Читать книгу Highway ins Verderben - Hildegard Grünthaler - Страница 14
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ОглавлениеSein Bizeps war relativ schnell größer geworden. Sogar sichtbar größer. Wenn der Bauch im gleichen Tempo geschrumpft wäre, könnte er rundum zufrieden sein, aber die Kugel hielt sich hartnäckig. Nicht minder hartnäckig setzte Nina ihre kleinen Nadelstiche. Das Biest würde ihn eiskalt abservieren, fände sich ein zahlungskräftiger Lover, egal ob mit Bauch oder ohne, wenn er ihr nur das erträumte Penthouse spendieren würde. Da brauchte er sich gar nichts vorzumachen.
Werning stöhnte, er wusste schon gar nicht mehr, wie sich ein Leben ohne Muskelkater anfühlte. Es half nichts. Harry musste ihm unbedingt noch mehr von diesen wundersamen anabolen Pillen beschaffen.
Er hatte keine Lust mehr, bis zum Ende der Öffnungszeit im Museum auszuharren. Zuerst wollte er ins Fitnessstudio und dann zu Nina. Frau Pohl war ja da. Im Gegensatz zu ihm schien die auf Wolke sieben zu schweben. Regelrecht aufgeblüht war sie in der letzten Zeit, war beschwingt und gut gelaunt, schminkte sich sorgfältig und kleidete sich wesentlich modischer als früher. Durch Zufall hatte er heute einen Reise-Prospekt auf ihrem Schreibtisch liegen sehen. Er konnte sich nicht erinnern, dass die Pohl früher jemals im Urlaub verreist wäre. Werning hoffte für sie, dass der Kerl, der draußen schon wieder auf sie wartete, nicht wirklich ein Heiratsschwindler war.
»Ich sehe, die Pillen wirken schon!« Harry drückte prüfend auf Wernings Oberarm.
»Ja, der Bizeps wächst, aber am Bauch hat sich noch nicht viel getan!«, stöhnte Werning. Und nach dem Motto: Viel hilft viel, packte er entschlossen zwei zusätzliche Platten auf das verflixte Foltergerät.
War es, weil dieser Muskelprotz Harry zusah, oder waren es einfach zu viele Gewichte. Ganze dreimal schaffte er es, unter Ächzen und Stöhnen die Eisenplatten in die Höhe zu lupfen, bevor sie wieder scheppernd auf den Stapel zurückkrachten.
»Ich kann dir morgen eine Großpackung von meinen Wunderpillen besorgen«, versprach Harry. »Und außerdem - «, er senkte vertraulich die Stimme, »habe ich gerade zwei oder drei Packungen hochaktiver Fatburner an der Hand.« Er klopfte demonstrativ auf Wernings Bauch, »da schmilzt der weg wie Schnee an der Frühlingssonne!«
»Ja, ich denke, das ist genau das, was ich im Moment am dringendsten brauche!« Werning wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Aber sag mal, wo beziehst du denn diese Präparate?«
»Ich glaube, das will ein ehrbarer Museumsdirektor gar nicht so genau wissen!« Harry grinste breit und meinte dann: »Wann immer Du etwas organisiert oder besorgt haben willst, bei mir bist du richtig! Und wenn du mal Probleme hast, die du nicht gerne in die Welt hinausposaunst: Nicht verzagen, Harry fragen!«
Von seinem Schreibtisch aus sah ihn Werning aufs Museum zukommen. Ah, sieh an, der Pohl ihr Heiratsschwindler rückt wieder an, um sein Opfer zu umgarnen, dachte er bei sich. Mein lieber Scholli, der Kerl ist ganz schön ausdauernd. Ich schätze, der wird die Pohl demnächst kräftig anpumpen, damit er seinen garantiert nicht existierenden Historienschinken drucken lassen kann. Oder er haut sie an, damit sie für ihn einen Kredit aufnimmt. Vielleicht sollte ich sie mal ganz vorsichtig warnen.
Werning grinste. Er konnte es sich nicht verkneifen eine unauffällige Beobachtungsposition einzunehmen und zu lauschen. Wie üblich wurde die Pohl von ihrem »Historiker« - Werning setzte das Wort gedanklich in Gänsefüßchen - begrüßt.
»Meine Liebe, könntest du mir heute die Artefakte zeigen, die kürzlich unterhalb der Burgruine entdeckt wurden? Die sind sicher nützlich für meine Arbeit.«
»Gerne, die Sachen sind aber erst oberflächlich gereinigt und sollen noch restauriert werden. Du müsstest mit mir in den Keller kommen.«
Na, ob er im Keller der frisch erblühten Pohl auch nur die Hand küsst ..., amüsierte sich Werning im Stillen. Zu gerne wäre er jetzt runtergeschlichen, um Mäuschen zu spielen. Du bist doch kein neugieriges altes Waschweib!, schalt er sich selbst. Du bist ihr Chef! Das ist unter deiner Würde! Obwohl - warum eigentlich nicht? Nein, entschied er, das geht nicht!
