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Die Vertreibung aus dem Paradies
ОглавлениеSo wie ein anderes erfolgreiches Buch beginne ich mit der Vertreibung aus dem Paradies. Der Vertreibung aus dem wunderbaren Werft-Paradies meiner Jugend und meines Lebens als Maschinenbauer.
Eines Tages rief mich mein bester Freund Markus an, dem in ständiger Sorge um das Wohl seines Freundes ein Tagesordnungspunkt in der anstehenden Sitzung des Stadtrates aufgefallen war. Es ist ein großes Glück, einen Freund zu haben, der auch in meinem zwei-jährigen Überlebenskampf nie von meiner Seite gewichen ist. Wenn so ein wichtiger Freund auch noch als Bauingenieur im richtigen Berufsfeld mit allen nötigen Beziehungen tätig ist, ist das schon eine absolute Überbeanspruchung des Glücks, auf das man nur hoffen kann.
Es stellte sich heraus, dass der benachbarte Werftbetrieb in Zusammenarbeit (vornehm ausgedrückt) mit den politisch Verantwortlichen umfangreiche Erweiterungspläne bereits sehr weit vorangetrieben hatte. In den Beschluss-vorlagen für die Ratssitzung war von gemeinsamen Absichten beider Werften die Rede, ohne dass wir, die zweite Werft, darüber Kenntnis hatten. Die Lage war bedrohlich und vollkommen klar. Wir waren bei der Betriebserweiterung unseres Nachbarn im Weg und sollten verschwinden.
Bis zu diesem Zeitpunkt galt unsere volle Aufmerksamkeit unserem Geschäft. Der erbärmlichen kommunalpolitischen Veranstaltung in unserem Ort oder gar Kommunalpolitikern wurden von uns nicht nur keine Beachtung (Partei-mitgliedschaft, Spenden usw.) geschenkt, es herrschte sogar eine recht abfällige Betrachtungsweise vor. Kommunalpolitische „Klüngeleien“ zu verachten, ist aus moralischer Sicht leicht zu rechtfertigen. Es stellte sich jedoch als äußerst dumm heraus, diesen Teil der Realität zu ignorieren. Die reale Bedrohung, mit der wir plötzlich konfrontiert wurden, hatten wir in unserem robusten Universum nicht für möglich gehalten. Das Geschäft unseres Nachbarn war schätzungsweise um den Faktor 10-mal größer als das unsrige. Innerhalb kürzester Zeit sahen wir unsere Existenz einer sehr ernsthaften Bedrohung ausgesetzt. Ein Kunde von uns, dessen Probleme mit seiner Yacht wir ordentlich behoben hatten, war bereit, uns in der Angelegenheit anwaltlich zu vertreten. Wir hatten zwar direkt gemerkt, dass unser Jurist nicht auf den Kopf gefallen war. Der Ruf, der ihm bundesweit bei seinesgleichen vorauseilte, hat uns dann aber doch in Staunen versetzt. Unser Starjurist brachte gleich im Schlepptau einen kleinen, unscheinbaren und äußerst gerissenen Finanzexperten mit. Eine Art der Gerissenheit, die mich fünf Jahre später dazu veranlasste, seine Kanzlei mit einem sehr lauten Wutausbruch zu verlassen. Selbst in meiner Notlage wäre ich mir schäbig vorgekommen, wenn ich beim lieben Gott um die Hilfe solcher Fachleute gebeten hätte. Die Auseinandersetzung und die Verhandlungen unter Beteiligung der Stadtverwaltung zogen sich schließlich bis zur anstehenden Kommunalwahl hin. Das Verhalten der politisch Verant-wortlichen hätte sich sehr gut als Wahlkampfthema geeignet. Wir hatten den Eindruck, dass man unseren Streit bis zu den Wahlen flach halten wollte, um nach den Wahlen vollendete Tatsachen zu schaffen. Am Tag nach der Kommunalwahl konnten wir überrascht und hocherfreut feststellen, dass die Partei, die ein wesentlicher Teil unserer Probleme war, ihre langjährige absolute Mehrheit um 60 Wählerstimmen verfehlt hatte. Koalitionspartner wurde die Partei, die sich über die seltsamen politischen Vorgänge in Zusammenhang mit unserem Streit öffentlich empört hatte. Unserem Nachbarn war über Nacht die politische Brechstange abhandengekommen. Erst von diesem Zeitpunkt an konnte auf Augenhöhe verhandelt werden - eine weitere unfassbar glückliche und entscheidende Wendung in dieser existenziellen Auseinandersetzung.
Es wäre ein Einfaches, an dieser Stelle eine Heldengeschichte zu erzählen. -Natürlich habe ich mit all meinen Kräften und vielen Menschen, die mich unterstützt haben, gegen diese Bedrohung angekämpft. Selbstverständlich haben wir alles unternommen, um die Wahlentscheidung möglichst vieler Bürger in unserem Interesse zu beeinflussen. Die unzähligen höchst kreativen Schachzüge und Aktionen, mit denen wir diesen Existenzkampf geführt haben, würden ein ganzes Buch füllen. Tatsache ist auch, dass uns sehr glückliche Fügungen, auf die wir sicherlich keinen Einfluss hatten, sehr geholfen haben. Ohne dieses Glück hätte ich meine Werft wahrscheinlich ruiniert und nicht erhobenen Hauptes und mit einem gut gefüllten Bankkonto verlassen können. In diesem Existenzkampf, den ich über zwei Jahre am Limit führen musste, war mir dieses große Glück nicht bewusst. Erst im Nachhinein mit wachsender Distanz wurde mir die große Bedeutung des Ungewissen, des Zufalls, meines Glücks im Verhältnis zu unseren Heldentaten bewusst.
