Читать книгу 1919 - Herbert Kapfer - Страница 24
Die deutsche Flagge ist um 3,57 nachmittags niederzuholen
ОглавлениеAm 10. November war in Wilhelmshaven bekannt geworden, daß mit den Ententemächten der Waffenstillstand zum Abschluß gelangt sei. Die Kriegsschiffe der deutschen Hochseeflotte, welche die Alliierten und Vereinigten Staaten bezeichnen, werden sofort abgerüstet und alsdann in neutralen Häfen oder in deren Ermangelung in Häfen der alliierten Mächte interniert. Die Bezeichnung der Alliierten erstreckt sich auf: 6 Panzerkreuzer, 10 Linienschiffe, 8 kleine Kreuzer (davon 2 Minenleger), 50 Zerstörer der neuesten Typen. Alle zur Internierung bezeichneten Schiffe müssen bereit sein, die deutschen Häfen sieben Tage nach Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages zu verlassen. Die Reiseroute wird ihnen durch Funkspruch vorgeschrieben. Die Nichterfüllung der Waffenstillstandsbedingungen würde von den Alliierten mit der Besetzung von Helgoland beantwortet werden. Einige Tage später wurde in Wilhelmshaven verbreitet, daß auch die der Nordseeflußmündungen angedroht sei.
Für die Abrüstung und für die Überführung mußten die Offiziere der Schiffe, die sich bis auf wenige Ausnahmen infolge ihrer Ablehnung durch die Mannschaften oder bei dem Hissen der roten Flagge von Bord begeben hatten, wieder in ihren Dienst eingesetzt werden. Voraussetzung war, daß ihnen ein gewisses Maß an Autorität zugesichert werden konnte, daß die Mannschaften nicht weiter Offiziere ablehnten und daß deren Verhältnis zu den regierungsseitig eingesetzten Soldatenräten ihrem Offizierstandpunkt entsprechend geregelt wurde. Der Flottenleitung gelang es, mit dem 21er Ausschuß in Wilhelmshaven ein Abkommen zu treffen: die Offiziere behielten nach ihm allein die seemännische Führung der Schiffe, in Angelegenheiten des inneren Dienstes hingegen mußte die Mitwirkung der Soldatenräte in Kauf genommen werden; den Mannschaften wurde das Recht, Offiziere selbständig abzulehnen, entzogen.
Die Forderung, die unbesiegte deutsche Hochseeflotte nach einem Hafen des Feindes zu überführen, stellte das Offizierskorps dieses Verbandes vor eine neue, eigenartige Aufgabe. Es wurde eine Dienstleistung von ihm verlangt, die außerhalb der durch Beruf und Stand übernommenen Pflichten lag. Sie stellte die Offiziere vor eine Gewissensfrage von außerordentlicher Bedeutung und Schwere! Die Beantwortung der Frage war davon abhängig, wie der einzelne Offizier den Begriff »Ehre« verstand: ist die Ehre des Offiziers ein Ding an sich oder ist sie mit dem Staatswohl verbunden, diesem untertan? Für beide sind Vorgänge in der Geschichte des preußischen Offizierskorps vorhanden. Für die erstere sei angeführt: das Verhalten des von der Marwitz, der im Siebenjährigen Krieg den Befehl Friedrichs des Großen, das Schloß Hubertusburg zu plündern, als gegen seine Ehre verstoßend ablehnt; er quittierte den Dienst. Für letztere: der Vertrag von Tauroggen, den York mit dem Feind, dem Russen, abschließt; das preußische Offizierskorps forderte vom König, York vor ein Ehrengericht zu stellen; der König lehnte das ab. Ich persönlich entschied mich, als die Frage durch Anforderung eines Admirals für Überführung des Verbandes nach dem Firth of Forth für mich brennender geworden war, dafür, daß die Ehre in diesem Falle dem Staatswohl zu dienen habe. Die Besetzung von Helgoland und der Nordseeflußmündungen hielt ich für so schwerwiegend, daß gegenüber dieser Schädigung des Deutschen Reiches, wenn ich sie verhindern konnte, meine Person keine Rolle spielen durfte.
Zunächst forderte die Entente nur, daß die Hochseeflotte zur Prüfung ihrer Entwaffnung nach einem englischen Hafen überführt würde. Von dort aus sollte sie zur Internierung in neutrale Häfen entlassen werden.
Der Verband erhielt die Bezeichnung Überführungsverband. Zum Flaggschiff wurde das Linienschiff Friedrich der Große genommen. Am Abend des 18. November schiffte ich mich mit meinem Stab auf Friedrich der Große ein. Er brachte uns noch in der Nacht nach Schilligreede. Am 19. November morgens wurde festgestellt, daß der Verband gesammelt sei. In einer Sitzung unterrichtete ich die Unterführer und Kommandanten der Schiffe kurz über die Grundsätze, nach denen der Verband geleitet werden würde. Eine noch ungeklärte Frage war bis dahin die Flaggenführung; kein Offizier wäre unter der roten Flagge in See gegangen; es wurde angeordnet, daß die Kriegsflagge zu setzen sei, nebenbei würde im Vortop wohl ein rotes Zeichen geheißt werden, es sei nach Vorgang des Flaggenschiffes niederzuholen. Nach dieser Sitzung fand noch eine solche der Soldatenräte statt, um den Verband-Soldatenrat zu wählen. Gewählt wurden ein Obmann mit zwei Mitgliedern. Ersterer war noch nie an Bord gewesen. Er soll durch irgendwelche Machenschaften der revolutionären Gewalt in Wilhelmshaven mit einem gefälschten Befehl des Hochseekommandos an Bord des Flaggschiffes geschmuggelt worden sein.
