Читать книгу Highway ins Verderben - Hildegard Grünthaler - Страница 17
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ОглавлениеEr hatte gewendet und das enge Sträßchen durch den Wald genommen. Hier war zwar die Durchfahrt verboten, aber er benützte diese Abkürzung öfter. Die Hundehalter, die ihre Vierbeiner im Wald Gassi führten, parkten stets am Rand gleich nach der Einfahrt. Sonst befuhren höchstens mal ein Jäger oder ein Mountainbiker das Sträßchen. Jetzt am Vormittag waren noch keine Gassigänger unterwegs, die ihre Köter unangeleint herumspringen ließen und ihm böse Blicke zuwarfen, weil er sich nicht um das Verbotsschild kümmerte.
Sascha fuhr langsam. Er hatte das Fenster heruntergekurbelt und beglückwünschte sich zu seinem selbst genehmigten Kurzurlaub. Dafür, dass er nicht an Haustüren klingeln, keine geizigen Hausfrauen belabern, keine schweren Staubsauger über steile Altbautreppen schleppen musste.
Den ersten Schuss beachtete er nicht. Wahrscheinlich ein Jäger. Er fuhr langsam weiter. Der zweite Schuss hörte sich sehr nah an. Er klang auch nicht nach einem Jagdgewehr, eher nach einer Pistole. Ein dritter Schuss zerriss die Stille des Waldes. Definitiv ein Pistolenschuss! Nah hatte der geklungen, sehr nah sogar. Er sollte besser verduften. Soweit er sich erinnerte, mündete nach der nächsten Kuppe ein breiter Waldweg in das Sträßchen. Dort könnte er ohne mehrmaliges Hin-und herrangieren wenden.
Weglaufen! Einfach umdrehen und weglaufen. Warum war er diesem ersten Impuls nicht gefolgt? Warum stand er da, starrte auf die Toten? Waren sie wirklich tot? Der eine, ein muskulöser Typ mit schwarzen Locken, hatte noch kurz geröchelt, bevor sein Kopf zur Seite kippte. Das Smartphone, mit dem er vermutlich hatte Hilfe holen wollen, war ihm aus der Hand gerutscht. Sascha besaß nur ein altmodisches Tastenhandy. Es war wie ein automatischer Reflex. Dort, wo der jetzt ist, braucht er das Edelteil nicht mehr!, fuhr es ihm durch den Kopf. Wie fremdgesteuert bückte er sich nach dem verlockend glänzenden Teil, hob es auf und steckte es in die Jackentasche. Dem Impuls, auch die Pistole an sich zu nehmen, widerstand Sascha.
Er musterte den anderen. Obwohl er gekrümmt auf dem Asphalt lag, konnte Sascha erkennen, dass der Mann groß war. Und dass die Kleidung, obwohl blutgetränkt, nicht aus einem Billigkaufhaus stammte. Die Pistole war ihm aus der Hand gefallen. Mit der Linken hielt er noch immer den Umhängegurt einer großen Tasche fest - einer prall gefüllten, dunkelblauen Sporttasche. Sascha atmete tief durch, beugte sich vorsichtig über die Leiche und öffnete ein stückweit den Reißverschluss. Ihm stockte der Atem.
»Au! Passen Sie doch auf, Sie verbrennen ja mein Ohr!«
»Tschuldigung!« Tanja stellte den Föhn kühler und sah zum xten Mal auf die Uhr. Harry hatte versprochen, ihr sofort eine SMS zu schicken. Sie wickelte die nächste Haarsträhne auf die Bürste und setzte wieder den Föhn an.
