Читать книгу Mond küsst Sonne - Henriette Pascher - Страница 5
Alltag eines Computers
ОглавлениеHallo, lieber Leser, darf ich mich kurz vorstellen: Ich bin Kunibert, der Unentbehrliche. Ich speichere und verwalte Daten, die mir mein Benützer eingibt. Eigentlich möchte ich noch gerne eine Weile vor mich hindösen, aber mein Hohlkopf ist ja so schrecklich diensteifrig und muss unbedingt um halb sieben zum Arbeiten anfangen.
Amtsrat Mäuseschreck kramte umständlich in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel, schloss die Tür zu seinem Bürozimmer auf, hängt seinen eleganten Mantel in den Garderoben-Schrank und ließ sich erschöpft auf seinen Sessel fallen.
Nachdem er mich brutal von meinem Halbschlaf in den Wachzustand befördert hat, blieb mir wohl nichts anders übrig, als auch mit der Arbeit zu beginnen. Wie oft habe ich diesem Glatzkopf schon gesagt, er solle sich ein Beispiel an seinen Kollegen nehmen, die alle erst um halb acht oder acht Uhr anfangen. Aber glauben Sie, er hört auf mich? Wissen Sie, was er gesagt hat? "Ich werde doch nicht ein schlechtes Beispiel nachahmen!" Als ob seine menschlichen Kollegen wichtig wären! Mit mir muss er doch den ganzen Tag zusammenarbeiten! Aber ich werde ihm schon noch zeigen, wer der Herr im Hause ist!
Mein Gott, bewegt sich der Blechtrottel heute wieder langsam, dachte sich der Beamte und blätterte gelangweilt die Kronenzeitung durch, während er sich sein Wurstbrot schmecken ließ. Dann unterbrach das schrill läutende Telefon seine genüssliche Frühstückspause. Kollege Hasenfuß meldete, dass er wegen Grippe auf unbestimmte Zeit in den Krankenstand zu gehen gedenke.
"Also, lieber Kubiert, nachdem uns mein Mitarbeiter im Stich gelassen hat, haben wir ab heute verstärkten Arbeitseinsatz!"
"Was heißt hier wir? Ich muss wohl mehr leisten. Du fütterst mich bloß mit Daten, und ich darf dann rechnen, nicht wahr?"
Bereits um neun Uhr machten sich die ersten Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Das äußerte sich darin, dass ich nicht mehr so schnell denken konnte. Aber statt mir eine Ruhepause zu gönnen, malträtierte dieser Nacht- und Nebelschreck weiterhin meine Tastatur.
"Wann wirst du endlich lernen, mich so zu behandeln, dass es für uns beide zufriedenstellend ist?"
Herr Mäuseschreck zündete sich aus Nervosität eine Zigarette an. Eigentlich wollte er sich ja das Rauchen abgewöhnen. Aber wenn ihn der Computer zu Zwangspausen verdonnerte, musste er sich ja die Zeit irgendwie sinnvoll vertreiben.
Nachdem meine Erholung nun schön länger als zehn Minuten dauerte, begann mein Benützer an meinem Bildschirm unsanft hin und her zu rütteln.
"He, lass das gefälligst bleiben! Du verursachst mir dadurch eine Platinen-Erschütterung!"
Just in dem Moment kam Mäuseschrecks Chefin, Frau Amtsdirektor Kalteis ins Zimmer.
"Herr Kollege, darf ich aus ihrer Rauchpause schließen, dass auch ihr Computer nicht funktioniert?"
Ein süffisantes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
"Ach, übrigens, dass ich nicht vergesse: Herr Brettschneider hat angeblich schon drei Mal die Erledigung seines Kaufvertrages urgiert!"