Für die Auffassung, die die Soldatenräte von ihrer Stellung hatten, sind die Worte charakteristisch, mit denen er sich dem Chef des Stabes nach der Wahl vorstellte: »Also ich habe jetzt den Verband übernommen und Sie sind mein technischer Berater.« Der Chef des Stabes klärte die Soldatenräte über die Folgen, die ein Führen der roten Flagge mit sich brächte, auf: sie sei Piratenflagge und zöge sofortige Beschießung und Vernichtung des Schiffes nach sich, welches sie auf hoher See führe. Diese Aussicht schwächte die Begeisterung, unter roter Flagge die Nordsee zu befahren, erheblich ab, und die Soldatenräte kehrten reumütig zu der besseren Schutz gewährenden alten Kriegsflagge zurück; nur auf ein rotes Zeichen im Vortop glaubten sie nicht verzichten zu können; auch für dieses war bereits beim Verlassen der Jade die Begeisterung geschwunden, und es wurde niedergeholt.
Die lange Reihe der Schiffe und Torpedoboote setzte sich in Formation, an der Spitze die fünf Panzerkreuzer Seydlitz, Moltke, Hindenburg, Derfflinger und v. d. Tann, dann das IV. und III. Geschwader, geführt von Friedrich der Große, ihm folgten die kleinen Kreuzer und diesen die Torpedoboote. Sie dampften wie so oft im Kriege hinaus in die Nordsee, lautlos, majestätisch, nur diesmal nicht zum Kampf für Land und Volk. Beleuchtet von den Strahlen der sinkenden Herbstsonne wurde Helgoland passiert – es glühte in allen Farben. Dann ging es über das Gefechtsfeld vom 17. November 1917, immer weiter englandwärts – – –
Der uns vorgeschriebene Weg führte durch minenverseuchte Gewässer. Er war kurz vorher für unsere Fahrt auf Minen abgesucht und durch ausgelegte Feuerschiffe für die Nacht fahrbar gemacht worden. Trotzdem stieß das Torpedoboot V 30 auf eine Mine und sank. Der Verlust betrug 2 Tote und 3 Verwundete; die Besatzung wurde von anderen Torpedobooten aufgenommen.
Und nun graute der Morgen des 21. heran, des Tages, der uns zum Einlaufen im Firth of Forth gesetzt war. Auch er war sonnig, aber doch auch stark diesig. Pünktlich acht Uhr war die Verbindung mit den englischen Streitkräften, die uns durch die Sperren geleiten sollten, hergestellt. Ein englischer Kreuzer setzte sich an die Spitze der Linie von großen Kreuzern und Linienschiffen, und mit gesteigerter Fahrt ging es dem Firth of Forth entgegen. Immer mehr englische und Ententeschiffe tauchten aus dem nebligen Hintergrunde hervor, sich vor uns setzend oder uns auf beiden Seiten umschließend und geleitend. Sogar ein französisches Kriegsschiff wurde sichtbar, ein ungewohnter Anblick in der Nordsee. Über uns kreisten Luftschiffe und Flugzeuge. Alle englischen Schiffe waren gefechtsklar. Immer wieder trug der Wind die englischen Hurras zu uns herüber. Gegen 3 Uhr nachmittags ankerte der Verband auf dem für ihn bestimmten Ankerplatz; das Ankern selbst verlief ohne weitere Störung.
Gegen 4 Uhr nachmittags traf der Funkspruch vom englischen Flottenchef ein: Die deutsche Flagge ist um 3,57 nachmittags niederzuholen und darf ohne Erlaubnis nicht wieder gehißt werden. Des Ansehens des Verbandes wegen und weil es nach den bisherigen internationalen Gepflogenheiten, z. B. im japanisch-russischen Krieg, nicht üblich gewesen war, internierten Schiffen die Flagge zu nehmen, wurde mündlicher und schriftlicher Protest gegen das Flaggenstreichen eingelegt. Wir beriefen uns in ihm auch auf das Ritterlichkeitsgefühl, daß zwischen sich achtenden Gegnern eine derartige Zumutung nicht üblich sei. Gleichzeitig wurde der deutsche Hochseechef mit Funkspruch in Kenntnis gesetzt: Englischer Flottenchef hat am 21. November angeordnet, daß die deutsche Kriegsflagge mit Flaggenparade niederzuholen und ohne Erlaubnis nicht wieder zu setzen sei. Ich habe hiergegen protestiert: es handle sich um eine Internierung. Englischer Flottenchef hat ablehnend geantwortet: Nur Feindseligkeiten seien eingestellt, Kriegszustand bestehe weiter.
Die Untersuchung auf Entwaffnung wurde gründlich durchgeführt. In den Bunkern wurden z.B. die Kohlen umgeschaufelt, in den Munitionskammern zufällig dort stehende Kisten und Kasten geöffnet. Die Soldatenräte hatten sich mit weißen Armbinden und roten Schleifen an den Fallreeps aufgestellt. Ihr Vordrängen fand seitens der englischen Offiziere und Mannschaften absolute Ablehnung. Während der Tage unseres Aufenthaltes auf dem Firth of Forth hüllte uns meist ein mehr oder weniger dicker Nebelschleier ein, der unsere Schiffe den Augen des englischen Publikums entzog. Es zeigten sich nur wenige Vergnügungsdampfer. Das englische Publikum verhielt sich, soweit wir es vom Flaggschiff aus beurteilen konnten, still und zurückhaltend; nur eine »Lady«, die an uns vorüberfuhr, erhob drohend die Faust.