Читать книгу Highway ins Verderben - Hildegard Grünthaler - Страница 12

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Frau Pohl drehte sich unschlüssig vor dem Spiegel.

»Glauben Sie nicht, dass ich für das Kleid schon etwas zu alt bin?«

»Aber nein, der Schnitt ist doch wie für Sie gemacht. Er macht schlank und bringt Ihre gute Figur zur Geltung. Und das Rot steht Ihnen ausgezeichnet! Sie können das wirklich tragen!«, schmeichelte die Verkäuferin.

Eine volle Stunde lang hatte Dagmar Pohl frustriert vor ihrem Kleiderschrank verbracht. Bis sie schließlich zu der Überzeugung gelangt war, dass sie unmöglich in ihren altbackenen Klamotten mit Herrn Wilke ausgehen könne.

Heute Morgen hatte er schon vor dem Museum auf sie gewartet. Er hatte sie mit einem Handkuss begrüßt, - wie ein echter Gentleman der alten Schule! Er war so charmant und sah obendrein umwerfend aus, beinahe wie der tolle Schauspieler, den sie letzte Woche im Fernsehen gesehen hatte. Sie hatte ja bisher gedacht, dass er sie wegen ihres Wissens um die Urkunden und die Geschichte der Stadt umwarb. Schließlich arbeitete er ja an einem Buch über dieses Thema. Aber dass er sie für morgen Abend zum Essen eingeladen hatte - in ein angesagtes Sternerestaurant, ging mit Sicherheit über berufliches Interesse hinaus.

Mindestens 10 Jahre war es her, dass sie zum letzten Mal mit einem Mann ausgegangen war. Mit einem widerlichen aufdringlichen Typen. Eine ehemalige Schulfreundin hatte sie damals mit dem verkuppeln wollen. Dieser Herr Wilke hatte da schon ein anderes Format. Jetzt war Schluss mit der sitzengebliebenen alten Jungfer, Schluss mit der grauen Maus:

»Ich nehme das Kleid!«, sagte sie entschlossen.

Während das Kleid an der Kasse eingepackt wurde, ging ihr durch den Kopf, dass sie zum neuen Outfit auch passende Schuhe kaufen musste. Außerdem gehörte zu einem richtigen Make-up mehr als nur ein Lippenstift.

Die High Heels, die sie sich von einer modisch durchgestylten Verkäuferin hatte aufschwatzen lassen, drückten höllisch. Außerdem war das Gehen mit den hohen, spitzen Dingern ein regelrechter Eiertanz. Gestern hatte sie damit den ganzen Abend lang in ihrer Wohnung geübt. Weshalb sie den Weg vom Parkplatz bis zum Restaurant an Herrn Wilkes Arm auch ohne Pannen, ohne Stolpern und ohne Umknicken geschafft hatte. Nur ihre Zehen protestierten noch immer gegen die Folter. Sollte sie die grässlichen Schuhe unter dem Tisch einfach ausziehen? Lieber nicht. Wer weiß, ob sie es hinterher schaffen würde, ohne Zuhilfenahme eines Schuhlöffels in die Dinger wieder hineinzuschlüpfen.

Und außerdem, was war schon ein bisschen Zehendrücken gegen das Leid, das Herr Wilke hatte durchmachen müssen. Die Ehefrau durch einen tragischen Unfall mitten aus dem Leben gerissen, flüchtete er sich in seine Arbeit. Er konnte es nicht ertragen, einsam und alleine in der leeren Wohnung zu sitzen. Verstohlen hatte er sich eine Träne aus dem Augenwinkel gewischt, aber sie hatte es trotzdem bemerkt.

Der Kellner brachte das Dessert. Zwischen zwei Löffeln Tiramisu gestand ihr Herr Wilke:

»Seit ich Sie getroffen habe, liebe Frau Pohl, ist für mich das Leben wieder lebenswert!«

Dagmar Pohl vergaß ihre eingequetschten Zehen, ihr tristes Leben, ihre schäbige, armselige Wohnung. Gerührt ergriff sie seine Hand. Später, beim Cappuccino, erzählte er, dass er seine Münchner Wohnung verkaufen wolle. Er sei in Kleinaltheim auf der Suche nach einem hübschen Häuschen mit Garten. Dass er dieses Häuschen mit ihr teilen wollte, sprach er nicht direkt aus, aber Dagmar verstand es auch so.

Die Möbel stammten vermutlich noch von ihren Eltern. Die Wohnung wirkte altmodisch und spartanisch, ohne jeden Anflug von Gemütlichkeit. Bis vor einigen Jahren hatte sie hier mit ihrem kranken Vater zusammengelebt und man hatte den Eindruck, als wäre der alte Mann noch immer präsent. Es war nicht zu übersehen, dass Dagmar Pohl es bisher nicht geschafft hatte, die Fesseln der Vergangenheit abzustreifen. Dass die einsame alte Jungfer Wachs in seinen Händen sein würde, hatte er schon vorher gewusst. Sie herumzukriegen war ein Kinderspiel für ihn gewesen. Wie ein überreifer Apfel, der darauf gewartet hatte, gepflückt zu werden.