Morgen ist Schluss mit diesem öden Leben. Schluss damit, alten Weibern die grauen Dauerwellen zu blondieren. Schluss mit quengelnden, zappelnden Bälgern, denen ich für ein paar lausige Kröten und ein noch lausigeres Trinkgeld den neuesten Modeschnitt verpassen soll. Schluss mit den eingebildeten Zicken vom Tennisverein und vom Golfklub, die mich blöd anmachen, weil das, was ich ihnen auf den Kopf geföhnt und gelockt habe, nicht ihren Vorstellungen entspricht. Ja, damit ist ab morgen ein für alle Mal Schluss!
Tanja rollte die trockene Strähne von der Bürste. Die Haare hatten sich verhakt. Achtlos zog sie fester.
»Au, Sie sind heut aber grob, Fräulein Tanja!«, raunzte die lästige Kundin.
Heike, die Chefin und Saloninhaberin, warf ihr einen wütenden Blick zu. Tanja zuckte gleichgültig mit den Schultern.
Ab morgen kann Heike in ihrem Kuhdorfsalon alleine alten Schachteln die Locken wickeln. Morgen beginnt mein neues Leben!
Sie malte sich das Leben in Saus und Braus in den buntesten Farben aus. Die schicken Klamotten, die sie sich kaufen, die Schönheitsfarm auf der sie sich verwöhnen lassen wollte. Schließlich hatten ihre 37 Jahre bereits sichtbare Spuren hinterlassen - Cellulite, erste Fältchen, und graue Haare hatte sie auch schon entdeckt ...
»Fräulein Tanja, so gefällt mir das nicht! Das wissen Sie doch!«
Tanja fuhr wortlos mit der Bürste durch die Föhnwellen. Fräulein Tanja - die alte Ziege wusste doch, dass sie seit gefühlten 100 Jahren mit Sascha, dem Langweiler verheiratet war. Sascha, der trotz Studium in keinem Job Fuß fasste und nun mehr schlecht als recht Staubsauger verhökerte. Früher hatte er ganz passabel ausgesehen, - und sie dumme Gans war darauf hereingefallen. Aber jetzt - schlaff war er geworden, unter seinen billigen Klamotten wölbte sich bereits sichtbar der Bauch. Und das, obwohl er gerade mal 40 war. Die Haare fielen ihm auch schon aus. Und sonst? Sonst war auch nichts mehr los mit ihm.
Harry war da schon ein anderes Kaliber. Nicht nur, dass er viel besser aussah, so martialisch tätowiert wie er war. Er trainierte regelmäßig im Fitnessstudio, hatte Muskeln wie Schwarzenegger und gab sich wie Rambo. Geld hatte Harry auch immer. Und jetzt hatte er ihr ein Luxusleben versprochen, irgendwo in der Karibik oder in Südamerika.
An einer ganz großen Sache war er dran - fünf Millionen - so viel hatte er ihr verraten.
»Willst du einen Geldtransporter überfallen?«, hatte sie ihn entsetzt gefragt. »Oder jemanden entführen?«
Aber Harry hatte sie beruhigt. »Ich bin doch nicht blöd. Am Ende lande ich noch im Knast und du must weiter Haare schneiden und Locken wickeln! Nein, das krumme Ding dreht ein anderer. Ich knöpfe ihm nur die Kohle ab!«
Die Pistole, mit der er in Westernheldmanier vor ihr posiert hatte, ängstigte sie trotzdem. Aber Harry hatte sie beruhigt:
»Ich brauche die ja nur, um meiner Bitte nach den fünf Millionen etwas mehr Nachdruck zu verleihen!«, hatte er ihr lachend erklärt.
Fünf Millionen - ihr wurde ganz schwindlig bei dem Gedanken an so viel Geld. Aber warum hatte er ihr noch keine Nachricht geschickt? Sie brannte doch darauf, zu erfahren, ob alles glattgegangen war. Hatte sie das Vibrieren ihres Handys nicht bemerkt?
»Haarspray?« Während Tanja ihre Kundin einnebelte, checkte sie die Nachrichten auf dem Handy. Nichts. Langsam verdrängten Angst und Sorge die Vorfreude auf das Luxusleben.