Gut zehn Minuten später fand er, dass er nun einen ganz bestimmten Ordner bräuchte, der längst im Kellerarchiv verstaut war. Weil die Pohl gerade nicht da war, musste er jetzt unbedingt selbst nach unten.
War es wirklich nur der alte Ordner, oder trieb ihn doch eher die Neugier in den Keller hinunter? Unbemerkt blieb er hinter einem Pfeiler des Kellergewölbes stehen.
»... wirklich erstaunlich, wie viele hochinteressante Exponate hier unten, verborgen vor der Öffentlichkeit, vor sich hin verstauben«. Das war die Stimme des »Historikers«.
Was hatte er sich eigentlich vorgestellt? Dass die Pohl und ihr Verehrer hier unten auf einer Kiste mit alten Tonscherben heißen Sex hätten? Warum er trotzdem lauschend stehen blieb, wusste er selbst nicht so recht.
»Leider haben wir im Moment nicht genug Geld, um die Sachen sorgfältig zu restaurieren. Außerdem müssten ja zuerst neue Vitrinen angeschafft werden.«
»Verstehe schon, euer Prestigeprojekt hat das gesamte Budget aufgefressen. Allein das Alarmsystem muss ja Unsummen gekostet haben.«
»Ja, das ist sehr aufwendig!«
»Kennt Ihr Museumsleute Euch überhaupt aus damit?«
»Oh, wir müssen da gar nicht viel machen«, erklärte Dagmar. »Der Eingang des Museums, die Säle und das Gemälde sind videoüberwacht. Die Fenster sind alarmgesichert. Wenn ich morgens das Museum aufschließe, habe ich drei Minuten Zeit, um den Türalarm an diesem roten Knopf hier unten abzuschalten. Das Gemälde selbst ist gesondert abgesichert. Wenn das jemand abhängen wollte, ginge bei der Polizei sofort der Alarm los!«
»Das klingt ja spannend! Was macht Ihr denn, wenn das Gemälde zurückgegeben werden soll? Die Polizei aufscheuchen?«, witzelte Wilke.
»Aber nein! Wenn es so weit ist, kommt Herr Schäfer, der die Anlage installiert hat, und schaltet sie ab.«
»Einfach so?«
»Nein, ganz so einfach nicht. Du siehst ja, dass der Kasten mit der Elektronik hinter Panzerglas steckt. Der kann nur mit den Schlüsseln geöffnet werden, die ausschließlich Herr Werning und ich selbst haben. Der Schlüssel alleine nützt auch nichts, denn um die Anlage still zu legen, braucht man den Schaltplan und natürlich die nötige Sachkenntnis.«
»Verstehe, vermutlich musstet Ihr das Gemälde hoch versichern?«
»Aber ja, die Beiträge für die fünf Millionen Versicherungssumme sind für unser Kleinstadtmuseum kein Pappenstiel. Aber die Münchener hätten uns das Bild sonst nicht geliehen.«
»Fünf Millionen!«, raunte Wilke. »Stell Dir mal vor, was wir damit machen könnten. Die Welt bereisen, ein Leben in Saus und Braus führen, eine Luxusvilla kaufen ...«
Heiratsschwindler? Von wegen! Ich Idiot, dass ich das nicht gleich geschnallt habe! Das hätte mir doch der gesunde Menschenverstand sagen müssen! Werning stand noch immer hinter dem Pfeiler, lauschte atemlos, wie Wilke auf Dagmar Pohl einredete, zwar in einem leicht scherzhaften, aber doch stetig eindringlicher werdenden Ton. Bis Frau Pohl plötzlich nach Luft schnappte:
»Nein, nein, um Himmels Willen, nein! Niemals!«
»Dagmar, meine Liebe, beruhige dich! Das war nur ein Scherz! Du weißt doch, ich bin mit Leib und Seele Historiker. Ich finde diese lila Leopardin ganz einfach nur scheußlich. Ich kann mit dieser Art von Kunst nichts anfangen und verstehe deshalb auch nicht, warum man so viel Geld dafür ausgibt, während wirklich wertvolle Fundstücke hier unten vergammeln.«
Oh, nein, das war kein Scherz! Das kannst du, mit etwas Glück der gutgläubigen Pohl weismachen, aber ich für meinen Teil hab genug gehört!
So leise wie er gekommen war, drehte Werning um und schlich die Kellertreppe wieder hinauf. Erschüttert ließ er sich auf seinen Stuhl fallen. Polizei! Ich muss die Polizei anrufen! Die Nummer der örtlichen Dienststelle hatte er aus Sicherheitsgründen eingespeichert. Er griff zum Telefon, tippte die Kontakte durch, hielt inne - und drückte die Nummer wieder weg. Nein, warum eigentlich die Polizei?
Nicht verzagen, Harry fragen!, schoss es ihm durch den Kopf.
Ja, genau, das werde ich machen! Werning lächelte zufrieden. Schluss mit Beinpresse, Bauchmaschine, Hanteltraining. Schluss mit dem dauernden Muskelkater. In einem schicken Penthouse sieht Nina großzügig über meinen Bauch hinweg!