Noch ein paar Nächte, hoffte er, und sie wäre da, wo er sie haben wollte. Natürlich konnte er nicht hundertprozentig sicher sein, ob sie wirklich auf sein Ansinnen einsteigen würde. Er musste besonnen vorgehen. Um ihre Reaktion auszuloten, würde er den ungeheuerlichen Vorschlag erst einmal ganz beiläufig und scherzhaft anbringen. Dann konnte er über das weitere Vorgehen entscheiden. Aber alle seine Coups waren nicht zuletzt deshalb so erfolgreich gewesen, weil er stets einen Plan B in der Hinterhand hatte. Unnötig Zeit zu vergeuden, war auch nie sein Ding gewesen. Notfalls musste er im Stande sein, die Sache ohne ihre Hilfe durchzuführen.

Vorsichtig setzte er sich auf und lauschte. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Sie war endlich eingeschlafen. Er stand auf und schlich barfuß in den Flur. Im Finstern tastete er nach ihrer Handtasche, die sie neben dem Schuhschrank abgestellt hatte. Schnell hatte er das Gesuchte erfühlt. Das, was er noch für den Plan B benötigte, steckte griffbereit in seinem Sakko. Gestern Abend hatte sie das Jackett vor lauter Nervosität zweimal fallen lassen, bevor sie es gemeinsam auf einen Bügel hatten hängen können. Er grinste, als er daran dachte. Wenige Sekunden später hatte er Dagmars Handtasche wieder verschlossen und der erste Schritt zu Plan B steckte in der Sakkotasche. Bevor er zurück ins Schlafzimmer ging, machte er sicherheitshalber einen Umweg über das Bad und drückte demonstrativ die Klospülung.

Dagmar Pohl war noch immer ein wenig nervös und auch verlegen, als sie ihm beim Frühstück gegenüber saß. Sie war nicht daran gewöhnt, mit einem Mann zu frühstücken, und schon gar nicht, neben einem im Bett aufzuwachen. Schnell war sie im Bad verschwunden, hatte geduscht und sich zurechtgemacht. Sie wollte nicht, dass er sie verstrubbelt und vom Schlaf verquollen sah.

»Tut mir leid, dass ich ausgerechnet heute so früh aus dem Haus muss«, entschuldigte sie sich, »aber Herr Schäfer von der Sicherheitsfirma will heute die Alarmanlage fertig installieren.«

»Da hat dieser Werning ja unverschämtes Glück, dass ihm eine gewisse Frau Dagmar Pohl für einen kärglichen Hungerlohn alle Arbeit abnimmt!«, neckte er scherzhaft. Insgeheim aber hoffte er, dass der kleine Stich seine Wirkung nicht verfehlte.

»Ich weiß, dass er mich ausnützt«, gab sie zu. »Ich werde schon mein ganzes Leben lang ausgenützt.«

»Mir ist schon aufgefallen, dass er sich sehr oft abseilt. Hat er eine Freundin?«, fragte er scheinheilig.

Natürlich wusste er von Nina Steiner. Aber Wernings Affäre mit der Studentin hatte zu wenig Potenzial, um damit ausreichend Druck aufzubauen. Der Typ würde die Geschichte im Notfall eher reumütig seiner Frau beichten.

»Gut möglich, ich habe einige Male eine sehr junge, sehr teuer zurechtgemachte Frau gesehen, die vor dem Museum auf ihn wartete. Dabei hat er doch so eine nette Frau!«

»Manche Männer fliegen eben auf junge Frauen - aber beileibe nicht alle!«, beruhigte er sie.

Dagmar stand auf und stellte das gute, mit Blümchen verzierte Kaffeegeschirr ihrer Mutter, das seit Jahren unbenützt im Schrank verstaubt war, in die Spüle. Die Tassen, die sie sonst benützte, waren samt und sonders angeschlagen.

»Ich muss jetzt leider los.«

»Mach dir keine Gedanken, meine Liebe, ich bin mit dem Verleger verabredet«, tröstete er. »Wir werden noch oft genug Gelegenheit haben, mit mehr Muße gemeinsam zu frühstücken!«

Sie verließen zusammen die Wohnung. Dagmar Pohl eilte zum Bus, um im Museum auf Herrn Schäfer zu treffen. Auch Sebastian Wilke hatte es eilig. Nicht, um einen nicht existierenden Verleger zu treffen. Er wollte Karsten Schäfers kaufsüchtige Tochter abpassen, bevor sie das Haus verließ. Er konnte nicht sicher sein, ob sie auf seinen Deal eingegangen war und seinen Auftrag ausgeführt hatte. Womöglich musste er seinen Forderungen ein wenig Nachdruck verleihen.

Highway ins Verderben

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