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Beinahe alles erreicht

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Emil stand am Fenster seiner Zweizimmerwohnung im Hansaviertel. Endlich läutete es. Hastig dämpfte er die Zigarette im Blumenbeet aus und eilte zur Tür.

"Hallo, Emil, schön, dass du uns eingeladen hast!" Das war Friedrich, der Sprecher der Gruppe.

"Aber ich bin doch froh, dass ihr gekommen seid. Darf ich euch weiter bitten?"

Die drei Gäste folgten Emil in ein großes Wohnzimmer, das durch die Bibliothek, die hauptsächlich aus seltenen alten Werken der Naturwissenschaft bestand, etwas überladen wirkte.

"Sag mal, Emil, hast du gestern diese Parlamentsdebatte im Fernsehen verfolgt?" schaltete sich nun Günter ein.

"Tut mit leid, da kann ich nicht mitreden, ich habe keinen Fernseher!"

"Du machst wohl 'nen Witz!"

"Nein, nein, das ist mein Ernst. Warum sollte ich mir so eine Kiste anschaffen, wenn ich sowieso nie schaue."

Emil spürte, dass die anderen ihn für leicht verrückt hielten, aber es störte ihn nicht. Mit 1,75 m Körpergröße und 78 Kilo Lebendgewicht war er noch immer eine stattliche Figur, auf die er stolz sein konnte. Nur seine dunkle Haarpracht, in der sich ein immer größeres Loch bildete, machte ihm ein wenig Sorgen.

"Also, Emil, wir gratulieren dir zu deinem 50. Geburtstag!" Johannes stand auf und erhob sein Weinglas. "Und zur Beförderung zum Oberstudienrat. Prost allseits!"

Als Emil das Geschenk auspackte, konnte er seine Verwunderung kaum verbergen.

"Aber das ist genau das Buch, das ich seit einem halben Jahr verzweifelt gesucht habe! Wo habt ihr das aufgetrieben?"

"Tja, das ist unser Geheimnis"! kam es von allen dreien. Emil wollte gerade die Kostbarkeit aufs Regal legen, als Berta, die Bedienerin, mit einem Tablett voll Likören hereinkam, die jedoch gleich darauf im Aquarium landeten. Durch die heftigen Wellenbewegungen schwappte es auch einen Fisch auf den Teppich.

"Mein armer Maxi! Wie können Sie nur so unachtsam sein! Sie werden ihn jetzt sofort unterm Rosenstrauch begraben!"

"Da kann i aber nix dafür! Aber bittschen, wie Herr Professor befehlen!"

Wenn seine Mutter noch gelebt hätte, wäre das sicher nicht passiert. Sie war so feinfühlig und vorausblickend. Hing wahrscheinlich damit zusammen, dass sie Kindergärtnerin gelernt hatte. Ein Glück, dass sein Vater, der Angestellter bei der Staatsbehörde war, nicht mehr

wusste, dass er in Hamburg und Berlin Mathematik, Physik und Chemie studiert hatte. Er wollte immer einen Arzt aus ihm machen.

Seine Kollegen waren längst gegangen. Er war wieder allein. Nicht nur jetzt. Er war Einzelkind, blieb unverheiratet und hatte niemals richtige Freunde. Zwanzig Jahre war er nun am selben Gymnasium beschäftigt, aber langsam bezweifelte er, ob das alles war, was das Leben zu bieten hatte.

Mond küsst Sonne

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