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Kapitel 12 Sommer 1988 Frieder

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Jetzt, wo die Nächte kürzer wurden, kam der Besucher seltener und auch der Vorgang des Leidens wurde kürzer. In den vielen vorhergegangenen Nächten gelang es Frieder nicht, festzustellen, wer sein Peiniger war. Mittlerweile war er ziemlich sicher, dass nicht der ‚Liebe Gott‘ zu ihm kam sondern der Teufel. Der Teufel konnte jeden heimsuchen und drang in die Menschen, wenn sie sündigten. Sein Peiniger konnte kein Engel sein. Es gab nur einen, der solche Schmerzen verursachte.

Vater Thomas sprach im Unterricht über die Beichte. Ein Satz blieb Frieder hängen: Wer sich bewusst ist, eine Todsünde begangen zu haben, darf selbst dann, wenn er tiefe Reue empfindet, die heilige Kommunion nicht empfangen, bevor er die sakramentale Absolution erhalten hat.

Frieder dachte lange nach. Beging er eine Todsünde, weil der Teufel zu ihm kam und in seinen Körper eindrang? Ganz klar, ja, beantwortete er die Frage an sich. Lediglich der Grund blieb ihm verborgen, weshalb er heimgesucht wurde. Dabei überkam ihn fürchterliche Angst. In der Bibliothek hatte er Bilder in Büchern gesehen, auf denen der Teufel aus dem Mund der Betroffenen entwich. Der Vorgang war mit Folterung verbunden, mit Schmerzen, denen er sich nicht zusätzlich aussetzen wollte.

Fortan schwänzte er die Beichte und betete in den hintersten Winkeln der Kapelle, so wie er es gelernt hatte.

Vater Benedikt beobachte die schleichende Veränderung des Jungen mit Sorge. Natürlich fiel ihm auf, dass Frieder der Beichte fern blieb. Verglichen mit den meisten Mönchen im Kloster konnte sich ausmalen, was den Jungen bewegte. Schließlich hatte er auch seine Erfahrungen und wusste, dass die Beichte hilfreich sein konnte. Auch er kam als Kind ins Kloster und wusste aus eigener Erfahrung, wie einsam das Kind war. Kinder brauchen Mütter, dachte er, wie schon so oft. Sündige Gedanken, die er nicht offen äußern durfte. Mit wem sollte der Junge über das unfassbare Geschehen sprechen? Vater Benedict wusste um die perversen Individuen, die den Kindern Leid antaten. Dabei war er sicher, dass seine Mitbrüder nicht den unnatürlichen Neigungen frönten. Da kam letztendlich nur einer infrage und der stand so hoch in der Hierarchie, dass er unangreifbar war. Und er weilte zurzeit wieder im Kloster. Er nahm sich vorsichtig des Jungen an und leitete ihn.

Aus den Gesprächen mit Vater Benedict wurde Frieder klar, dass er die Beichte nicht weiter vernachlässigen konnte… schließlich erwartete der ‚Liebe Gott‘, obwohl er alles wusste, dass er seine Sünden selbst aussprach.

„Junge“, sagte der Mönch und sah ihn mitleidig an. „Ich glaube zwar nicht, dass du gesündigt hast… doch, wenn du dieser Ansicht bist musst du die Verantwortung dafür übernehmen und beichten. Erst, wenn du die Absolution erhalten hast, bist du frei… auch von eingebildeten Sünden. Komm‘ ich zeige dir etwas.“ Er nahm Frieder bei der Hand und führte ihn in einen Raum, der an die Kammer des Mönches grenzte.

„Weißt du“, erzählte er, wie im Selbstgespräch. „Meine Mitbrüder halten mich für ein wenig seltsam. Deshalb darf ich diesen Raum nutzen.“ Er schaltete das Licht ein.

Frieder sah auf viele kleine Kartons, die an den Wänden stapelten. Er erinnerte sich. In den ersten Tagen des Religionsunterrichts im Kloster fertigten die neuen Schüler, die Kästchen aus Pappe. Vater Benedict achtete darauf, dass alle die gleiche Größe besaßen. Sie kannten das aus der Grundschule. Dort wurde auch viel gebastelt.

Des Paters Hand fasste zielsicher einen Karton.

„Dies bist du“, er reichte ihn dem Jungen. „Sieh hinein.“

Frieder zog den Deckel ab. Ein Stück Holz, an das er sich erinnerte. Sein erster Versuch mit dem Schnitzmesser. Die ersten fünf Buchstaben seines Namens ‚Fried‘. Sowie einige Kieselsteine, die er auf der Schulbank vergessen hatte.

„Wenn Gott will, wird deine Schulzeit dieses Behältnis füllen. Kleine Erinnerungen, die dir dann Freude bereiten. Aber du kannst auch dein Leid diesem Kasten anvertrauen. Er hält auch Gedanken in sich.“ Vater Benedict fuhr ihm durchs Haar. „Ich sehe, du verstehst noch nicht. In einigen Jahren wird dieser kleine Karton eine Phase deines Lebens beinhalten.“ Er überlegte, ob er noch etwas dazu sagen sollte, entschied sich jedoch dagegen und tippte Frieder mit dem Finger spielerisch an. „Lass‘ uns gehen.“

Schweren Herzens stand Frieder am Abend bei den anderen Jungen in der Reihe. Allzu schnell kniete er im Beichtstuhl.

„Sprich mein Sohn“, sagte die salbungsvolle, krächzende Stimme hinter dem Gitter.

„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen“, sprach Frieder die vorgegebene Formel.

„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen“, antwortete der Priester ebenso.

„Amen. Vater ich habe gesündigt“, er stockte kurz und legte sich die Worte noch einmal zurecht. „Der Teufel kommt zu mir und tut mir weh. Er steckt etwas in meinen Popo und das tut weh.“ Er hielt inne und wartete auf die Reaktion des Priesters. Der Beichtvater sagte nichts, also sprach Frieder stockend das Reuegebet, das er in den letzten Stunden gelernt hatte.

„Guter Gott!

Ich möchte gut sein. Ich möchte tun, was du willst. Ich möchte den anderen helfen. Ich habe es nicht immer fertiggebracht. Verzeih mir!

Guter Gott!

Du hast mir so viel Schönes geschenkt. Ich möchte dankbar sein. Leider habe ich viel zu viel an mich selbst gedacht Verzeih mir!

Guter Gott!

Ich habe Böses angestellt und kann nicht alles gutmachen. Jesus hat das Böse besiegt Er ist am Kreuz für mich gestorben und hat sein Blut vergossen zur Vergebung der Sünden. Verzeih mir!

Guter Gott!

Ich darf dir helfen, den anderen Menschen deine Liebe zu zeigen. Ich nehme mir vor ganz lieb zu sein, damit der Teufel nicht wiederkommt. Hilf mir dabei! Amen.“

„Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“, sprach ihn der Priester von seinen Sünden los.

„Amen“, schloss Frieder

„Dankt dem Herrn, denn er ist gütig.“

„Sein Erbarmen währt ewig.“

Tatsächlich. Wie Vater Benedict ihm prophezeite, fühlte er sich nach langer Zeit wieder frei. Der ‚Liebe Gott‘ hatte ihm seine Sünden vergeben. Frohen Mutes schloss er sich wieder den anderen Jungs an und tollte durch das Gelände, bis, viel zu schnell, die Schlafenszeit kam.

Vergeltung

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