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8 Ein Student mit Talent

Winter 2011

Die zuständige Kommission veröffentlichte einen ersten Zwischenbericht über den Stand der Untersuchungen betreffend des Sprengstoff-Anschlags im vergangenen Herbst auf das Asylantenheim Sonnenhügel.

An der Pressekonferenz in der Kantonshauptstadt herrschte eine positive Grundstimmung vor. Eher unerwartet stellten die Presseleute keine lästigen Fragen an die zuständigen Mitglieder der Politik und der Exekutive. Im Gegenteil, die Journalisten verhielten sich – in den Augen der Mitglieder der Kommission – angenehm zurückhaltend.

Wie im offiziellen Kommuniqué dargelegt und auch in den mündlichen Stellungnahmen in der Frage- und Antwortstunde mit den Journalisten bestätigt, könne man davon ausgehen, dass mit grösster Wahrscheinlichkeit keine Person aus dem Dorf mit dem Anschlag in Verbindung gebracht werden könne.

Die Kommission bestätigte ausserdem, dass die Untersuchungen intensiv weiterlaufen würden. Man werde nicht ruhen, ehe die Täterschaft gefasst sei. Immerhin gehe es um Mord. Die Struktur der Bombe und die Art des Sprengstoffs, die beim Anschlag auf den Sonnenhügel Verwendung fanden, würden akkurat jenen entsprechen, die ausländische Räuberbanden bei der Sprengung von Bancomaten in der Vergangenheit bevorzugt verwendeten. Allerdings könne man zum aktuellen Zeitpunkt keinen logischen Zusammenhang erkennen zwischen diesen zwei sehr unterschiedlichen Geschehnissen. Die entsprechende Frage laute: Weshalb sollten Bancomat-Knacker einen Bombenanschlag auf ein Asylantenheim durchführen!?

Aufgrund dieser Situation glätteten sich die Wogen in der Gemeinde, zu welcher der Sonnenhügel gehörte. Die meisten Menschen des Dorfes hatten offensichtlich den Wunsch, die Konfrontation der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Sie waren der Zankerei müde. Ihnen lag daran, nun vorhandene Berge abzutragen und Gräben zugeschüttet. Der Dorfzusammenhalt sollte neu aus der Asche erstehen.

Derweil versuchte Pia Meier täglich mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen ihren Schützling in die Welt des Verstehens, des Begreifens, des Erkennens, des Kommunizierens einzuführen. Aller Anfang ist schwer, nicht anders in diesem Fall. Doch schon sehr bald erkannte Pia Meier das intellektuelle Potential von Albino. Irgendwann war sie sogar begeistert, wie schnell er alles aufnehmen und mental verarbeiten konnte – kein Vergleich zu den Kindern, die sie einst in der Grundschule zu Beginn ihrer Lehrerlaufbahn unterrichtet hatte. Wenn Sie Albino etwas erklärte, setzte sich dieses für die Ewigkeit in seinem Hirn fest. Bei den kleinen Schulkindern einst musste sie gewisse Sachen ein Dutzend Mal erklären und trotzdem blieb es nicht sattelfest in ihren Köpfen haften.

Im Fall von Albino war der Lehrstoff zu Beginn auf sehr bescheidener Stufe angelegt. Albino war in allem und jedem ein staunender Anfänger. Es ging vorerst darum die Basis in den verschiedenen Fachgebieten zu legen. Nachdem dieser Grundsockel stand, entwickelte sich beim Erklimmen der nachfolgenden Stufen allerdings dann eine rasante Dynamik, die nie mehr gedrosselt wurde. Die Lernfortschritte konnten nun fortan nur mit jenen von Gymnasiasten verglichen werden. Pia war durchaus prädestiniert Vergleiche dieser Art anzustellen. Denn sie unterrichtete einst auch auf dieser höheren Stufe. Allerdings waren hier und jetzt die Lehrstoffe ziemlich unterschiedlich.

Eines der faszinierenden Resultate war, dass Albino schon nach wenigen Monaten weitgehend normal innerhalb der Familie in Schweizerdeutsch mitdiskutieren konnte. Und auch die Kommunikation in Hochdeutsch funktionierte gut.

Der Unterricht machte sowohl der Lehrerin wie auch ihrem Schüler grossen Spass. Manchmal war Pia von der hartnäckigen Wissbegierde ihres Schützlings eher überfordert. Es ging nicht lange und Selina zeigte Albino wie ein Computer funktioniert. In der Folge liess er dieses faszinierende Gerät nicht mehr aus seinen Klauen. Er wünschte sich einen eigenen PC und liess nicht locker, bis er sich stolzer Besitzer nennen durfte. Der Alt-Schachmeister hatte sich bereit erklärt das Gerät zu finanzieren.

Unter diesen Umständen musste bei Albino sogar der geliebte Fussball hintenanstehen. Schach ohnehin. Weil es gerade Wichtigeres zu tun gab. Familie Meier beobachtete Albinos Wandlung hin zur Reife fasziniert.

Als sich nach einigen Monaten das Bildungsdepartement des Kantons meldete und sie einen Experten vorbeischickten, der einigen Unterrichtsstunden beizuwohnen wünschte, war auch diese Fachperson begeistert über das Gelingen des Experiments. Es ging um die grundsätzliche Entscheidung, ob der exklusive Individualunterricht fortzuführen oder eben abzubrechen sei. Weil die Bewertung positiv war, erhielt Pia Meier den Auftrag, den Asylanten Albino Sahel weiterhin wie bisher individuell zu unterrichten. Dabei wurde Pia nach der normalen Lehrerbesoldung entlohnt. Dadurch kam willkommenes Einkommen in die Familienkasse von Familie Meier.

Ein Migrant ohne Namen

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