Читать книгу überleben erfolgreich (in genau dieser Reihenfolge) - Herbert Lülsdorf - Страница 8
Realität- das Maß der Dinge
ОглавлениеWir schauen zum Himmel auf unsere Sonne, die auf alle und jeden herabscheint. Für meinen Nachbarn, auf den die Sonnenstrahlen aus einem minimal anderen Winkel treffen als auf mich selbst, und auch für die Menschen, die sich gerade auf der anderen Seite unserer Erdkugel befinden, ist es eine unumstößliche Realität, dass unsere Erde in dem Sonnensystem, in dem sie sich befindet, gerade an dieser Stelle der Sonnenstrahlung ausgesetzt ist. Es sollte klar sein, dass wir nur in der Lage sind, einen mikroskopisch kleinen Teil dieser Realität wahrzunehmen. Jeder Mensch nimmt die Realität auf höchst unterschiedliche Weise wahr. Was wir als sonnigen Tag wahrnehmen, ist für die Menschen auf der anderen Seite des Erdballs dunkle Nacht und Teil der gleichen Realität. Die Tatsache, dass wir die Realität auf höchst unvollständige und unterschiedliche Weise wahrnehmen, darf uns nicht zu der Annahme verleiten, dass für jeden Menschen eine eigene Realität existiert. Es existiert nur die eine einzig wahre, universell für alle und alles geltende Realität, auch wenn nichts und niemand diese jemals vollständig und objektiv erfassen kann! Die Realität ist komplex, weil in jedem Moment, mit dem die Realität zur Vergangenheit wird, alle Dinge, die real sind, interagieren. Die Sonne macht etwas mit den Pflanzen und den Menschen, die Menschen machen etwas mit den Pflanzen, dem Rasenmäher und den Leguanen. Jeder Mensch beeinflusst mit seinen Handlungen das, was im nächsten Moment in dieser Welt Realität sein wird, in nur verschwindend geringer Art und Weise. Aber er versucht, den verschwindend kleinen Ausschnitt der Realität zu beeinflussen, der für ihn von Bedeutung ist.
Oft planen wir unser Handeln, das Einfluss auf die Realität haben wird. „Viele Wege führen nach Rom“ ist eine zweifelsfreie Realität, mit der wir uns auseinandersetzen, wenn wir beabsichtigen, nach Rom zu reisen. Je nachdem, ob wir Zugstrecken, Fluglinien, Autobahnen, Landstraßen oder Feldwege in diese Betrachtung einbeziehen, erhalten wir unterschiedlich viele Handlungs-optionen, um nach Rom zu reisen. Ausgehend von der Realität, den realen Möglichkeiten, wie sie sich zum Zeitpunkt der Planung darstellen, können wir einen Weg planen und die Reise antreten. Wir passen die Route der Realität an, wenn z. B. ein Eisenbahntunnel gesperrt ist, wenn wir uns dazu entschließen, eine Abkürzung oder einen Umweg zu nehmen. Ausgehend von der Realität zum Zeitpunkt der Reiseplanung sind alle zukünftigen Handlungen und alles, was wir geplant haben, mit Risiken und Unsicherheiten behaftet.
In Rom angekommen, warte ich am Bahnhof viele Stunden auf meine Frau. Ich frage mich, welchen Weg sie wohl genommen hat und betrachte dabei die Vergangenheit. Während ich auf sie warte, kann ich nur auf Basis der Realität, wie sie sich momentan darstellt, die realen Reisemöglichkeiten meiner Frau rekonstruieren und spekulieren, welchen Weg sie möglicherweise genommen haben könnte. Auch wenn diese Betrachtung mehrere realistische Möglichkeiten aufzeigt, hat meine Frau zweifelsfrei nur den Weg genommen, den sie ge-nommen hat. Die Betrachtungen der Vergangenheit sind also ebenfalls mit Unsicherheiten behaftet.
Egal, ob wir die Zukunft oder die Vergangenheit betrachten, Ausgangspunkt ist in der Regel das, was wir im Jetzt als Ausschnitt der Realität wahrnehmen können.
