Entschluss, eine bessere Welt zu suchen, vergangen. Hatte sie nun tatsächlich das bessere Leben gewählt? Ab und zu überkamen Klothilde schon noch Zweifel darüber.

Aber wenn sie fallweise bei anderen Ameisenhügeln vorbeikam, dann wusste sie, dass sich in ihr ein Springbrunnen der Freude, Zufriedenheit und manchmal sogar des überschäumenden Glücks seinen Weg gebahnt hat.

Mond küsst Sonne

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