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Komplex

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Wir nehmen uns vor, einer Katze beizubringen, auf Kommando „Männchen zu machen“. Mit dem Teil unseres Gehirns, das uns zu rationalem Handeln befähigt, arbeiten wir einen Plan aus. Wir wollen ein anderes Wesen, das zu rationalem Denken nicht befähigt ist, dazu bringen, wie eine Maschine zu funktionieren. Auf eine bestimmte Aktion, das Kommando, soll eine vorhersehbare Reaktion, das „Männchen“, erfolgen. Es handelt sich hierbei zweifelsfrei um ein Vorhaben aus der Kategorie „komplex“. Die Aufgabenstellung ist sehr einfach zu erfassen. Wir haben nur zwei Einflussgrößen, nämlich die Katze und uns selbst. Weil wir über keine Erfahrung mit Katzen verfügen, nutzen wir zur Ausarbeitung unseres Plans alles, was die Wissenschaft der Verhaltens-forschung und der Psychologie über Katzen und Menschen hervorgebracht hat. Es handelt sich dabei überwiegend um wohlbegründete Theorien. Diese Theorien versuchen, die Vorgänge in unseren Köpfen und unsere Handlungsweisen erklärbar zu machen. Die vielen Einflussfaktoren, die ständig mit der weitgehend unerforschten Soft- und Hardware in unseren Gehirnen inter-agieren, bleiben bei diesen vereinfachten nicht allgemeingültigen und stark fehlerbehafteten Theorien unberücksichtigt.

Wir suchen uns also nach ausgiebiger Analyse aus dem, was die Wissenschaft hergibt, die Theorien heraus, die wir für geeignet halten. Wenn wir keine passenden wissenschaftlichen Untersuchungen zu Männchen machenden Katzen finden, müssen wir auf Basis des allgemeinen Wissens über Katzen eine eigene spezielle Theorie entwickeln. Wir entwickeln auf Basis der allgemeinen Theorien unsere spezielle Theorie und machen einen Plan, wie man eine Katze dazu bringt, Männchen zu machen. Damit wir später selbst noch nachvollziehen können, warum wir es so und nicht anders gemacht haben, gehen wir bei der Planung natürlich nach den Gesetzen der Logik vor.

Nach Analyse, Planung und Zielsetzung machen wir uns an die Ausführung. Wir gehen zu der Katze und sagen genauso, wie wir es sorgfältig geplant haben: „Mach Männchen!“. Es hört sich hier selten doof an, ist aber genau die Vorgehensweise, die wir in der Regel anwenden. Wir sind sogar überrascht, wenn es nicht funktioniert. Nach dem 165. Versuch fragen wir uns schließlich, ob sich in unserer Analyse oder der Planung möglicherweise ein Fehler eingeschlichen haben könnte.

Wir müssen schließlich eingestehen, dass unser Plan gescheitert ist. Ein gescheiterter Versuch bringt aber immer auch die Möglichkeit, aus dem Fehlschlag etwas zu lernen. Wir fragen uns, wo der Fehler liegen könnte, und führen eine Diagnose durch. Mit den so gewonnenen Erkenntnissen können wir dann einen weiteren, verbesserten Versuch starten, der dann womöglich zum gewünschten Ergebnis führt.

Im Gegensatz zu komplizierten Problemen dürfen wir bei einer komplexen Aufgabenstellung keinen linearen Verlauf bei der Durchführung erwarten. Bei der Bewältigung komplexer Probleme ist ein schleifenförmiger Verlauf zu erwarten. Dieser stellt sich wie folgt dar:

Diagramm: Vorgehensweise in komplexer Umgebung


Die Durchführung eines Plans in einer komplexen Umgebung erfolgt meist in mehreren aufeinanderfolgenden Schleifen. Optimalerweise tragen die Erkenntnisse aus den gescheiterten Versuchen dazu bei, mit neuen Erkenntnissen und einer verbesserten Planung ein besseres Ergebnis im nächsten Versuch zu erzielen. Wenn die neuen Erkenntnisse zutreffen, können wir trotz vieler Rückschläge insgesamt eine positive, nach oben gerichtete Entwicklung erzielen, die uns mit jeder Schleife näher an das gewünschte Ergebnis heranbringt.