Hätte ich eine Woche vor dieser großen Krise eine Liste mit meinen 100 größten Problemen angefertigt, dann wäre dieses Drama in keinem Punkt auch nur ansatzweise erwähnt worden. Abgesehen von der Familie und den Freunden hatte sich nach diesen Ereignissen unsere gesamte Lebensplanung innerhalb kürzester Zeit erledigt. Diese Erfahrung hat mir die Grenzen von Planung und gezielter Einflussnahme aufgezeigt. Die Macht des Ungewissen, des Zufalls wurde mir in erschreckender Weise deutlich gemacht.
Erst nach Jahren deutlicher Distanz von der Frage „Was soll ich nur machen, damit hier nicht alles den Bach runtergeht?“ wurden mir wichtige, andere Dinge klar:
Als wir in den Ring gegen einen zwei Köpfe größeren Gegner stiegen, waren wir topfit und sehr gut auf den Beinen. Unser Betrieb hatte:
- ein flexibles, kundenorientiertes, ertragreiches Geschäftsmodell,
- eine große Anzahl treuer Stammkunden,
- eine loyale, leistungsfähige Belegschaft,
- ein volles Auftragskonto,
- volle Konten und
- keine Schulden
Eine Schwäche in jedem einzelnen dieser Punkte hätte uns in einer langjährigen Auseinandersetzung das Genick brechen können. Der mächtige Gegner, mit dem wir konfrontiert waren, hätte uns das Leben schwer machen können. Um uns dazu zu zwingen, das Feld zu räumen, hätte er uns aber in unserer Existenz gefährden müssen. So wie mein Vater seinen Betrieb aufgestellt hatte, konnte uns unser Nachbar zwar an den Verhandlungstisch zwingen, es gab aber keine Angriffspunkte, die uns in unserer Existenz gefährden konnten.
Mit viel Glück und mit allem, was mir zur Verfügung stand, hatte ich den drohenden Untergang abgewendet und ein gutes Ergebnis erzielt. Das wesentliche Fundament dieses Erfolges war jedoch planvoll und keineswegs zufällig von jemand anderem gelegt worden. Die grundlegenden Voraus-setzungen für den glücklichen Ausgang dieser Auseinandersetzung hatte mein Vater gelegt. Mit seinen konsequent umgesetzten Vorstellungen von einem soliden Unternehmen war unser Betrieb erst in der Lage, eine solche unvorhergesehene Bedrohung zu überstehen. Er hat bewusst darauf verzichtet, zur Bank zu gehen, um seinen Betrieb größer, effektiver, ertragreicher zu machen. Er hat die erzielten Gewinne wohlüberlegt dort im Betrieb eingesetzt, wo ihm das am aussichtsreichsten erschien. Das war der Teil vom Plan, der auch ohne riesiges Glück funktioniert hat. Der Verzicht darauf, Risiken einzugehen, wo es nicht unbedingt notwendig ist, bringt unweigerlich weniger Risiken mit sich. Getragen von seiner Vorstellung, wie ein Betreib aufgestellt sein sollte, hat das unseren Betrieb schrittweise immer näher an das herangebracht, was mein Vater als solide und ertragreich empfand. Er hätte möglicherweise ein sehr viel größeres Unternehmen mit größeren Ertragsaussichten erschaffen können. Auf dem Weg zu einem immer größeren und ertragreicheren Unternehmen wäre er jedoch sehr viel anfälliger für unvorhersehbare Ereignisse gewesen. Ohne diese solide Basis wären wir in dieser schlimmen Krise untergegangen, was mich geradewegs zu der elementarsten Regel bei allem, was wir tun, gebracht hat:
Erst mal überleben!
Ich hatte am eigenen Leib erfahren müssen, wie schwierig es sein kann, diese elementare, einfache, selbstverständliche Grundregel umzusetzen. Aus einer sehr soliden Ausgangsposition heraus hatte ich mit allem, was ich an Wissen, Intelligenz, Kreativität und Einsatz aufbringen konnte, mit viel Glück überlebt!
Mir wurde klar, wie unsicher unsere Pläne sind und wie sehr wir das Ungewisse unterschätzen. Ich musste erkennen, wie schlecht viele Menschen vorbereitet sind.
Große Veränderungen, besonders negative, bringen große Erkenntnisse. Die Vertreibung aus dem Paradies war der Ausgangspunkt meiner Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie man überlebt, erfolgreich überlebt.
Auf meiner Suche hatte ich immer wieder den Eindruck, dass sich Literatur und Wissenschaft seltsamerweise überhaupt nicht mit dieser Thematik beschäftigen. Sie tun so, als könne man sich gar nicht vorbereiten. Es wird sogar der Eindruck vermittelt, so etwas sei ineffizient und unmodern. Mein Vater hatte mir gezeigt, dass es möglich, sinnvoll und erfolgversprechend ist, sich ganz bewusst vorzubereiten. Meine Neugierde und mein Ehrgeiz waren geweckt.