Unsere Betrachtung der Realität ist immer unvollständig und fehlerbehaftet, trotzdem ist sie der beste uns zur Verfügung stehende Ausgangspunkt für unsere Analysen, Planungen und für unser Handeln. Es ist nicht einfach, sich ein halbwegs vollständiges und objektives Bild von der Realität zu machen. Trotzdem legen die meisten Menschen großen Wert darauf, dass ihre Vor-stellungen von der Welt realistisch sind und der Realität entsprechen. Das zeigt, welch großen Stellenwert unser Bild von der Realität für unser Handeln hat.
Viele Menschen neigen jedoch dazu, ihre Wunschvorstellungen von der Realität, wie sie ihrer Meinung nach sein sollte, mit dem zu vermischen, was die einzige, absolute und unwiderlegbare Realität ist. Sie ignorieren z. B. Dinge, die ihrer Meinung nach nicht sein können, weil sie so nicht sein dürfen. Sie nehmen ihre Umgebung so wahr, wie sie in das eigene vorgefasste Weltbild passt. Diese Menschen deformieren nicht selten ihr Bild von der Realität, um erforderliche schmerzliche Veränderungen zu verhindern und schädliche Handlungen zu rechtfertigen. Sie schaden sich selbst, oft auch anderen mit diesem Verhalten.
Schlimmer noch ist es, wenn wir das Bild der Realität fremder Menschen unreflektiert übernehmen. Wer unser Bild der Realität bestimmt, bestimmt unser Handeln. Ein schönes Beispiel ist der real-existierende-Sozialismus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.
Die Theorie einer abgehobenen Führungselite wurde per Definition zur Realität für die gesamte Bevölkerung der DDR erklärt. In weiser Voraussicht hat man der plausiblen und ehrenwerten sozialistischen Theorie das Attribut „real-existierend“ vorangestellt. Wer dem Volk so klar sagt, wie die Realität zu sein hat, der will die Menschen beeinflussen oder einschüchtern. Die Tatsache, dass diese Theorie nicht funktionierte und nie etwas Reales oder Demokratisches daraus werden konnte, wurde per Definition von vorneherein ausgeschlossen. Wer definieren kann, was Realität ist, verfügt über ein mächtiges Instrument, um die Handlungsweisen der Menschen zu steuern. Dieser subtile Steuermechanismus funktioniert, ohne dem Gesteuerten direkte Anweisungen zu erteilen. Die Menschen glauben, selbstbestimmt zu handeln, und merken in der Regel nicht, dass ihre wesentliche Entscheidungsgrundlage, ihre Vorstellung von der Realität, manipuliert wurde.
Wenn man sein Geld mit dem Verkauf von Atomschutzbunkern verdient, ist es sinnlos zu versuchen, potenzielle Kunden mit den speziellen Vorzügen des Produktes zum Kauf zu bewegen. Man muss den Kunden zunächst einmal von einer Sichtweise auf die Realität überzeugen, in der die Existenz einer atomaren Bedrohung so ernst genommen wird, dass sie die Investition in einen Bunker rechtfertigt.
Jeder, der nicht ständig für sich bemüht ist herauszufinden, was real ist, ist unendlich vielen solcher Manipulationsversuche schutzlos ausgeliefert.
Jedem Menschen, der sich dem absoluten Wahrheitsanspruch der Realität verweigert, fehlt ein tragfähiges Fundament für sein Handeln.
Die Realität ist der entscheidende Fixpunkt, an dem wir unsere Entscheidungen und unser Handeln ausrichten müssen. Der Umgang mit ihr ist alles andere als einfach. Es gibt Bereiche der Realität, denen wir mit absolutem Wissen gegenübertreten können. In diesen Bereichen können wir unser Wissen anwenden, um zu planen. Hier können wir erwarten, vorhersehbare Ergebnisse zu erzielen. In anderen Bereichen der Realität verfügen wir bestenfalls über Theorien oder schwache Vorstellungen von den Einflüssen und Auswirkungen, die Dinge verändern und schließlich zu einem Ergebnis führen. In den folgenden Kapiteln betrachten wir einige dieser unterschiedlichen Bereiche exemplarisch.