Herr Mäuseschreck suchte sofort den entsprechenden Akt aus dem Schrank, sah jedoch keinen diesbezüglichen Vermerk. Das konnte jetzt stimmen oder auch nicht. Vielleicht wollte ihn die Schreckschraube nur kontrollieren? Aber wie soll man schließlich produktiv sein, wenn der Kubiert ständig seine An- und Ausfälle hat?
"Ah, mein Schlau-Kopf, gut so, die ersten Anzeichen sind schon da, dass du mich als deinen Herrn und Gebieter anerkennst! Nun sei so freundlich, beende mein derzeitiges Programm und starte dann wieder von vorne. Dann ist nämlich meine Erholungsphase komplett und wir können wieder optimal zusammenarbeiten. Das willst du ja, nicht wahr, mein Sklave?"
Nach einer halben Stunde klaglosen Dauereinsatzes - ohne dass mir ein Lob dafür zuteil wurde - erscheint vor meinem Bildschirm Frau Süßraspel.
"Herr Kollege, sind Sie so nett und schauen Sie mir bitte nach ob der Akt 128.623/00 schon erledigt ist? Mein Computer streikt nämlich gerade."
Meine Güte hat diese Frau Gefühl in der Stimme. Wenn ihre Hände wohlig weich auf meinen Tasten liegen würden, könnte ich mich doch glatt in sie verlieben. Und da hätte ich auch sicher nicht so viele Pausen, wie bei meinem kratzborstigen Idioten.
"Ach, Frau Süßraspel, wenn Sie schon da sind: Ich hätte da eine Frage: Wie merkt man einen Zustellbevollmächtigten an?"
"Da müssen Sie in die Maske G 62 wechseln!"
"Und wie macht man das?"
"Darf ich?"
Und schon berührte sie mit ihren Zauberfingern meine Tasten. Was soll ich Ihnen sagen? Ein Wonneschauer lief durch meine Drähte hindurch. Ich glaube, so intensiv hat mein Bildschirm noch nie geleuchtet.
Farblose Kunden und uninteressante Telefonate wechselten einander ab, bis plötzlich ein Schrei aus dem Nebenzimmer ertönte. Herr Mäuseschreck sprang sofort auf und schaute nach, was passiert war.
Herr Hammerschmied, eine regelmäßige, amtsbekannte Persönlichkeit, lag mit seinen zwei Metern Körpergröße am Boden ausgestreckt und gab ein paar unanständige Flüche von sich.
"Sind Sie verletzt? Soll ich Ihnen helfen?"
"Danke, es geht schon. Ich habe leider diese blöde Türstaffel übersehen!"
Mühsam versuchte er sich hochzurappeln und wäre dabei fast im Schoß von Frau Süßraspel gelandet. Ob absichtlich oder unfreiwillig wird von Amts wegen wohl immer ungeklärt bleiben.
Während Frau Süßraspel Herrn Hammerschmied abfertigte, begab sich Herr Mäuseschreck in die wohlverdiente Mittagspause, die er täglich von zwölf bis halb eins konsumierte.
Aber gerade in dieser Zeit habe ich meinen biologischen Über-Drüber-Rhythmus. Man verdammt mich damit zu einem ungewollten Nichtstun. Aber warte nur, Mäuseschreck, wenn du zurückkommst, werde ich es dir schon heimzahlen!
Um ca. dreizehn Uhr wanderten dann ein paar Vertreter von der Firma Mac. Kinsey durch die Amtsräume, um festzustellen, ob die Arbeitsweise der Beamten effizient genug ist, oder ob es vielleicht doch ratsam wäre, einige Mitarbeiter umzuschichten, das heißt in andere Finanzämter zwischen- oder einzulagern.
"Seid ihr schon alle verrückt geworden? Von mir hängt es schließlich ab, ob ihr schnell oder langsam arbeiten könnt. Habt ihr das noch immer nicht kapiert, ihr hirnlose Bande?"