Diagramm: Kontinuierlicher Verbesserungsprozess und Erreichen des Ziels


Es ist jedoch keineswegs sicher, dass unsere Erkenntnisse zutreffend sind, sie können ebenso falsch sein und negative Veränderungen bzw. Tendenzen erzeugen. Wir könnten vermuten, dass der Grund für unser Scheitern bei der Dressur der Katze auf einem Planungsfehler beruht. Wir glauben, dass wir bei der Ableitung unserer speziellen Theorie eine bestimmte Theorie aus der Verhaltensforschung übersehen haben. Bei dem neuen Versuch berücksichtigen wir diese bisher vernachlässigte Theorie zusätzlich. Es ist jedoch nicht besonders schlau, auf dieser Basis erneut zu handeln und eine weitere Schleife zu beginnen. Das Meer, in das wir uns bei unserer ersten Schleife hineinbegeben haben, war von vorneherein sehr tief, weil uns kein fundiertes Wissen, sondern nur Theorien zur Verfügung standen. Hinzu kamen die zwangsläufigen Analyse-, Prognose- und Planungsfehler. Was soll es uns bringen, in den Theorien nach Fehlern zu suchen? Was soll es bringen, naheliegende einfache Theorien zu verwerfen, weil sie nicht funktioniert haben, und stattdessen kompliziertere Theorien in Betracht zu ziehen? Wenn wir uns nur mit Theorien beschäftigen, was haben wir dann aus dem Fehlversuch gelernt? Auf diese Weise begeben wir uns immer weiter auf das Meer der Theorien hinaus. Das wenige, das uns näher an die Realität, das rettende Ufer bringen könnte, lassen wir dabei außer Acht. Das wenige, was uns der Realität näherbringen kann, ist nicht irgendeine abstrakte Theorie. Die Realität haben wir in Form der Katze vor uns sitzen. Wenn wir unsere Bemühungen nicht auf diese Realität fixieren, werden wir bei unseren Bemühungen unweigerlich eine negative Tendenz bis zum endgültigen Scheitern feststellen.

Diagramm: Kontinuierliche Verschlechterung mit endgültigem Scheitern

Sie haben sicherlich schon einmal die haarsträubend einseitige Konversation eines Menschen mit seinem geliebten Haustier miterleben dürfen. Diese Konversation ist nicht selten Ausdruck der schwachsinnigen Theorien des Herrchens vom Verhalten seines Haustiers. Und doch ist es genau dieses Herrchen, das mit wesentlich größerer Wahrscheinlichkeit erfolgreicher sein wird als ein Wissenschaftler der Katzenkunde. Die Theorien, von denen wir glauben, dass sie etwas genutzt haben, spielen nicht wirklich eine Rolle. Sie sind nur nützlich als eine Art Krückstock, um unserem beschränkten Geist einen Bezug zur Realität zu ermöglichen. Ohne diesen engen Bezug zur Realität sind sie nutzlos. Entscheidend ist die Beziehung, die wir zu der Katze aufbauen, - egal, mit welchem Gedankengerüst wir versuchen, uns das zu erklären. Ob die Katze tatsächlich jemals Männchen machen wird, ist natürlich immer völlig offen. Egal, wie wir vorgehen, Scheitern bleibt immer eine Option.

Der Grund für unser Scheitern oder unseren Erfolg sind in der Regel nicht Wissen, Können, Theorie, Glück, Pech, Zufall, Schicksal,

sondern er ist komplex.


Wir sind komplexe Wesen in einer komplexen Umgebung. Abgesehen von sehr wenigen Sonderfällen, wenn wir z. B. einen Lichtschalter betätigen oder eine Rechenaufgabe lösen, ist das Ergebnis unsers Handelns das Ergebnis eines komplexen Prozesses.


Nicht geradlinige, sondern schlaufenförmige Handlungsabläufe mit dem festen Bestandteil des Scheiterns sind die Regel und nicht die Ausnahme in unserem komplexen Leben.

Ein weiteres Problem, das wir dringend bedenken sollten, wenn wir es mit komplexen Problemen zu tun haben, wird deutlich, wenn es sich bei unserer Katze um einen Sibirischen Tiger handelt. Scheitern bei der Bewältigung komplexer Probleme ist nicht angenehm, es kann sehr schmerzhaft sein.


Diagramm: Katzen - Dressur mit Sibirischem Tiger



In komplexen Systemen bedarf es einer besonderen Form des Risiko-managements. Ein Scheitern kann nie ausgeschlossen werden. Man muss die Fallhöhe von vornherein begrenzen. In komplexen Systemen sind nicht nur die Planungsmöglichkeiten begrenzt, sondern auch die Risikoanalysen. Oft empfiehlt es sich, ein solches Engagement nur dann einzugehen, wenn man einen 100%igen Ausfall verkraften kann.

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