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Aber Edu! Das war für mich Weltgeschichte!
ОглавлениеAm 9. Januar, vormittags, fand im Auditorium Maximum der Berliner Universität eine antibolschewistische Kundgebung statt. Überfüllter Saal. Über 1000 Studenten. Viele, wie es den damaligen Verhältnissen entsprach, in feldgrauer Soldatenuniform. Ich hielt eine fulminante Rede gegen Spartakus und rief die Studenten zu den Waffen auf. Alles meldete sich zu den Freikorps. Gleich im Anschluß daran fuhr ich mit Freund Siebel per Auto nach Dahlem, wo die frischen Truppen konzentriert wurden, und hielt vor dem neugebildeten Studentenbataillon der Technischen Hochschule Charlottenburg einen weiteren zündenden Vortrag. Aber das Erlebnis des Tages war die gegen Abend auf 5 Uhr angesetzte Unterredung mit dem Oberbefehlshaber Noske in Gegenwart seines Stabschefs v. Gilsa. Siebel und ich wurden in einem kleinen verräucherten, barackenähnlichen Zimmer eines Sanatoriums empfangen. Da saß Noske mit seinem Stabschef v. Gilsa. Nervös war er auch: beim Zigarettenrauchen klopfte er ununterbrochen die Asche auf ein leeres Blatt Papier ab, auch wenn gar keine Asche daran war. Ich ging gleich in medias res. Das deutsche Volk sehe in ihm einen Erretter. Er müsse das Vertrauen des Volkes durch den Willen zur Nationalen Diktatur der sozialen Revolution in geschichtlichen Taten wahr machen. Er müsse nicht nur mit den Truppen einmarschieren, sondern sofort nach der Eroberung Berlins feierlichst von seiner eigenen Partei sich lossagen und die nationale und soziale Solidarität des deutschen Volkes in einer unabhängigen diktatorischen Staatsführung realisieren. Noske hörte immer gespannter zu und sagte dann zum Schluß: »Das ist eine große Aufgabe, die Sie mir zuweisen, ich werde sehen.« Freund Siebel, mein begeisterter und treuer Mitkämpfer, war von der Unterredung so bewegt, daß er mir im Korridor in überschwenglicher Freude um den Hals fiel und ausrief: »Aber Edu!« – wir duzten uns – »Was hast du diesem Mann in dieser Unterredung beigebracht! Das war für mich Weltgeschichte!«
Am Tag darauf bekamen die Truppen von Dahlem von Noske den Befehl zum Einmarsch. Am gleichen Tag fand die nicht minder bedeutsame Sitzung des Führertums der Wirtschaft im Flugverbandshaus statt. Als ich Punkt 4 Uhr nachmittags im kleinen Saal erschien, waren etwa 50 Herren da: Hugo Stinnes selbst, Albert Vögler, Ernst Borsig, Siemens, Geheimrat Deutsch, Mankiewitz, Salomonsohn, Gen.-Direktor Otto Henrich usw., die ganze haute volée der Industrie-, Handels- und Bankwelt. Als einziger Punkt auf der Tagesordnung stand: Referent Dr. Eduard Stadtler über Bolschewismus als Weltgefahr. Ich habe in meinem Leben Tausende von politischen Vorträgen gehalten. Aber eine der größten rednerischen Leistungen, die ich je vollbracht, war jene mehr als zweistündige Rede vom 10. Januar 1919 vor den Führern der deutschen Wirtschaft. Ich war für sie alle »irgendein« Dr. Stadtler, der da, aus russischer Gefangenschaft zurückgekommen, sehr wirksam die bolschewistische Gefahr zu schildern wisse, und der eben »Berliner Sensation« geworden war.
Ich ließ nun eine Kampf- und Mahnrede auf die 50 Herren niedersausen, wie sie es in dieser Form wohl ihr ganzes Leben hindurch noch nicht vernommen hatten. Zuerst setzte ich ihnen das Wesen und die Entwicklung der russischen Revolution auseinander, schilderte den Übergang von der Kerenski-Revolution zum Bolschewismus, den Zusammenhang des Bolschewismus mit den Zusammenbruchserscheinungen des Weltkrieges, den schleichenden bolschewistischen Charakter der deutschen Revolution, die Gefahr, daß jeden Augenblick das gemäßigte mehrheitssozialistisch-demokratische Regime in Deutschland in ein radikal bolschewistisches Regime ausarten könnte, den kommenden Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft, die unerhörten außen- und innenpolitischen Gefahren dieses Zusammenbruchs für die Nation, die besondere Gefahr des Umstandes, daß die besten Soldaten noch alle an der Front, die »Etappenschweine« aber als »Revolutionäre« in der Heimat seien, die Notwendigkeit des sofortigen und großzügigsten Handelns. Ich rüttelte und schüttelte sie durcheinander und sank nach der großen rednerischen Leistung erschöpft zusammen. Nun war, das fühlte ich, der historische Moment eingetreten. Stille herrschte im Saal. Alle waren sichtlich betroffen. Da erhob sich in der Ecke rechts hinter mir ein kleiner Mann. Auf der kurzen, gedrängten Gestalt saß ein energischer, mächtiger Kopf, darinnen wundervolle, ja seltsam dunkle Augen glänzten. Der Mann sah äußerlich aus wie ein mittlerer Kaufmann, aber sein Wesen strömte ein geheimnisvolles Fluidum aus, das sofort auf die ganze Versammlung übersprang. Ich kannte ihn nicht, aber die Anwesenden zeigten mir sofort durch ihr Verhalten, daß sie ihn nicht nur kannten, sondern respektierten, irgendwie als Autorität empfanden. Es war Hugo Stinnes. In die geheimnisvolle Stille des Saales hinein sagte er mit einem Minimum von rednerischem Aufwand, aber mit einer sehr klaren und bestimmten Stimme: »Ich bin der Meinung, daß nach diesem Vortrag jede Diskussion überflüssig ist. Ich teile in jedem Punkte die Ansicht des Referenten. Wenn deutsche Industrie-, Handels- und Bankwelt nicht willens und in der Lage sind, gegen die hier aufgezeigte Gefahr eine Versicherungsprämie von 500 Millionen Mark aufzubringen, dann sind sie nicht wert, deutsche Wirtschaft genannt zu werden. Ich beantrage Schluß der Sitzung und bitte die Herren Mankiewitz, Borsig, Siemens, Deutsch usw. usw. (er nannte etwa acht Namen), sich mit mir in ein Nebenzimmer zu begeben, damit wir uns sofort über den Modus der Umlage klarwerden können.«