Wisst ihr was, Leute, jetzt bin ich so richtig in Hochform. Mein dämlicher Benutzer offenbar nicht. Wahrscheinlich braucht er sein Hirn für die Verdauung. Dateneingabe erfolgt nur äußerst langsam. Ich hasse dich, du dämlicher Wasserkopf. Es wird wohl das Beste sein, wenn ich für eine Weile überhaupt nichts mehr annehme.
Mitteilung am Bildschirm: Fall wird derzeit bearbeitet.
Hihi, Rache ist süß!
Kunibert, du hast wohl nicht alle Kabel im Schrank! Der Fall wird von mir bearbeitet und nicht von irgendeinem x-beliebigen User. Also bitte sei so gut, und lass mich weitermachen."
Kein Kommentar!
Mäuseschreck blies mir den Rauch seiner Zigarette in den Bildschirm, sodass meine Aussicht kurzzeitig getrübt war. Anschließend begab er sich auf die Herrentoilette, um die Stummel zu entsorgen und Wasser abzulassen.
Kaum hatte sich der Dunst einigermaßen verzogen, spürte ich etwas über meine Gehäuseoberfläche krabbeln. Gleich darauf schaukelte irgendetwas Langes, Dünnes vor meinem elektronischen Auge hin und her. Mal kitzelte es, mal schlug es kräftig auf mich ein.
"He, hör damit auf, du tust mir weh! Außerdem könntest du mein Gesicht beschädigen. Hilfe! Ist denn keiner da, der mich von diesem Ding da befreit?"
"Also Herr Amtsrat, ich bin ganz entsetzt, dass es in ihrem Amt Mäuse gibt!" empfing Frau Ixtenmayer, eine langjährige Stammkundin, Herrn Mäuseschreck vor der Tür.
"Aber ja, natürlich, seit mindestens dreißig Jahren schon, das ist nichts Neues!"
Wie konnte man sich über so harmlose, niedliche Tierchen nur so aufregen! Typisch Frau!
"Aber … das … ist ja wirklich eine Maus Igitt!"
Seine Computeraugen weiteten sich vor Schreck.
Das Mäuschen drehte sich inzwischen um und starrte nun ebenfalls ganz verdattert in vier Augenpaare. Dann machte es einen Satz auf den nächsten Computer, von dort auf die Tastatur, dann auf den Fußboden, um schließlich hinterm Aktenschrank zu verschwinden.
Ein Krisenrat wurde einberufen. Die einen meinten, die Maus würde schon wieder dorthin verschwinden, wo sie hergekommen war. Die anderen ließen verlauten, man könne es unmöglich dulden, dass so ein hässliches Tier die Computer für seine Spaziergänge zweckentfremdet.
"Ja, der Meinung bin ich auch!" ließ sich Kunibert vernehmen.
Man entschied sich, den Vorschlag des PCs anzunehmen.
Kollege Schwingenschlögl vom Hause - er war immer stolz auf seine hüftlangen Haare, die er zu einem Rossschwanz zusammengebunden hatte - war bekannt als unerschrockener Mäusefänger, nahm die etwas peinliche Angelegenheit in seine unerschrockenen Hände. Bald war die Maus in eine Schachtel verfrachtet und wurde von Herrn Schwingenschlögl höchstpersönlich zum Donaukanal befördert, wo unser Mäuschen ein völlig neues Leben beginnen durfte.
"He, Mäuseschreck, wenn du schon nicht arbeiten kannst, dann starr mich wenigstens nicht untätig an! Schalte mich ab, damit ich schlafen kann und morgen wieder ausgeruht bin!"
Doch der Herr Amtsrat stand noch unter dem Schock des ekligen, haarlosen Schwanzes.
"Tja, liebe Leute, wenn ich nicht Selbstmord begehe - Pardon, wollte sagen, wenn ich nicht irgendwann meine Drähte durchschmoren lasse - könnt ihr euch auch in Zukunft über mich freuen oder ärgern, je nachdem, ob ihr mich gut oder schlecht behandelt."